Aus der Geschichte des Carl-Mosterts-Hauses in Velmede
Bundesstraße 110 in Velmede. Hier befindet sich seit 1969 die Firma der Familie Hegener. In den mehr als 40 Jahren zuvor hatte das „Carl-Mosters-Haus“ recht unterschiedliche Bestimmungen. Hier wurde Theater gespielt, Sport betrieben und auch das Tanzbein geschwungen, der Reichsarbeitsdienst benutzte es, bevor die britischen Streitkräfte einzogen und später evangelische Gottesdienst hier stattfanden.
1926 gründete sich in Velmede-Bestwig der Katholische Jungmännerverein. Ziel der jungen Herren war es, sich zu treffen, gemeinsam über ihren Glauben zu sprechen, Sport zu treiben und auch die dafür nötigen Gerätschaften anzuschaffen. Die Männer, zwischen 18 und 24 Jahren alt, steckten voller Tatendrang. „Damals fehlte in Velmede so etwas wie ein Kulturzentrum“, weiß Heimathistoriker Wolfgang Rinschen. „Also bauten sie 1927 das Haus an der Bundesstraße.“ Dabei hieß es klotzen, nicht kleckern: Alle 18 Zimmer – darunter Schlafräume mit 20 Betten, eine Kegelbahn und eine großer Festsaal – erhielten eine Warmwasserleitung. Außerdem wurde eine für damalige Zeiten hochmoderne Zentralheizung eingebaut. „Der Verein hoffte, jedes Wochenende Besucher aus der Diözese Paderborn empfangen zu können“, berichtet Rinschen. In den Jahren 1928-1936 fanden Theateraufführungen der Velmeder Laienspielschar und anderer Bühnen aus der Umgebung im „Großen Saal“ statt. Das Haus war Treffpunkt und Trainingsort für die Turn- und Fußballriege der DJK Velmede. Und hier fand auch am 30.01.1932 die außerordentliche Generalversammlung statt, bei der der Zusammenschluss der Schützenbruderschaft Velmede und des Schützenvereins Bestwig beschlossen wurde.
Doch weder Mieteinnahmen noch die Einnahmen durch diverse Veranstaltungen reichten aus, um das Haus aus der finanziellen Krise zu bekommen. Denn der Verein war von Beginn an mit dem Bau finanziell überlastet, bei Bauende lag die Schuldenlast bereits bei 100.000 Reichsmark*. Die heimischen Handwerksunternehmen Vogel und Rickes (Maurerarbeiten), Franz Stratmann (Installationsarbeiten), Johannes Dunsche, (Zimmereiarbeiten), Josef Sauerwald (Schreinerarbeiten) und Lorenz Fliege (Dachdeckerarbeiten) waren dem edlen Zweck zuliebe in Vorleistung getreten. Da der Verein nicht alle Rechnungen bezahlen konnte, brachte das viele der Unternehmen in Schwierigkeiten. So auch die Zimmerei Dunsche. „Da wo jetzt die Eisdiele steht, war früher die Zimmerei“, erzählt Wolfgang Rinschen. „Nachdem die pleitegegangen waren, richtete sich der Jungmännerverein dort einen Fußballplatz ein. Das war natürlich praktisch, dann konnten sie im Carl-Mosterts-Haus gleich nach dem Spiel duschen gehen. Und das war auch bitter nötig.“ Er lacht. „Das war nämlich ein schwarzer Ascheplatz“.
Wer war der Mann, der als Namenspatron des Hauses gewählt wurde?
Carl Mosterts wurde 1874 in Goch am Niederrhein geboren. Er studierte Katholische Theologie und wurde 1900 in Köln zum Priester geweiht. Mosterts erfreute sich vor allem bei der Jugend zunehmender Beliebtheit. 1913 wurde er erster Generalsekretär des „Verband der katholischer Jugend- und Jungmännervereine Deutschlands“. Unter Mosterts Leitung umfasste der Verband schließlich 4.400 Vereine mit 400.000 Mitgliedern. Zahlreiche Zeitschriften brachte er heraus und regte die Gründung verschiedener anderer Verbände für die Jugend an. Früh hatte Mosters erkannt, wie wichtig gemeinsamer Sport für junge Menschen ist. Die Gründung des „Deutsche Jugendkraft, Reichsverband für Leibesübungen in katholischen Vereinen“ (DJK) geht ebenfalls auf ihn zurück. Papst Benedikt XV. ernannte Mosterts als Zeichens seines Dankes für dessen außergewöhnliches Engagement 1920 zum Päpstlichen Geheimkämmerer. Als solcher wurde Mosterts Teil des päpstlichen Hofstaats. Carl Mosterts starb früh: Mit nur 52 Jahren erlag er 1926 während eines Erholungsurlaubes in der Schweiz einer Herzschwäche.
Das Ende einer Kulturstätte
1933 verlor der Jungmännerverein seine Wirtschaftskonzession und somit seine größte Einnahmequelle. Die Regierung übernahm 1933 Haus, Grundstück und Schulden des Vereins und funktionierte das Carl-Mosters-Haus zum Standortlager für den Reichsarbeitsdienst** (RAD) um. Im Haus selbst wurde die Verwaltung eingerichtet; die 216 Reichsdienstleistenden wurden in sechs Baracken untergebracht. Damit war der Verein zwar seine Schulden los, doch das Carl-Mosterts-Haus war als Kulturzentrum und Jugendbegegnungsstätte verloren.
1945 wurde das Haus durch die britischen Streitkräfte beschlagnahmt und diente als Unterkunft für ehemalige Zwangsarbeiter. In den Jahren 1947-1948 wurde es durch die britische Dienstgruppe „Holzeinschlag“ belegt. Der große Saal wurde für Konzert- und Varietéveranstaltungen vermietet.
1948 wurde das Haus an die Gemeinde Velmede zurückgegeben. Die evangelische Kirche wurde im Haus untergebracht, die Baracken dienten als Wohnungen für Zwangsverschleppte und Flüchtlinge. 1950 zog die Wollspinnerei Koal in das Haus, bis es 1969 von der Familie Hegener aufgekauft wurde.
„Ursprünglich hießen wir ‚Ankerwicklerei’“, erzählt Simone Hegener, die jetzige Geschäftsführerin. Doch das hatte oft zur Verwirrung geführt: Statt um Schiffsanker geht es hier nämlich um die Spulen großer Elektromotoren. So stehen heute schwere Motorenteile dort, wo früher verliebte Paare bei Tanzabenden über den Boden wirbelten. „Ein Angestellter erzählte mir mal, wie das damals war“, erzählt Simone Hegener. „Die Tanzkarte kostete 10 Pfennig. Draußen standen die ärmeren Leute und warteten, bis einer rauskam und keine Lust mehr hatte. Dem kauften sie die Tanzkarte dann zu 5 Pfennigen ab.“
*Anm. Lt. Homepage der Deutschen Bundesbank (Stand 2020) entsprach die Kaufkraft einer Reichsmark (1927) etwa 3,70 Euro.
**Der Reichsarbeitsdienst wurde 1935 gegründet. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurden dazu junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren für mehrere Wochen in Arbeitslagern untergebracht, von wo aus sie für verschiedene Aufgaben eingesetzt wurden.