Ein Tag auf dem Holzlaster

Langholzfahren auf Sauerländer Kurvenstrecken

Unterwegs erzählt der Langholzfahrer von den Anfängen des Oberkirchener Fuhrunternehmens Tigges, das von seinem Bruder geführt wird. Seit fast 100 Jahren fährt Familie Tigges alles, was im Sauerland zu transportieren ist – erst mit Pferden, seit 70 Jahren mit LKWs. Dabei sind Flexibilität und Einfallsreichtum wichtig: Der Holzlaster ist so konstruiert, dass er bei Bedarf einen normalen Sattelauflieger ziehen kann, wenn gerade kein Langholz zu fahren ist. Zur Zeit liegen im Wald allerdings mehr vom Borkenkäfer geschädigte Bäume, als von den Sauerländer Holzlastern zusammen transportiert werden können. Deshalb sind die Bestimmungen gelockert worden: Ausnahmsweise darf Christoph Tigges mehr Tonnen Holz auf den Laster packen als dessen Eigengewicht: 44 t ist im Augenblick das zulässige Gesamtgewicht, d.h. 25 t Ladung liegt später auf dem Wagen.

Schlammige Wege führen in den Wald. Das Fahrerhaus biegt Büsche und junge Laubbäume an die Seite. Manchmal verdecken Äste die Windschutzscheibe, doch der Fahrer weiß genau, wo der Weg verläuft. Er erreicht eine Mondlandschaft: links nur Fichtenstümpfe, soweit das Auge reicht, rechts noch ein Wald, der vom Borkenkäferfraß schwer gezeichnet ist. Schmale, hohe Bäume liegen zu Poltern aufgeschichtet. Neben einem davon setzt Christoph Tigges mit dem Kran den Nachläufer auf den Boden. Mit den ersten Stämmen, die er auflädt, schiebt er den Nachläufer geschickt auf die passende Länge nach hinten. „Da muss man aufpassen, dass die Druckschläuche und Kabel nicht beschädigt werden, die beide Teile des Fahrzeuges verbinden“, erklärt er.

Unter Spannung

Von seinem Sitz auf dem Kran aus sortiert er die Stämme sicher auf die Ladefläche. Einige liegen falschherum. Der Kran wird zum verlängerten Arm des Kranführers, er dreht die Stämme in die richtige Richtung. Dann kommen Jogger vorbei. „Das ist gefährlich“, ärgert sich Christoph Tigges, „ich konzentriere mich auf die Stämme, die sind wirklich schwer und können unter Spannung stehen. Da kann immer etwas abrutschen. Fußgänger und Radfahrer sollten unbedingt warten, wenn ein Holzlaster gerade lädt, und Blickkontakt mit dem Fahrer suchen. Dann lässt er sie gerne zügig und sicher vorbei. Aber sich einfach so am Fahrzeug vorbeizuquetschen, das ist lebensgefährlich!“

Vor der Abfahrt überprüft er die Länge der Stämme. Am hintersten Stamm wird eine rote Fahne befestigt. „Wenn ein Stamm zu weit übersteht, muss ich ihn mit der Motorsäge kürzen. Auf 20 m maximal, damit das Fahrzeug insgesamt nicht länger als 25 m ist. Das Kürzen ist auch nicht ungefährlich.“ Mit Schaudern erinnert er sich: Am 1. Juli 2002 musste Holz im Ilsetal im südlichen Wittgensteiner Land geladen werden. Wie immer war Christoph Tigges allein unterwegs. Beim Kürzen eines hinten überstehenden Stammes verklemmte sich die Motorsäge. Als die Baumspitze schließlich abbrach, wurde er die Böschung hinuntergeschleudert und von abgebrochenem Holz schwer getroffen. Sieben Knochenbrüche, unter anderem der Kiefer, 18 ausgeschlagene Zähne und ein Riss in der Schlagader waren die Folge. Wenn Waldarbeiter Erwin Dreisbach aus Erndtebrück das Geschehen nicht beobachtet hätte, würde Christoph Tigges heute nicht mehr leben. Dreisbach leistete beherzt erste Hilfe und rief den Rettungshubschrauber. Der konnte im Wald nicht landen, sondern wartete auf einer Wiese weiter unten im Tal. Dreisbach sollte den Verletzten eben schnell mit dem Rücketraktor zum Landeplatz bringen. Doch der Holzlaster stand im Weg. „Ich bin mit dem Traktor einfach hinter dem Laster die Böschung rauf und vor dem Laster wieder runter gefahren. Beim Runterfahren habe ich krachend aufgesetzt. Das hätte ich normalerweise niemals gemacht“, erzählte der Retter später dem Geretteten. Mit dieser Aktion rettete Erwin Dreisbach Christoph Tigges das Leben. Die beiden verbindet seither eine tiefe Freundschaft.

