Ein „westfälisch-sauerländischer“ Brückenbauer

Regierungspräsident Heinrich Böckelühr steht vor großen Herausforderungen

Seine Ernennung zum Regierungspräsidenten durch den Ministerpräsidenten Wüst hätte treffender kaum sein können. Heinrich Böckelühr ist in Schwerte geborener Spross eines Gutshofs in Ergste, dessen Familie in der Region verwurzelt ist und erstmals 1096 erwähnt wurde. Abitur in Schwerte, Bundeswehr und danach Studium der Rechtswissenschaften in Bochum, Referendariat in Hagen und von 1999 bis 2017 Bürgermeister seiner Heimatstadt Schwerte, anschließend bis 2022 Präsident der Gemeindeprüfungsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen in Herne. Seit dem 1. September ist Heinrich Böckelühr Regierungspräsident des Regierungsbezirks Arnsberg, ein Bezirk, der ihm aufgrund seiner persönlichen Geschichte und Erfahrungen nur allzu vertraut ist. Seine Herkunft definiert er als „so richtig westfälisch-sauerländisch“.

Krisen managen

Heinrich Böckelühr ist bewusst, dass er sein Amt in einer schwierigen Zeit antritt und seine Ankündigung, er werde „Brücken bauen“, sich auf diverse Anforderungen beziehen muss. Krieg, Flüchtlinge, Energieknappheit, Inflation, wachsende Armut, Corona – kurze Bezeichnungen für Zustände und Situationen, auf die auch auf Bezirksebene angemessen reagiert werden muss. „Im Moment managen wir hier vorrangig Krisen. Ich komme kaum noch zum Durchatmen. Das Thema, was mich besonders umtreibt, sind die Flüchtlinge. Wir sind landesweit zuständig für deren Registrierung und Unterbringung.“ Der Regierungspräsident kennt auch die andere Seite des Schreibtisches. Als Bürgermeister von Schwerte bekam er vom damaligen Amtsvorgänger die Anzahl der vollen Busse genannt, deren Insassen oft noch am selben Tag untergebracht werden mussten. Im Moment ist Hermann-J. Hoffe und Rainer Mohrmann Hermann-J. Hoffe Ein „westfälisch-sauerländischer“ Brückenbauer Regierungspräsident Heinrich Böckelühr steht vor großen Herausforderungen Heinrich Böckelühr sicher, dass die Flüchtlingszahlen weiter steigen werden und dabei Obdachlosigkeit vermieden werden muss. Zusammen mit den Kommunen müsse eine humanitäre Katastrophe im Winter verhindert werden. Bisher seien die Flüchtlinge seit Kriegsausbruch „eigentlich gut untergebracht“. Aber der Wohnraum sei endlich und es müssten neue Unterkünfte gefunden werden. Es müsse Puffer in Landeseinrichtungen geben und Provisorien müssten errichtet werden. „Lösungen müssen als Gemeinschaftsaufgabe angegangen werden. Es nützt nichts, wenn jede politische Ebene auf die nächsthöhere zeigt und sagt, die solle es doch lösen“, sagt der Regierungspräsident im Gespräch mit WOLL.

Er appelliert an alle demokratischen Parteien, in dieser Situation zusammenzustehen, auch um zu verhindern, „dass extreme Parteien von rechts oder links die Meinungshoheit über dieses Land bekommen.“ Heinrich Böckelühr hebt seinen guten Kontakt zu den 78 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, den fünf Oberbürgermeistern sowie den sieben Landräten im Bezirk hervor, der helfe, viele Dinge „gut hinzubekommen. Ich versuche immer, den kurzen Draht zu den Kommunen zu halten.“

