Einzigartig, beeindruckend – und zwei Mal kurz vorm Abriss

Die Treppe des alten Rathauses in Rüthen 

Das barocke Alte Rathaus in der Hachtorstraße in Rüthen ist ein echter Hingucker. Besonders die mächtige, doppelläufige Rundbogentreppe aus Rüthener Sandstein lenkt alle Blicke auf sich. Auf unzähligen Hochzeitsfotos ist das wuchtige Monument zu sehen, denn im Inneren des Hauses finden regelmäßig Trauungen statt. Dass die Treppe aber heute noch steht, ist keine Selbstverständlichkeit. 

Vermutlich stammt der Baumeister des alten Rathauses, Michael Spanner (ca. 1690-1742), aus Tirol. Über Umwege kam er nach Westfalen, arbeitete neun Jahre als Geselle bei Nikolaus Wurmstich in Lippstadt und wurde vermutlich dessen Nachfolger. Als ab Mitte des 17. Jahrhunderts immer mehr Maurer und Steinhauer aus dem Süden Deutschlands mit der nördlichen Ausbreitung des Barockstils im Bauwesen auch nach Westfalen kamen, fanden viele von ihnen in der dadurch stark zunehmenden Nutzung und Verarbeitung des örtlichen Sandsteins einen dauerhaften Broterwerb.  

Rüthen, das Bauzentrum 

Nach dem Dreißigjährigen Krieg entwickelt sich deshalb besonders Rüthen allmählich zu einem regelrechten Bauzentrum für das damalige Herzogtum Westfalen. Bauhandwerker – primär Steinmetze und Bildhauer – aus vielen Teilen Deutschlands und sogar dem benachbarten Ausland zog es in die Bergstadt. Die Spuren dieser zumeist auch künstlerisch ambitionierten Handwerker finden sich noch heute in vielen Elemente am Rüthener Barock-Rathaus von 1730: das (sprechende) städtische Wappen mit schwarzem kurkölnischem Kreuz und den 4 Rauten (mndt. = Ruden) über dem Hauptportal, mit einem Engelkopf, der den Schlussstein des Türbogens bildet. Der Heilige Nikolaus, Schutzpatron der Stadt, in einer Giebelnische an der Nordseite. Die fast lebensgroße Darstellung der römischen Göttin Justitia aber dominiert über dem Sprenggiebel des Mittelrisalits die Frontseite. Diese in allegorischer Form ausgeführte Skulptur hat ihren Platz dort, weil das Rathaus früher nicht nur als Versammlungsort des Rates und Verwaltungssitz des Magistrates, sondern bis 1810 auch als Schauplatz der städtischen Rechtsprechung diente. Danach wurde es Gerichtslokal landesherrlicher Justizbehörden (Hessen-Darmstadt, Preußen) bis 1842. Im Rathauskeller waren bis dahin auch Gefängniszellen eingerichtet.  

Viel beachtet, ungeliebt,  

Ab 1843 befand sich in einem Teil des Erdgeschosses des Alten Rathaus über einige Jahrzehnte die städtische Mädchenschule. Bei der Nutzungsplanung hatte man vor, die Freitreppe, die zu der Zeit in einem schlechten Zustand war, abzubrechen. Zum Glück wies der verantwortliche Soester Bauinspektor Buchholtz jedoch frühzeitig und deutlich daraufhin, „dass dies eine zu tadelnde Missachtung der Kunstbestrebungen der Vorfahren sein würde.“ Die Treppe war gerettet – vorerst. 

