Eine Lebensqualität, die Städte nicht bieten können

Die Neheimerin Sabine Keggenhoff über das Bauen und Wohnen im Sauerland

Prof. Dipl.-Ing. Sabine Keggenhoff aus Neheim ist Innenarchitektin und Architektin. Als geborene Sauerländerin hat sie einen besonderen Bezug zur heimatlichen Baukultur. Sie weiß um die Geschichte und versteht es, moderne Strukturen in die gewachsene Kulturlandschaft einzubinden. 

WOLL: Wie gefällt Ihnen das Sauerland aus Sicht der Architektin? 

Sabine Keggenhoff: Ich fühle mich hier ausgesprochen gut aufgehoben. Ich selbst bin im Sauerland geboren und aufgewachsen, also hier mit Kopf und Herz verortet – persönlich und beruflich. 

Die Stadt- und Dorfstrukturen sind historisch gewachsen, sie erzählen eine lange Geschichte. Eingebettet in die grünen, schwingenden Landschaften, umgeben von einer Vielzahl an Seen, spiegeln sie vielfältige Entstehungsgeschichten. Mir ist es ein Anliegen, an erster Stelle den historischen Kontext der gebauten Umwelt in der Bewertung hinzuzuziehen. Gestaltung und Machbarkeiten der Zeit wirken prägnant auf regionale Bauweisen. Die Summe aller Teile hat damit vollste Berechtigung.  Ich schätze u. a. die traditionellen Bauten sehr, wegen der handwerklichen Qualitäten und deren Konsequenz, die den „Geist des Ortes“, in der Architektur und Innenarchitektur auch Genius Loci genannt, belegen.  

WOLL:  Fahren Sie manchmal durch das Sauerland und denken: „Oh nein!“ angesichts architektonischer Bausünden?  

Sabine Keggenhoff: Das kommt durchaus schon vor. Die gebaute Umwelt ist mein Beruf, meine Passion – und es ist mir unmöglich diese wertneutral zu betrachten. Vor allem die Nachkriegszeit hat uns baukulturell Gebäude hinterlassen, deren Qualität in der Substanz heute kaum bestehen kann. Oft handelt es sich dabei um Gebäude, die weder außen noch innen identitätsbildende Bezüge zum Ort aufweisen; mit guter Absicht entworfen, Gebäude, die die Errungenschaften der bauhausgeprägten, modernen Architektur schlicht fehlinterpretierten. Quadratisch, praktisch – des Öfteren fehlt mir persönlich das „gut“. 

WOLL:  Wo sehen Sie architektonische Meisterleistungen – an neuen als auch an historischen Bauten?  

Sabine Keggenhoff: Historisch betrachtet, denke ich an die vielen Fachwerkbauten – Meisterleistungen ihrer Zeit und darüber hinaus. Gebäude, die seit vielen Jahrhunderten existieren und dem Menschen nach wie vor ein Zuhause bieten. Mich inspiriert das Haus der Stille von Peter Kulka in Meschede. „Ein Ort in der Welt, aber nicht von dieser Welt sollte das neue Gästehaus der Abtei werden,“ heißt es und diese Leitidee ist im Gebäude jederzeit wirkungsvoll sphärisch spürbar. Das in der neueren Zeit entstandene Arnsberger Sauerlandmuseum von Bez+Kock, als auch das Gemeindehaus der Christuskirche in Neheim, geplant und umgesetzt von unserem Büro, sind aus Architekturwettbewerben hervorgegangen und als vorbildliche Bauten mehrfach preisgekrönt. Ich empfinde sie als impulsgebende Gebäude, die gekonnt zwischen Tradition und Moderne vermitteln. Diese Beispiele verstehe ich als moderne Architektur, die ein zeitgemäßes Verständnis mit dem Geist des Ortes verwebt. Es wird so ein spannungsvoller Kontrast hervorgerufen, der sein Umfeld bereichert und einlädt, räumliche Wahrnehmungen jenseits von Konventionen zu schärfen.  

Als Planende Altes mit Neuem zu fügen, stellt immer eine Herausforderung dar. Ein emphatisches Vorgehen im Prozess als auch in Bezug auf die gestalterischen Mittel ist notwendig. Besonders wenn er intensive Veränderungen mit einbezieht, kann dies polarisierende Reaktionen hervorrufen. Nicht nur der bauliche Bestand, sondern auch damit verknüpfte Assoziationen, Traditionen, Erinnerungen und Rituale werden in ein neues Gesamtgefüge eingebunden.  

WOLL:  “Baukultur ist der immaterielle Reichtum unserer Region“ ist die „Charta zur Sauerland-Baukultur in Südwestfalen“ überschrieben. Inwieweit kann der einzelne Bürger dazu beitragen?  

Sabine Keggenhoff: Im ersten Schritt geht es darum, die eigenen Sinne zu schärfen. Genauer hinschauen, die eigene, gebaute Umwelt in den Blick nehmen und dadurch ein Gespür für Baukultur zu entwickeln.  

Im Auge des Betrachters ist die Bewertung der gebauten Umwelt etwas sehr Subjektives. Da wir aber diese gemeinsam erschaffen, ist ein Dialog essenziell. Eben dieser stellt bereits einen immens wichtigen, baukulturellen als auch gesellschaftlichen Beitrag dar. Gleichgültigkeit ist hier fehl am Platz, denn Gleichgültigkeit sorgt für Beliebigkeit, Beliebigkeit führt zu Identitätsverlust. 