Inzwischen ist die Ladung im Wald oberhalb von Niederhenneborn fest verzurrt, gesichert und der Kran wieder auf dem Fahrerhaus zusammengefaltet. Über eine kurvenreiche Strecke geht es durch den Wald hinunter zur Landstraße. Wenn sich der Nachläufer nicht mit einem kleinen Joystick separat lenken ließe, wäre es unmöglich, die engen Kurven zu nehmen. Mehrere Rückspiegel und auch Videokameras unter dem Gefährt helfen dabei, den Überblick zu behalten.

Gebaut wurde das Spezialfahrzeug auf Basis eines normalen LKWs bei der Firma Krämer in Bad Berleburg – ganz nach den Wünschen von Familie Tigges. Viele Details wurden dabei gemeinsam ausgeklügelt. Ende der 80er Jahre hat Christoph Tigges selbst bei der Firma Krämer LKW-Mechaniker gelernt. Deshalb kann er sein Fahrzeug selbst warten. „Das würde ich auch keinem anderen überlassen. Ein Fahrzeug in perfektem Zustand ist meine Lebensversicherung.“ Mit so einem Gerät muss man umgehen können, viel Erfahrung und Gespür sind dabei unverzichtbar. Die rechte Hand am Lenkrad, die linke für den Nachläufer am Joystick – so geht es durch den Wald, um die Kurven, hinunter zur Straße.

Ein Rohstoff ohne Abfall

Ziel der Fahrt ist das Sägewerk der Familie Fabri in Grevenstein. Ein Holzlaster nach dem anderen lädt dort Fichtenstämme ab. Vor Ort wird das Holz vermessen und sortiert. Das Sägewerk Fabri ist ein sogenannter „Schwachholzverarbeiter“, also der perfekte Betrieb, um vom Borkenkäfer getötete Bäume zu nutzen. Die Bäume müssen leider oft gefällt werden, bevor sie die Stärke für zum Beispiel hochwertiges Bauholz erreicht haben. Aus den besten Stämmen entstehen immerhin Dachlatten oder gehobelte Bretter für den Innenausbau. Das meiste Material verwandelt sich jedoch in Verpackungsholz für die Industrie. Die Kanthölzer werden zum Beispiel verwendet, um Coils – schwere Rollen aus gewalztem Blech – für den Transport zu sichern. Wenn man aus runden Stämmen etwas Eckiges macht, fallen natürlich eine Menge Späne an. „Das Schöne am Rohstoff Holz ist, dass es eigentlich keinen Abfall gibt“, erklärt Christoph Tigges. Aus Sägemehl werden Spanplatten, aus gröberen Spänen gröbere Platten und die noch größeren Stücke gehen in die Papierindustrie. Die Nachfrage nach guten Holzprodukten ist so groß, dass alle drei bis vier Wochen der ganze, große Holzlagerplatz der Firma Fabri umgeschlagen wird.

Kaum sitzt der Nachläufer wieder auf der Zugmaschine, geht für Christoph Tigges der Arbeitstag weiter. Zwei Fahrten zwischen Hellefeld und Hirschberg stehen noch auf dem Programm. Die Pausen macht er am liebsten im Wald. Zur Not könnte er sogar in seinem Fahrerhaus übernachten, alles notwendige ist eingebaut. In der Regel ist er aber abends wieder zu Hause. Gegen 17:30 Uhr endet der Arbeitstag, wenn der Wagen gereinigt und aufgetankt auf dem Platz des Fuhrunternehmens in der Wolfskuhle bei Oberkirchen steht.