„Müssen uns einschränken“

Die Gasmangellage beschäftige die Bezirksregierung eher nur im Innenverhältnis. „Die Heizkörper sind auf 19 Grad gestellt, auf den Fluren sind sie komplett abgestellt, wie auch das warme Wasser im Haus.“ Solche Mangellagen zuletzt noch die Eltern und Großeltern nach dem Krieg erlebt. Als Kind der Wohlstandsgesellschaft habe er immer nur erlebt, dass alles Notwendige gekauft werden konnte. Auch die Inflation sei nie ein Thema gewesen, mit dem er sich jetzt aber beschäftigen müsse, sagte Heinrich Böckelühr. Aber „so wie es ist, wird es nicht bleiben. Wir werden an Wohlstand verlieren und uns einschränken müssen“, ist sich der Regierungspräsident sicher.

Kritisch sei auch die Situation für diejenigen, die in den vergangenen Jahren eine Immobilie erworben und diese knapp finanziert hätten: „Wie wollen die das alles bezahlen?“ Auch sei die Frage, wann der Staat an die Grenzen komme, um alles ausgleichen zu können. „Mir wird angst und bange bei all den Sondervermögen. Wer bezahlt das denn eigentlich am Ende? Es bezahlen die nachfolgenden Generationen“, sagt Heinrich Böckelühr.

Eine große weitere Sorge beschäftigt Heinrich Böckelühr, nämlich, dass die gesamte Wirtschaftsstruktur in Südwestfalen „in ihrem Bestand gefährdet ist“. Die Hauptschlagader durch die Region sei nun mal die A45 und das Problem fange in Dortmund an und höre weit hinter Siegen auf. „Eine der stärksten Wirtschaftsregionen Deutschlands ist hier in Südwestfalen“, die Industrien westlich und östlich der A45 seien auf diese Autobahn angewiesen. Zwar sei die Bezirksregierung nicht für die Planung und weitere Arbeitsschritte verantwortlich, aber mit den Industrie- und Handelskammern entlang der A45 sei man natürlich im Austausch. „Ich kann ja nur so etwas wie ein Lautsprecher oder Verstärker für die Positionierung sein und mich an die Seite der Betroffenen, insbesondere der Wirtschaft, stellen. Und das ist ja nicht nur eine Frage der Wirtschaft und von Unternehmen. Da hängen die Menschen dran. Wir sind mit Inflation, Rezession, Gasmangellage und weiteren großen Aufgaben konfrontiert. Wenn die Menschen aber demnächst noch ihre Arbeitsplätze verlieren, weil die Unternehmen ihre Flügel strecken, dann haben wir hier in unserer Region ein Riesenproblem.“

Region muss ihren Beitrag leisten

Der Regierungspräsident plant außerdem, mit den Waldbauern der Region über Konzepte und neue Antworten zu sprechen. Unter anderem durch Sturmschäden sind Generationen von Waldbauern in existentielle Bedrängnis geraten. Viele Waldbauern sähen heute eine gute Möglichkeit des Verdienstes mit Windkraft, bei den hohen Pachten, die aktuell gezahlt würden, sagt Heinrich Böckelühr.

Eine gewisse Flexibilität fordert der Regierungspräsident bei der Energiegewinnung in Zukunft ein: „Ich bin nicht davon überzeugt, dass man ausschließlich mit Windkraft russisches Gas substituieren kann, aber wir werden auch im Gedanken an Klimaschutz und Klimawandel überlegen müssen: Wie kriegen wir die erneuerbaren Energien nach vorne? Und wir werden auch nicht sagen können, Windräder finde ich total super, aber nicht bei mir. Sondern auch wir müssen uns hier in der Region mit der Frage auseinandersetzen, auch Windenergieanlagen zu haben. Ich bin Vertreter der Landesregierung in der Region“, erklärt er und verweist auf den NRW-Koalitionsvertrag, in dem man sich auf die Windenergie als wesentliches Thema verständigt habe, das die neue Landesregierung vorantreiben wolle. Dabei verweist er darauf, dass die Zuständigkeit für die Genehmigung von Windenergieanlagen gemäß Koalitionsvertrag künftig bei den Bezirksregierungen liegen solle. Die gesetzliche Grundlage habe der Bundestag im Sommer mit der Maßgabe geschaffen, dass Nordrhein-Westfalen 1,8 Prozent der Landesfläche mit Windenergieanlagen zu versehen habe. „Ich persönlich vertrete nicht die Auffassung, dass auf jedem Berg ein Windrad stehen muss. Ich vertrete aber sehr wohl die Auffassung, dass auch unsere Region ihren Beitrag leisten muss“, bezieht der Regierungspräsident deutlich Stellung.