WOLL: Schwarz-weiße Fachwerkhäuser, Schieferdächer und die Einbettung in das Grün der Wiesen und Wälder sind typisch für das Sauerland. Passen sich auch moderne Häuser an die für das Sauerland typischen gestalterischen Parameter an?  

Sabine Keggenhoff: Mit unserem heutigen Bewusstsein um das Bewahren eines baukulturellen Erbes, betrachte ich die Ist-Situation als richtungsweisend. Es ist wichtig anzuerkennen, dass Architektur schon immer dem Wandel der Zeit verschrieben war. In dem Sinne würde ich moderne Architektur per se nie als etwas „Fremdes“ beschreiben, dass sich anzupassen hat. Im Gegenteil, den Kontrast zwischen alt und neu herauszuarbeiten, ist ein wichtiges architektonisches Stilmittel – es geht im Kern um Respekt und Achtsamkeit. Andernfalls laufen wir Gefahr, dass unsere Gebäude durch simples Kopieren aussagelose, historisierende Repliken werden. 

Seit einigen Jahren wird dem ländlichen Raum in weiten Architekturdiskursen wieder ein höherer Stellenwert beigemessen. Die Lebensqualität in naturnahen, weitläufigeren Strukturen mit ausgeprägtem sozialen Netzwerk hat viele Anreize, die Städte einfach nicht bieten können. Coronabedingt haben sich diese Diskurse um den ländlichen Raum noch einmal positiv intensiviert. Das Leben im Lockdown hat bei vielen Menschen ein Umdenken herbeigeführt. Ein möglicher Rück- oder Zuzug neuer Bewohner könnte gestalterische Impulse und neue, z.B. infrastrukturelle Bedürfnisse mitbringen, im privaten wie im öffentlichen Raum. Ziel dabei: bestehende Strukturen zu beleben, um die Stadt- und Dorfkerne wieder zu reaktiveren. Es ist in jedem Fall hochinteressant, wie sich diese Phase unseres Lebens auch langfristig baulich auswirken wird. 

WOLL: Welche Trends haben sich in den letzten Jahren im Bereich Innenarchitektur durchgesetzt?  

Sabine Keggenhoff: Eine der bedeutendsten Strömungen unserer Zeit, geknüpft an unsere gesellschaftlichen Wertvorstellungen und die sog. ‚Megatrends‘, ist das Thema der Nachhaltigkeit. Dies bezieht sich auf alle Parameter von Planungs- und Herstellungsprozessen, vom Objekt über den Raum bis zum Gebäude. 

Trends in Einrichtungsfragen tangieren uns lediglich bedingt, wir agieren hier so unabhängig wie möglich. Wir treten ein für eine qualitativ hohe Material- und Produktbeschaffenheit sowie eine außerordentlich hohe handwerkliche Qualität in der Verarbeitung. Nutzer spüren die Authentizität von Material, die durch Natürlich- und Langlebigkeit zum Tragen kommt. Unsere Konzeptionen denken Patina, eine würdevolle Alterung, immer mit. Geschichten, die Material und Objekt durch ihre Nutzung erzählen, haben einen immens hohen und nachhaltigen Stellenwert. 

Zur Person

Die Innenarchitektin Sabine Keggenhoff konnte die Qualifizierung zur Architektin durch die Realisierung diverser Hochbauprojekte erlangen. Über den sog. „Genieparagrafen“ der Landesbauordnung NRW, der dies unter anspruchsvollen Voraussetzungen zulässt. 

Von innen nach außen, von außen zurück: KEGGENHOFF | PARTNER bietet durch die Verknüpfung der Disziplinen Architektur und Innenarchitektur einen nachhaltigen Mehrwert, der das Potenzial von Raum zielführend, angemessen und atmosphärisch zu vermitteln vermag. 2001 von Sabine Keggenhoff und Michael Than in Arnsberg-Neheim gegründet, agiert das Büro deutschland- und europaweit. In interdisziplinären Projektteams werden vielfältige Aufgaben in variierenden Größenordnungen bearbeitet. 

Ihre Beziehung zur Innenarchitektur nahm in den 80er Jahren ihren Anfang, inspiriert durch eine Nachbarsfamilie: Das Zuhause der (Kunst-)Sammlerin und des Bauingenieurs „kontrastierte durch klare Linienführung mit einer guten Portion Selbstbewusstsein den restlichen Ortskern“. Die beiden nahmen Vorbildcharakter für die damals Jugendliche an, die so eine besondere Sensibilität gegenüber Wohnumfeldern entwickelte. „Immer schon war ich gerne Beobachterin mit einem analytischen Geist. An einem Tag in den 80er Jahren verstand ich dann zum ersten Mal, dass Raum als Kommunikationsmittel funktioniert, einen Ausdruck der eigenen Identität formuliert. Ohne Worte, immens aussagekräftig. Ich war beeindruckt, verzaubert – und mein Berufswunsch stand fest.“ 

Sabine Keggenhoff arbeitet und lebt in einem sehr offenen Grundriss, weitläufig, kommunikativ und lichtdurchflutet.“ Ihr Arbeitskontext ist farblich in schwarz-weiß gehalten – „bis ins Detail, da bin ich sehr konsequent.“ Diese Kombination erzeugt für sie „einen inspirierenden Kontrast und besticht gleichermaßen durch seine ordnende Neutralität.“ Und weiter erklärt sie: „Wie ein Passepartout rahmt dieses Konzept meine Gedanken und Impulse. Dieses bietet Raum und Freiheit in der vertrauensvollen und mich ausfüllenden Arbeit für unsere Auftraggeber – vor allem in der täglichen intensiven Auseinandersetzung mit Material, Form und Farbe.“