Quelle: Wittgensteiner Schieferpfad
Der Wittgensteiner Schieferpfad
Als Rainer Brämer – der Macher des Rothaarsteigs – mich seinerzeit aufforderte, einen Muster-Kurzwanderweg unter dem Aspekt „neues Wandern“ zu kreieren, sagte ich spontan zu. Meine Bedingung: Ich wollte daraus ein Schulprojekt machen. Ich bin Lehrer.
Wir studierten emsig Landkarten, untersuchten kleinflächig das Gelände, identifizierten mögliche Highlights für einen Top-Wanderweg: aussagekräftige historische Relikte, imposante Felsen, majestätische Baumveteranen, naturnahe Wälder und Gewässer …
Schnell hatten wir eine passende Philosophie: Das Individuum, das auf diesem Weg unterwegs ist, soll eins mit der Natur werden, mit der Natur verschmelzen – und so einen Gegenpol zur von Hektik und Stress geprägten Alltagswelt finden. Die Kollegen unterstützten solidarisch. Die Schüler waren Feuer und Flamme, legten kilometerlange Pfade an – auch in extremen Steillagen und durch Geröllfelder –, schnitten völlig zugewachsene Wege frei, verfassten Werbetexte und Briefe an alle möglichen Behörden, interviewten Hinz und Kunz, lernten ganz nebenbei Fauna und Flora kennen und schleppten stolz Mama, Papa, Oma und Opa ins Gelände. Das Projekt erhielt deutschlandweit hohe Auszeichnungen, begeisterte Wanderer kamen in Scharen, selbst die Einheimischen bemerkten, „wie schön es doch bei uns ist!“ – Lehrerherz, was willst du mehr?
Selbstverständlich haben die Schüler die Pflege des Weges übernommen – auch das ist dem Prinzip der Nachhaltigkeit geschuldet. Grundsätzlich ist Maschineneinsatz verpönt. Handarbeit mit Hacke, Schaufel, Säge und Astschere ist angesagt. So erleben sich die Schüler selbst wirksam. Das lässt Kinder und Jugendliche regenerieren und hebt das Selbstbewusstsein. Manufactum-Effekt nennt man das.
Wenn Schüler einen Wanderweg mitplanen, wird er vor allem eines: abenteuerlich. Für mich persönlich hat der Aspekt der Wildnis immer mehr Bedeutung gewonnen. Der Schieferpfad verläuft durch vier Naturschutzgebiete und zahlreiche Biotope – eine Wildnis reiht sich an die andere. Natur Natur sein lassen, Eigendynamik ermöglichen, Wildnis ist ein Symbol für Freiheit und Unverfügbarkeit. Sie funktioniert, obwohl der Mensch keine Ordnung schafft, besser: weil er keine schafft. Die Erkenntnis ist: Die Natur braucht den Menschen nicht, der Mensch aber die Natur.
Und: Wildnisse sind Geschenke an die nachfolgenden Generationen. Sie sind höchst vitale Gemeinschaften aller Altersklassen. Alt- und Totholz zum Beispiel binden CO2, garantieren Artenvielfalt, liefern Humus für junge Pflanzen – der Tod als Quelle neuen Lebens. Eine Wildnis ist auch ästhetisch schön. Umgefallene Bäume, mystisch anmutendes Alt- und Totholz, farbenprächtige Pilze, Teppiche bildende Moose und Flechten, frische, dynamische Triebe stehen im krassen Gegensatz zur technisierten Welt.
Wer eine nachhaltige Gesellschaft will, muss Veränderungen in den Köpfen herbeiführen. Die beginnen häufig mit Experimenten, zum Beispiel der Anlage eines Wanderpfades unter dem Motto „Natur – Schule des Lebens“.
Der Wittgensteiner Schieferpfad ist ein eindrucksvoller Rundwanderweg von gut 14 Kilometern Länge. Er ist klassifiziert als „Premium-Wanderweg“. Die Gehzeit beträgt fünf bis sechs Stunden. Startpunkt ist der Parkplatz an der Eder in der Nähe des Schieferschaubergwerkes Raumland, etwa vier Kilometer vom Zentrum Bad Berleburgs entfernt. Man fährt über die B 480 Richtung Erndtebrück und biegt nach Raumland in Richtung Frankenberg ab. Verpflegung und ausreichend Getränke sind ebenso notwendig wie festes Schuhwerk und gute Kondition.
Mehr Wandertipps finden Sie im WOLL Wanderführer: www.woll-verlag.de/sauerland-wandern-woll-1-peter-kracht/