Man müsse sehen, wo es Sinn mache, Anlagen zu konzentrieren. „Wir dürfen uns da keine Denkverbote im Vorfeld auferlegen“, fordert er eine Flexibilität aller Beteiligten ein. „Wir haben ja auch Einschränkungen, zum Beispiel bei FFH-Flächen, wo nichts mehr geht.“ Heinrich Böckelühr geht davon aus, dass hierüber in nächster Zukunft noch „viele endlose Diskussionen geführt werden“. Und der Regierungspräsident lässt keinen Zweifel daran, dass er als erfahrener Bürgermeister an den Diskussionen teilnehmen wird. „Wasch mir den Pelz und mach mich nicht nass, wird nicht funktionieren. Und dass im Zweifel auch diese Region eine besondere Aufnahme von Windenergieanlagen haben wird, muss man auch sagen“, kündigt er ausgleichende Gespräche an.

Vision für eine gute Zukunft

Eine weitere Möglichkeit der Energiegewinnung sieht er in der Nutzung von Photovoltaik auf Hausdächern oder entlang der Autobahntrassen. Aber dazu müssten Gesetze geändert und für die Betreiber müsste die Realisierung attraktiver gestaltet werden. Selbst wer als Privater Dächer mit Photovoltaik versieht, muss heute ein Gewerbe anmelden und Gewerbesteuer zahlen. „Alleine Windräder, alleine Photovoltaik, alleine Wasserkraft vermögen nicht, das zu substituieren, was wir an Gas verlieren“, stellt Heinrich Böckelühr fest. Dabei sei es erforderlich, eine Unabhängigkeit vom Gas zu erreichen.

Bei den Windkraftanlagen halte er Erleichterungen für die Kommunen, die die Belastungen tragen für sinnvoll. Auch das Thema „Bürgerwindräder“ kommt immer mehr in die Diskussion. Wer sich da beteiligt, bekommt günstigeren Strom. Da müssen verschiedene Dinge diskutiert werden, um Akzeptanz zu schaffen. „Wer die Augen davor verschließe, dass es hier in Südwestfalen mehr Windräder geben wird, verkennt die Realität. Es ist nur die Frage, wie man es vernünftig steuert, wie man es organisiert“, setzt der Regierungspräsident Maßstäbe.

Er gesteht aber ein, dass sich das Ruhrgebiet bei der Windkraft- Planung nicht herausstehlen könne. Die Last könne nicht an Südwestfalen oder der Eifel abgeladen werden. Beim Blick auf den gesamten Regierungsbezirk müsse auch das östliche Ruhrgebiet mit beachtet werden. Beide Teilregionen müssten als Einheit verstanden werden, die in einem engen Austausch zueinander stehen.

Die A45 mit der Rahmedetalbrücke und die Sorge der davon abhängigen Wirtschaft ordnet Heinrich Böckelühr als das Kernproblem ein, als „Dominostein, der alles andere zum Umkippen bringt, wenn das mit dieser Autobahnhrücke hier nicht zügiger geht“. Hier stellten sich Fragen nach strukturellen Hilfen, wie man sie im Ruhrgebiet hatte. „Es ist zumindest überlegenswert, dass man daran anknüpfen kann“, ist die Vision des Regierungspräsidenten für eine gute Zukunft.