Ein Posaunist ohne Schützenfest

Foto: Philip Nolte

Wie Covid-19 den Alltag einer Musikkapelle durcheinanderbringt

Seine Posaune steht am Notenständer vor dem Fenster. In den letzten Monaten stand Jonas Wal-ter oft hier und spielte für seine Nachbarn ein Ständchen. Anfangs nur als Zeitvertreib und um seine Mitmenschen ein bisschen von der Corona-Pandemie abzulenken. Später, als sein direkter Nachbar an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung verstarb, versuchte er den Hinterbliebenen etwas Trost zu geben. „Zu dem Zeitpunkt herrschte noch der Lockdown und ich konnte ja nicht einfach rü-bergehen und mein Beileid ausdrücken“, erzählt Jonas Walter. Der Betriebswirt ist seit 18 Jahren Mit-glied im Musikverein Amecke und die Maßnahmen der Corona-Pandemie tre­ en auch den 30-Jährigen und seinen Verein schwer. Denn was macht ein Posaunist ohne Schützenfest?

„Aktuell ist es wirklich schwer, alle zu motivieren. Bei den Proben fehlt uns einfach das Ziel“, erklärt der Musiker ehrlich. Er und seine Kollegen aus dem Verein begleiten eigentlich jeden Sommer mindestens drei Schützenfeste als Festkapelle. Außerdem sorgt er abends als Mitglied der Tanzkapelle “Sorpebeats“ für die richtige Stimmung in der Halle.  Doch in diesem Jahr ist alles anders. Die Corona-Pandemie verdon-nerte auch den Musikverein Amecke zu einer wochenlangen Zwangspause. Erst seit kurzem dürfen die Musiker wieder ihre Stücke einüben und das auch nur, wenn sie die strengen Auflagen einhalten. So müssen sie beispielsweise mindestens zwei Meter Abstand voneinander halten und den Schalltrich-ter ihres Instrumentes mit einem Schutz bedecken. Zu groß ist die Gefahr, dass beim Spielen Aerosole abgegeben werden, die möglicherweise Viren enthalten können. Und weil das Vereinsheim für diese Auflagen einfach zu klein ist, probt die Kapelle zurzeit in der Schützenhalle. „Wenn das der Preis ist, dann zahlt man ihn natürlich auch“, sagt Jonas Walter. Doch ohne ein Schützenfest oder ein Konzert, fehlt das Hauptziel, für das man sonst regelmäßig proben muss. Dadurch ist die Stimmung unter den Musikern etwas getrübt.

Foto: Philip Nolte
Foto: Philipp Nolte

Musikunterricht per Video-Schalte

Doch viel problematischer ist die Situation für die Jugend-arbeit. Im Musikverein Amecke sind Musiker schon ab dem Grundschulalter willkommen, aber ohne regelmäßige Proben, bleibt die Motivation der Kleinsten schnell auf der Strecke. Deswegen hatte sich der Verein während der Kontaktsper-re etwas Besonderes einfallen lassen: Der Musikunterricht wurde per Videoschalte fortgesetzt und die Lehrer haben den Schülern per Live-Schalte genaue Anweisungen gegeben. Zwar weiß auch der Posaunist, dass das die regulären Proben nicht ersetzen konnte, doch während des Lockdowns mussten sich alle etwas einfallen lassen.

Aber auch wenn die Proben wieder anlaufen, bleiben die Schützenfeste und auch alle anderen Veranstaltungen bis auf weiteres verboten. Besonders bitter für den 30-Jährigen, der nicht nur die ausgelassene Stimmung in der Halle vermisst: „Wir spielen seit Jahren immer in den gleichen Orten und ich habe dort echte Freunde gefunden. Auf die freue ich mich jedes Jahr und es ist wirklich schade, dass ich in diesem Jahr nicht mit ihnen feiern kann.“

Nicht nur die Schützenfeste fallen dieses Jahr ins Wasser, auch die Vereinstour musste abgesagt werden. „Das Risiko ist ein-fach zu groß und die Kosten kann der Verein dieses Jahr nicht stemmen“, erklärt der Musiker und empfindet die Absage besonders hart. So eine Tour schweiße das Team zusammen, meint er. „Wir spielen jedes Jahr komplett unentgeltlich. Das Geld, dass die Kapelle für ein Schützenfest bekommt, fließt zu 100 Prozent in den Verein. Wir müssen ja sogar im Jahr mehrere Tage Urlaub nehmen, sonst schafft man so ein Schützen-fest nicht… Da muss die Stimmung in der Truppe schon echt gut sein und man muss super zusammenpassen. Sonst macht man so ein Hobby nicht.“ – Und gerade diese Stimmung macht den Reiz für Jonas Walter aus.

Foto: Philipp Nolte
Foto: Philipp Nolte

Doch wie geht es nun für die Musiker weiter?

Der 30-Jährige zuckt niedergeschlagen mit den Schultern. Im Januar sei gemeinsam mit dem Schützenverein ein Winterschützenfest geplant, an dem man bisher festhalten wolle. Ob es wirklich stattfinden kann, bleibt unklar. Aber eins weiß er jetzt schon: Nächste Saison muss wieder gespielt werden, denn dem Verein fehlen die Einnahmen und die Kosten laufen ja trotzdem weiter. „Wir haben zwar Fördergelder erhalten, mit denen die Kosten für die Lehrer bezahlt werden konnten, aber auf die Dauer benötigt auch der Verein neue Einnahmen“, erklärt Jonas Walter.

Bis dahin will der Betriebswirt weiter zu den Proben gehen. Denn für ihn ist der Musikverein mehr als nur Marschmusik und Tanzkapelle. Hier hat er echte Freundschaften geknüpft, die sogar ein Jahr ohne Schützenfest problemlos überstehen.