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Das Thema der Migration ist seit mehreren Jahren ein Dauerbrenner in der deutschen Gesellschaft. In der Ökologie ist Migration ein definierter Begriff, der sich auf Tiere und Pflanzen bezieht, die in einen anderen Lebensraum wandern. Die Gründe dafür sind vielfältig. Nahrungssuche, Brutgebietssuche, Partnersuche oder klimatische Veränderungen können die Treiber für die Wanderbewegungen sein. Dieser Prozess ist seit der Entstehung des Lebens ein wesentlicher Faktor in der evolutionären Entwicklung auf unserem Planeten. Wandern Arten in ein neues Ökosystem ein, kann das sehr unterschiedliche Auswirkungen haben. Im Fall der berühmten Darwin-Finken auf den Galapagosinseln führte die Einwanderung einer einzigen Art zu der Entwicklung von vielen verschiedenen Finkenarten mit unterschiedlichem Aussehen und unterschiedlichen Lebensweisen.
Natürliche Nischen sind wie spezialisierte „Berufe“ für Arten in einem Ökosystem. Sie definieren, wie eine Art Ressourcen nutzt, mit anderen interagiert und sich an die Umwelt anpasst. Jede Art hat ihre einzigartige Nische, die es ihr ermöglicht, zu überleben, ohne mit anderen Arten zu konkurrieren. Dies fördert die Biodiversität, da verschiedene Arten unterschiedliche Rollen einnehmen und die verfügbare Energie im System effizient nutzen. Mit mehr Arten steigen die Widerstandsfähigkeit und Erholungsfähigkeit des Ökosystems, da eine größere Vielfalt an Reaktionen auf Umweltbedingungen möglich ist. Im Laufe der Jahrtausende hat sich so in Deutschland eine gut aufeinander abgestimmte Artengemeinschaft gebildet, in der auch der Mensch und seine Nutzung der Landschaft eine entscheidende Rolle spielen. Die Entwicklungen der letzten 150 Jahre stellen dieses System allerdings vor große Probleme. Zu viele starke Veränderungen haben Nischen und damit auch Arten verdrängt, geschädigt oder oft auch komplett zerstört.
Zusätzlich bietet der Warenverkehr in unserer globalisierten Welt vielen Lebewesen die Möglichkeit, große Entfernungen und damit die natürlichen Grenzen wie Gebirge und Ozeane zu überwinden. So werden die Karten im Spiel der Evolution neu gemischt. Trifft eine Art auf ein geschwächtes Ökosystem, kann sie bei geeigneten Bedingungen die freien Nischen und so die verfügbare Energie nutzen und sich in das System integrieren.
Der japanische Staudenknöterich
Aus der Liste der 100 gefährlichsten Neobiota (invasive Arten) soll hier als Beispiel der „japanische Staudenknöterich“ (Fallopia japonica) vorgestellt werden. Wer mit offenen Augen durch das Sauerland spaziert, ist diesem Unhold sicherlich schonmal begegnet. Vor allem an Bahntrassen, Bachläufen und Wegesränder fühlt er sich wohl. Nährstoffreich und nah am Grundwasser hat er es am liebsten. Wegen seiner beeindruckenden Widerstandsfähigkeit und seines extrem schnellen Wachstums war er mal als Gartenpflanze beliebt. Heute ist die Ausbringung in Deutschland verboten.
Ihr schnelles und flächenmäßiges Wachstum sorgt dafür, dass die Pflanze große Flächen, ausgehend von nur einer Ursprungspflanze, innerhalb eines Jahres überwuchern kann. Dabei macht ihr keine heimische Pflanze etwas vor. Es wurde beobachtet, dass eine Pflanze an einem Tag 20 bis 30 Zentimeter an Höhe zulegen kann. Damit überwuchert sie schnell andere heimische Pflanzen und lässt diese durch ihr dichtes Blätterdach schlicht und ergreifend im Dunkeln verhungern.
Bei der Bekämpfung stellen die Wurzeln der Pflanze Naturschützer und Landschaftspfleger vor große Probleme. Der japanische Knöterich besitzt Wurzeln, die sich bis zu drei Meter tief in die Erde erstrecken können oder sogar noch tiefer reichen. Diese Wurzeln besitzen Verdickungen, Rhizome genannt, aus denen die Pflanze kontinuierlich wieder neu sprießt. Zusätzlich kann sich der Japanknöterich über winzige Sprossteile vermehren, die Wurzeln bilden und zu neuen Pflanzen heranwachsen. Es ist also nötig, alle, auch die kleinsten Pflanzenteile, zu entfernen. Versuche haben gezeigt, dass selbst 0,06 Gramm Pflanzenmaterial ausreichen, damit der Knöterich neu austreiben kann. Auch Beweidung und bis zu 20-maliges Mähen im Jahr haben keine Wirkung gezeigt. Aktuell wird eine Behandlung der Wurzeln mit Stromschlägen empfohlen.
Dabei ist der japanische Knöterich nicht der einzige Eindringling in unser Ökosystem. Drüsiges Springkraut, Riesen-Bärenklau oder Goldrute sind Pflanzen, die unsere heimischen Arten verdrängen. Die extremen Veränderungen, die in den letzten Jahren auf unsere Umwelt einwirken, destabilisieren unsere Ökosysteme und bieten eindringenden Pflanzen so die Möglichkeit, sich zu etablieren. Doch auch diese Pflanzen nehmen jetzt schon erste Rollen in unserem Ökosystem ein. So brühten viele Vogelarten im japanischen Staudenknöterich: Bluthänfling, Neuntöter, Goldammer, Amsel, Mönchsgrasmücke und Gartengrasmücke sind nur ein paar Beispiele. Klimawandel und Landwirtschaftsintensivierung verändern die Natur so rapide, dass diese Veränderungen auch für uns Menschen wahrnehmbar werden. So können wir aber auch Zeuge der ständigen Anpassung unserer Umwelt sein.