
Sauerländer Köpfe: Franz Heimes-Sporing
Es sind die Geschichten, die wahrhaftig Geschichte schreiben. Und wer könnte sie besser erzählen als jemand, der sie fast 100 Jahre erlebt? Wir haben mit Franz Josef Heimes-Sporing aus Grafschaft gesprochen und sind mit ihm auf eine beeindruckende Zeitreise gegangen.
„Mein Rufname ist Franz, Sporing heißt unser Haus. Und genau hier bin ich auch 1927 geboren“, erklärt der gebürtige Grafschafter. Schnell zählt er auf, welche Familien in welchen Häusern leb(t)en. „Ja, ja, so war das früher mit den Hausnamen. Das ist bis heute geblieben, auch wenn sich die dazugehörigen Familiennamen geändert haben. Wenn du Heimes-Sporing sagst, weiß nicht nur jeder, wer ich bin, sondern auch, wo ich wohne.“ Als Dorfältester kennt er alle – und alle kennen ihn.
Seine Schulzeit verbrachte er im Kloster Grafschaft. Acht Jahre lang besuchte er dort die Schule, dann ging es für ein Jahr auf die Handelsschule nach Schmallenberg. 1947 nahm er den Zug zur Landwirtschaftsschule nach Altenhundem und später besuchte er die Landesforstschule in Allagen. Land- und Forstwirtschaft sind sein Leben. Die harte Arbeit auf dem elterlichen Hof und nicht zuletzt die Kriegsjahre haben ihn geprägt. Landwirtschaft, Waldwirtschaft, Viehhaltung und eine mit Wasserrad betriebene Mühle bestimmten den Alltag. 1926 wurde dort eine Turbine installiert. Sein Vater hatte das Müllerhandwerk gelernt. Mit ihrer Getreidemühle belie- ferte die Familie Heimes ganz Schmallenberg mit Mehl.
Franz war das älteste von sieben Kindern, und alle mussten mit anpacken. Das Feld wurde mit Pferden bestellt, das Holz mit Hilfe von Pferden aus dem Wald geholt. Maschinen gab es nicht. Erst 1950 kam der erste Trecker – aber dazu hat Franz eine klare Meinung: „Mit dem Trecker ist man schon mal im Schlamm stecken geblieben, mit den Pferden nie.“
„Die Not war bei allen groß“
Die Kriegsjahre hinterließen tiefe Spuren. Seine Erinnerungen an diese Zeit sind mehr als präsent. Im Krieg war der Hof Heimes-Sporing das Hauptquartier von Generalfeldmarschall Model. „Das mussten wir schlucken, da gab es kein Vertun. Zwei Häuser weiter war das Lazarett. Diese Bilder vergisst du nicht“, erinnert sich Franz Heimes.
Kurz vor Kriegsende passierte das Unfassbare. Am 4. April 1945 wurde Grafschaft schwer bombardiert – nur das Kloster blieb verschont. Es diente den Dorfbewohnern in der ganzen Zeit als Zuflucht, ein sicherer Ort in unsicheren Zeiten. Dass das Kloster nicht zerstört wurde, lag wohl an einer besonderen Verbindung: Die Frau des Vermögensverwalters vom Freiherr von Fürstenberg war eine Französin und hatte durch politische Kontakte bewirken können, dass das Kloster verschont blieb. Doch sein Elternhaus wurde dem Erdboden gleichgemacht. „Man stand vor dem Nichts“, erinnert er sich mit Tränen in den Augen. „Es gab danach im ganzen Dorf keinen Strom, Baumaterial war knapp. Jeder brauchte Hilfe. Unser Dorf sah aus wie ein Schlachtfeld. Zerstörte Häuser, tote Tiere – es war schlimm“, nachdenklich und traurig erinnert er sich an diesen Wahnsinn. Auf der anderen Seite beschreibt er den Zusammenhalt der Grafschafter: „Jeder hat jedem geholfen. Die Not war bei allen groß. Sechs Monate später stand unser Haus wieder. Und die ganze Zeit hat meine Mutter in unserer Mühle an einen Soldatenofen für 30 Leute gekocht, die uns beim Wiederaufbau geholfen haben. Ich sehe sie noch am Herd stehen.“
Er erinnert sich auch noch gut an die harten Winter damals. Die Kinder aus dem benachbarten Dorf Schanze hatten oft schulfrei – sie konnten sich durch den Schnee nicht den Weg ins Kloster bahnen. Franz Heimes-Sporing lacht: „Fakt ist, die Schanze-Kinder sind in Summe nur sieben Jahre zur Schule gegangen. Da stand im Winter vieles still.“ Aber nicht auf seinem Hof. Da wurde in der Jahreszeit geschlachtet, das Fleisch geräuchert und verarbeitet.
