In Udorf im Orpetal lebt die Vergangenheit in der Gegenwart weiter
Altehrwürdige Fachwerkhäuser, eine breite Hauptstraße, schmale Seitenstraßen rechts und links, enge Gassen und ein Kirchturm aus Backstein, der über den Dächern thront – Udorf wirkt wie ein typisches kleines, beschauliches Dorf im Sauerland. Doch schaut man genauer hin, entdeckt man, was Udorf, ein Ortsteil von Marsberg, wirklich ist: ein Örtchen voller Geschichte und Geschichten.
Bereits vor über 900 Jahren wurde das Dörfchen im Orpetal erstmals urkundlich erwähnt – um genau zu sein im Jahre 1106. Somit blickt die Ortschaft in der Grenzregion vom Hochsauerlandkreis und dem Kreis Waldeck-Frankenberg auf eine lange Geschichte zurück. Einen der bedeutendsten historischen Momente erlebte die Ortschaft jedoch erst in jüngster Vergangenheit. „Früher verlief die Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Hessen am Ortsrand entlang, wobei der Friedhof und das Kriegerdenkmal ausgelagert, also nicht auf westfälischer Seite waren“, schüttelt Heinrich Aßhauer, Ortsvorsteher des 210 Einwohner zählenden Fleckchens, den Kopf, während er auf die Schützenhalle zeigt, die damals durch die Landesgrenze „geteilt“ war. „Der Antrag zur Grenzänderung wurde bereits Anfang der 60er Jahre gestellt, doch erst 2009 war es dann beschlossene Sache. Das hat sehr lange gedauert. Insgesamt wurden etwa 84 Hektar Land getauscht“, so Aßhauer, der sich beeindruckt von den Ausmaßen der Grenzverschiebung zeigt. „Ein richtiger Staatsvertrag war das, ein Staatsvertrag zwischen Nordrhein-Westfalen und Hessen“, sagt der engagierte Udorfer mehrfach mit vollem Enthusiasmus.
Das Ehrenmal
Eine „besondere Herzensangelegenheit“ des Ortsvorstehers, die einst auf hessischer Seite lag, obwohl sie zu Ehren von Udorfer Bürgern errichtet wurde, thront vor einem Waldstück hoch über dem Dorf: das Ehrenmal für die Gefallenen, das an die toten Soldaten des Ersten und des Zweiten Weltkriegs erinnert. Das Monument, das im Jahr 1925 eingeweiht wurde, hat dem 63-Jährigen fünf Jahre Einsatz und harte Arbeit abverlangt, als die Restaurierung anstand. „Schauen Sie sich dieses Ehrenmal an. Das ist doch wohl einmalig hier im Sauerland. Und man wollte es verfallen lassen“, sagt er mir ernster Stimme, die jedoch schnell aufhellt, als er mit einem Funkeln in den Augen das restaurierte Denkmal betrachtet. „Mein Vater war ein Ur-Udorfer. Er sagte mir vor etwa sechs bis sieben Jahren, dass ich mich um das Ehrenmal kümmern soll. Wenn diese Worte nicht gewesen wären, hätte ich das wahrscheinlich nicht durchgezogen.“ Die Tafeln des Ehrenmals wurden für die Restaurierungsarbeiten entfernt, nur das Grundgerüst blieb stehen. Nun erstrahlt es in neuem Glanz und wird abends als besonderes Highlight mit Licht angestrahlt. Für Aßhauer ist das Denkmal weit mehr als nur ein Ort des Gedenkens, sondern ein Ort mit einer beachtlichen Bedeutung auch für die Gegenwart. „Alle Namen, die dort eingemeißelt sind, sind dafür gestorben, dass wir in einer guten Demokratie leben können.“
Unmittelbar neben dem Ehrenmal befindet sich ein weiterer historischer Punkt in Udorf. Auf Streuobstwiesen, die einst von dem Herrn von Spiegel angepflanzt wurden, „um den jungen Menschen den Gartenbau und den Strauchschnitt näherzubringen“, wird noch heute die historische Apfelsorte „Großer Borsdorfer“ angebaut. „Heutzutage werden die Wiesen nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck genutzt. Aber jeder Udorfer darf hier Äpfel ernten“, erklärt Werner Klimek, Ortsheimatpfleger, der sich zusammen mit Aßhauer für seinen Heimatort engagiert.
Doch nicht nur die Dorfgeschichte macht Udorf aus, sondern auch kleine Dorfgeschichten in den verborgensten Ecken. In einer kleinen Gasse im Ort befindet sich ein altes Fachwerkhaus, das den Anschein erweckt, dass es schon seit jeher an diesem Fleckchen Erde gestanden hat. Doch das alte Häuschen wurde nicht in Udorf erbaut, sondern dorthin umgesiedelt. In der Gildestraße, die ihren Namen aufgrund der damals dort ansässigen Handwerker erhalten hat, fügt sich das schmucke Häuschen wie das letzte fehlende Puzzleteil in das Straßenbild ein. „Seit 2006 wohne ich nun hier. Das war ein großes Glück, dass ich den Zuschlag bekommen habe“, freut sich Lothar Gehrmann, der einen kleinen Anbau im Eingangsbereich errichtet hat, „um nicht sofort im Wohnzimmer zu stehen“ und sich draußen eine kleine Hobbywerkstatt eingerichtet hat. „Hier werkel ich und baue Kinderspielzeug aus Holz, um anderen damit eine Freude zu machen.“
Die Dorfpuppe
Und was wäre ein Ort ohne Brauchtum? So erfreut schon seit Jahrzehnten eine ganz besondere Tradition die Jüngsten im Ort. Beim Pfingstsingen, einem besonderen Brauch in Udorf, ziehen Jungen und Mädchen von Haus zu Haus. „Traditionell ging es darum, Geld für Klassenfahrten zu sammeln“, so Heinrich Aßhauer. Die Jungen halten dabei eine Deutschlandflagge in ihren Händen, die Mädchen ziehen mit der „Pfingstpuppe“ los. „Die Puppe wird im Dorfgemeinschaftshaus aufbewahrt. Ich denke, dass sie aus dem 19. Jahrhundert stammt. Und sie ist immer noch heile. Für die Mädchen ist es natürlich eine Ehre, diese Puppe einmal im Jahr durch das Dorf tragen zu dürfen“, lacht der Ortsvorsteher, der zwar einräumt, dass das Interesse an der Tradition nachgelassen hat, aber dennoch immer noch eine Handvoll Kinder den historischen Brauch weiterführen.
Udorf – ein Ort voller Geschichte(n), die auch heutzutage noch in jeder Ecke des kleinen Sauerländer Dorfes zu finden sind.