1859 wurde eine Reparatur des Rathauses beschlossen – die Treppe wurde zunächst ausgespart. Entsprechende Reparaturen sollten zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen … 

Neun Jahre später wies der Kreisbaumeister Niedieck aus Lippstadt auf den baufälligen und daher „Menschenleben gefährdenden Zustand“ der Treppe hin. Wieder stand das Monument kurz vor dem Abriss. Die Stadtväter planten, nun eine Großtreppe im Inneren zu bauen und die historische Frontseite durch einen neuen Ostzugang zum Gebäude zu ersetzen. Dies unter Verwendung des unproportional größeren Barockportals der 1830 abgebrochenen Kapuziner-Klosterkirche, was eine radikale Fassadenänderung des Rathauses bewirkt hätte. Zum Glück gab es aber einige Sachverständige, die sich wiederum für den Erhalt der bisherigen Treppenanlage aussprachen. Nach einer Zeichnung des Kreisbaumeisters wurde sie dann restauriert. Das historische Klosterportal (1684, Ambrosius von Oelde) fand hingegen seinen dauerhaften Platz als eindrucksvolles Eingangstor zum Rüthener Stadtfriedhof, wo es bis heute auch die große barocke Bedeutung des Rüthener Steins verdeutlicht. 

Es geht weiter 

Das Obergeschoss des Rathauses wurde ab 1876 als provisorische königlich.-preußische Lehrerbildungsanstalt genutzt. 1883 wurde diese pädagogische Einrichtung in ein ordentliches Lehrerseminar umgewandelt. Dazu wurde dann bald das ganze Gebäude genutzt, auch die Mädchenschule im Erdgeschoss musste weichen. Die Stadtverwaltung bezog einen neu errichteten Zweckbau an der Hochstraße. Bis 1915 wurden im Alten Rathaus Volksschullehrer ausgebildet. 

Das Gebäude diente in den nachfolgenden Jahrzehnten unterschiedlichsten Zwecken, so z. B. ab 1923 der Sparkasse als Geschäftslokal. Nach dem II. Weltkrieg wurden im Obergeschoss auch Flüchtlinge bzw. Vertriebene untergebracht. 1965 bis 1973 wurde das Alte Rathaus dann grundlegend restauriert. Im Erdgeschoss hielt eine Senioren-Tagesstätte der AWO und eine Nebenstelle des Kreisgesundheitsamtes Einzug. Mit Beginn des neuen Jahrtausends wurde ein stilgerechter Traubereich im barocken Ambiente eingerichtet. Neben zahlreichen Kulturveranstaltungen wird der imponierende historische Ratssaal im Obergeschoss des Gebäudes auch von den beiden Rüthener Schützengesellschaften im Rahmen ihres jährlichen Hochfestes für repräsentative Zwecke genutzt. Dazu bemerkte Joseph Preising in seinem Buch „Rüthen in geschichtlichen Einzelbildern“ von 1924 treffend: „Sicher mahnte die hohe Treppe (schon) manchen zur Vorsicht im Genusse von Alkohol“.  

An die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes durch städtische Gremien wird heute noch mit einigen dortigen Ausschusssitzungen angebunden, während sich der Verwaltungssitz seit 1967 in dem im postmodernen Stil an der Hochstraße errichteten aktuellen Rathaus befindet. An jedem 6. Dezember (= Nikolaustag) – auch wenn der auf einen Sonntag fällt – wird in Erinnerung an seine einstige Funktion im historischen Ratssaal des Alten Rathauses seit 1956 eine traditionelle Sitzung des Rüthener Stadtrates abgehalten.  

Übers Jahr verteilt geht es aber insbesondere für die vielen dort frisch getrauten Paare mit ihren ersten Schritten über die wunderschöne, originalgetreu erhalten gebliebene Rundbogentreppe mit ihrer wechselvollen Geschichte in ein – hoffentlich – glückliches Eheleben.  

Baumeister Michael Spanner war u. a. an folgenden Barockbauten maßgeblich beteiligt:  Rathaus Rüthen, Gogerichtsgebäude Erwitte, Benediktinerklöster Grafschaft u. Liesborn, Rentei der Deutschordenskommende Mülheim. Nach einem Brand baute er zudem auch den Landsberger Hof in Arnsberg im Barockstil wieder auf.   

Quellen: Stadtarchiv Rüthen, LWL.org, DeWiki, Uni Münster und Hanse.org.