Quelle: Georg Giannikis
Bei den Benediktiner-Mönchen in Meschede
Ich betrete die Zelle von Bruder Benjamin. Eine Matratze liegt auf dem kalten Steinboden. Die Wände sind kahl und feucht, das winzige Fenster vergittert. „Monika?“ – Georg, mein Fotograf, bringt mich zurück in die Wirklichkeit. „Wenn du mal kurz zur Seite gehen könntest?“ Zurück im Hier und Jetzt stehe ich inmitten eines lichtdurchfluteten Raumes. Alles ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Aber fangen wir von vorne an.
„Wie leben eigentlich Mönche heutzutage?“ – Dieser Frage wollte ich auf den Grund gehen. Zu meiner Überraschung zeigte sich P. Cosmas Hoffmann, Prior der Abtei Königsmünster in Meschede, sehr angetan von der Idee. Nachdem V. Abt Aloysius Althaus seine Zustimmung gegeben hatte, stand einem Besuch bei den Brüdern vom Orden des Heiligen Benedikt nichts mehr im Wege.
Ich werde von Bruder Benjamin, 55, und Bruder Symeon, 29, begrüßt. Bruder Benjamin ging im Alter von 21 Jahren ins Kloster, Bruder Symeon ist seit vier Jahren Teil des drittgrößten Benediktinerordens Deutschlands. 50 Brüder zwischen 27 und 92 Jahren gehen hier „zusammen durch Dick und Dünn“, wie Bruder Symeon sagt.
Ora et labora et lege
Die Gebete werden immer zu festen Zeiten verrichtet, geben den Brüdern Halt. Dazwischen gemeinsames Essen, Zeit zum Studieren. „Viele kennen nur ‚Ora et labora‘, dabei heißt es auch noch ‚et lege‘, also ‚Bete und arbeite und lies!“, erklären mir die Mönche. Dann führen sie also ein Leben, in dem jede Minute verplant ist? Kopfschütteln. „Wir haben einen ganz normalen Acht-Stunden-Arbeitstag“, sagt Bruder Symeon. Bruder Benjamin ergänzt: „Wir haben sogar drei Wochen Urlaub im Jahr.“ Dennoch vermisst er die fehlende Spontanität, „dass ich mich nicht mehr in mein privates Auto setze und irgendwohin fahren kann.“ Tatsächlich teilen sich die 50 Brüder sechs Fahrzeuge. Und was vermisst ein Mönch wohntechnisch am meisten? „Ein eigenes Badezimmer!“ Bruder Benjamin lacht. „Das wird Ihnen jeder Brüder unterschreiben.“
In den Zellen
Die Zimmer der Mönche sind circa 14 qm groß. „Natürlich heißt es ‚Zelle‘, aber wir sind hier ja nicht im Gefängnis“, erklärt mir Bruder Symeon. Tatsächlich bedeutet das Wort „Zelle“ in seiner ursprünglichen Bedeutung „Rückzugsort“. Der ist umso wichtiger, wenn man ansonsten alles miteinander teilt. Zwar verfügen viele Brüder über ein Handy oder Laptop, jedoch werden diese überwiegend als Arbeitsgeräte eingesetzt. Präsenz in den sozialen Medien, Live-Streams der Gottesdienste bei YouTube. Darf man das überhaupt?
„Zu Zeiten des Heiligen Benedikts gab es zum Beispiel das Wort ‚privat‘ gar nicht “, so Bruder Benjamin. Daher müssen die Mönche es schaffen, die Regeln des Ordensgründers in die heutige Zeit zu übersetzen, „sonst enden wir als Museum.“
Wir betreten das Innere des Klosters, gehen über hellen Boden aus Muschelkalk. Die Flure sind still, aber hell. Bis jetzt ist nichts so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Bruder Benjamin öffnet eine Tür. „Bitte, kommen Sie hinein.“ Ich betrete ein wunderschönes, helles, geschmackvoll eingerichtetes Zimmer. Sorgfältig ausgewählte Bilder schmücken die Wände. Viele Bücher und zwei Hanteln verraten, womit sich Bruder Benjamin in seiner freien Zeit beschäftigt. Das Zimmer strahlt pure Behaglichkeit aus. In Bruder Symeons Zimmer ergeht es meinen Vorurteilen nicht besser: Sie werden von der freundlichen, individuellen Einrichtung beiseite gefegt, verblassen unter dem einfallenden Sonnenlicht. Ich bin baff.
Während Georg Fotos schießt, versuche ich mein Bestes, doch noch einem Hauch Mittelalter auf die Spur zu kommen.
Putzen und Bekocht-Werden
„Sicher haben Sie doch eine Putzkraft?“ „Nein, wir halten unsere Zimmer selbst sauber. Für die Duschen und Toiletten gibt es einen Putzplan.“ Nur nicht für die Küche. Die Brüder werden nämlich über die Großküche versorgt, die auch Gästehaus und Café beliefert. „Wir werden zu gut versorgt“, verrät Bruder Benjamin und lacht. „Sonst bräuchte ich ja keine Hanteln!“
Wir schauen uns noch eines der acht Gästezimmer an. Hier können männliche Nicht-Mönche einige Zeit lang das Kosterleben kennenlernen („Gehen Mönche eigentlich in Rente?“ – „Gott sei Dank nicht“, sagt Bruder Benjamin), sich Gott wieder annähern. Ein Angebot, das oft und gern genutzt wird.
Zwanglose Treffen der Brüder finden im Park statt, bei kaltem oder schlechtem Wetter im Fernsehraum. Wenn ein WM-Spiel stattfindet, läuft der Fernseher.
Eine neue, große Familie
„Manche Menschen denken, wir wären halbe Engel“, erzählt Bruder Benjamin. „Dabei sind wir auch nur Menschen!“ „Streiten Sie sich auch mal?“, frage ich vorsichtig. Bruder Symeon nickt. „Auf jeden Fall! Aber wir halten uns an die Regel, dass man bis zum Abend wieder Frieden schießen soll.“ Bruder Benjamins alter Novizenmeister pflegte immer zu sagen, dass Mönche in erster Linie Menschen sind, danach Christen und erst an dritter Stelle Mönch, „sonst haben Sie am Ende ein unmenschliches oder unchristliches Mönchtum.“ Bruder Symeon ergänzt: „Man kann Gott ja auch dienen, wenn man kein Mönch ist. Jeder Mensch ist anders.“
Darum ist es den Mönchen auch wichtig, dass niemand überstürzt in den Orden eintreten kann. Intensive Gespräche und eine lange Probezeit klären, ob jemand wirklich zum Mönch berufen ist. Ist das der Fall, findet er in der Abtei Königsmünster eine neue, große Familie.
Gibt es denn auch Freundschaften unter den Mönchen? „Natürlich“, sagt Bruder Benjamin. „Wenn es einem schlecht geht, muss man an eine Tür klopfen können. Das hat für mich auch viel mit einem Zuhause zu tun.