„Im Winter holten wir das Holz mit Pferd und Schlitten aus dem Wald und bearbeiteten es mit dem Schäleisen. Dann wurde es mit dem Pferdewagen nach Fleckenberg gebracht. Ich erinnere mich noch, als wir das Holz transportierten – da stand in Schmallenberg am Rathaus eine Litfaßsäule. Unsere Stämme waren so lang, dass wir sie, als wir die steile Kurve fuhren, umgerissen haben. Das war ein Theater!“
Der Elektrouzaun
Aber das ist, nach seinen Aussagen, im wahrsten Sinne alles Schnee von gestern. Die ganzen Neuerungen und Innovationen und technischen Fortschritte, die er im Laufe der Jahrzehnte mitgemacht hat, sind extrem. Zum Thema Neuerungen fällt ihm eine Geschichte ein, über die noch heute herzhaft gelacht wird – aber damals war es ein Schock: „Wir kamen mit ein paar Jungs um 5 Uhr morgens vom Schützenfest Oberkirchen. Der Stall und die Viecher warteten schon. Und auf der Almert gab es 1950 den ersten Elektrozaun, das wussten wir doch nicht. Nachts auf dem Rückweg musste dann einer von uns mal.
Seine Notdurft richtete er im Strahl auf den Draht und plötzlich lag er da. Das war richtig unheimlich, bis wir dem Phänomen auf den Grund gegangen sind und wussten was passiert war. Ja, ja, so war das.“ Die Natur war für Franz immer von größter Bedeutung. „Meinen Kindern habe ich immer gesagt: Unser Wald ist euer Sparbuch.“ Doch dann kam der 18. Januar 2007, die Nacht, in der Kyrill wütete. „Alles, was ich für meine Kinder angepflanzt hatte, war plötzlich weg.“ Doch Aufgeben war keine Option. Wieder hieß es im Dorf: anpacken, neu aufforsten – bis der Borkenkäfer kam und erneut alles zerstörte. „So schnell kann es gehen. Man sieht seine ganze Arbeit in Trümmern liegen.“

Mehrgenerationenhaus
Drei Währungen hat Franz erlebt: 1931 die Reichsmark, 1948 die D-Mark und schließlich 2002 den Euro. Die Liebe seines Lebens, seine Frau Ingrid Schauerte, lernte Franz in Grafschaft kennen, obwohl sie keine gebürtige Grafschafterin war. Ihre Eltern stammten zwar aus dem Sauerland, doch sie selbst wurde in Berlin geboren. Erst durch den Krieg kam sie ins Sauerland zurück und lernte – wie fast alle Frauen damals – in der Küche. Sie arbeitete in der Grafschafter Gaststätte Köster (Haus Vollmers). 1961 heirateten die beiden und bekamen fünf Kinder. Bis heute wird das Mehrgenerationenhaus gelebt – sein ältester Sohn und mittlerweile sein Enkel haben den Hof übernommen. Natürlich schaut er bei täglichen Arbeit auf dem Hof nach dem rechten. Eigens dafür hat er sich einen Arbeitsrollator gebaut: „Da ist alles drin, was ich eventuell brauche, und Sicherheit gibt er mir allemal“, fügt der rüstige Landwirt hinzu.
Franz hat viel erlebt – Krieg, harte Arbeit, den Wandel der Zeit. Doch eins bleibt ihm immer: die Verbundenheit zu seiner Heimat, seiner Familie und den Geschichten, die er weitergeben kann. Geschichten, die Geschichte schreiben.