Tagesmutter Ute Kirtz-Hackenberg
Angekommen im Rehweg in Meschede, kommen sofort Erinnerungen in mir hoch: Wie ich vor zehn Jahren aus dem Auto steige, meine Tochter aus ihrem Autositz nehme und sie auf dem Arm die Treppenstufen hochtrage -zu ihrer Tagesmutter Ute …
Oben angekommen, entdecke ich ein schmiedeeisernes Schild neben der Tür: „Utes Rasselbande“ lese ich. Das gab es damals noch nicht. Aber die Türglocke ist noch dieselbe: Eine Schiffsglocke – die ich bimmeln lasse. Es dauert nicht lange, schon fliegt die Tür auf und vor mir steht tatsächlich eine Rasselbande: zwei Jungs und zwei Mädels, die mich teils forsch, teils schüchtern anschauen. Die Kinder lotsen mich hinein und mein Blick fällt sofort auf die vielen eingerahmten Fotos an der Wand im Flur. Meine Tochter entdecke ich auch: Auf dem Foto sitzt sie am Mittagstisch, einen Löffel in der Hand, den Mund verschmiert. Ich erkenne das ein oder andere Kind wieder. 73 Kinder hat Ute Kirtz-Hackenberg als Tagesmutter in 29,5 Jahren begleitet. Jetzt hat sich die 65-Jährige zur Ruhe gesetzt.
Keine volle Windeltonne mehr
„Ab sofort steht keine volle Windeltonne mehr vor der Tür“, erzählt Ute und lacht. In den vergangenen fast 30 Jahren hat die Tagesmutter viele volle Windeln gewechselt. Ute Kirtz-Hackenberg erinnert sich noch genau, wie damals alles anfing. „Im Herbst 1991 besuchte ich ein Seminar für Tagesmütter. Damals hatte mich eine Bekannte auf dem Markt in Meschede angesprochen, ob ich mir nicht vorstellen könnte, das Kind ihrer alleinerziehenden Tochter zu betreuen. Du hast drei kleine Kinder, bist zuhause und gelernte Erzieherin. Das wäre genau die richtige Aufgabe für Dich, meinte die Bekannte.“ Ute sprach mit ihrem Mann und ihren Kindern darüber und nachdem ihre ganze Familie die Idee gut fand, startete die damals 39-Jährige als Tagesmutter – zunächst mit einem Kind.
Das Jugendamt zahlte zu der Zeit 2,60 DM pro Stunde, das war eher ein Mini-Taschengeld für Ute. 2006 wurde mit dem KIBIZ-Gesetz die Betreuung durch Tagesmütter in NRW professioneller mit Rentenbeiträgen, Krankenkassenbeiträgen und höheren Stundenlöhnen. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen im Laufe der Jahre verbessert haben, Utes Idee, wie Kindertagespflege auszusehen hat, ist dieselbe geblieben: „Für mich ist Kindertagespflege familiennahe Betreuung. Ich habe die Kinder ins Familienleben mit einbezogen. Zum Beispiel haben wir mittags zusammen gekocht und auch die Vorbereitungen zusammen getroffen. Bei mir konnte jedes Kind, das in den Kindergarten kam, Kartoffeln schälen“, erzählt sie.
Während Ute Kirtz-Hackenberg das sagt, steht der kleine Theo vor uns, hält eine Kuh hoch und sagt: „Muh!“ Paul hüpft auf Sprungmatten rauf und runter. Florentine meint zu uns: „Papa, ab!“, was soviel heißen soll wie: Heute holt mich Papa ab. Pauline beschäftigt sich mit Spielsachen.
Die Rasselbande bestand all die Jahre aus kleinen unterschiedlichen Persönlichkeiten – für die Tagesmutter mit das Faszinierendste an ihrem Beruf: „Es war etwas Wunderbares, so viele kleine Menschen mit ihren Eigenarten zu erleben, sie begleiten zu dürfen, sie glücklich zu erleben – oder auch mal mit schlechter Laune. Ein kleiner Mensch mit all seinen Facetten ist für mich immer noch ein Wunderwerk“, schwärmt Ute Kirtz-Hackenberg.
Und sie ist auch immer ein bisschen stolz, wenn sie ehemalige Tageskinder trifft und hört, was aus ihnen geworden ist. „Ich blättere z. B. immer die Zeitung durch und informiere mich über die Abiturienten. Ganz oft kann ich sagen, die oder der war früher auch bei mir.“
Ute Kirtz-Hackenberg wird die Kinder vermissen und auch den strukturierten Alltag mit der Rasselbande, aber sie freut sich auch darauf, dass sie künftig mehr Zeit für ihre Enkelkinder hat. Ute und ihr Mann Uwe sind sechsfache Großeltern, ihre Kinder und Enkelkinder wohnen alle weiter weg. „In Zukunft kann ich aber auch mal sagen, ich komme in der Woche zu euch und unterstütze euch, wenn ihr mich braucht.“
In fast dreißig Jahren hat sie viel erlebt, aber eine lustige Geschichte wird sie nie vergessen. „Ich hatte ein ehemaliges Tageskind zu Besuch, das mit uns zu Mittag essen durfte. Seine Cousine war zu dem Zeitpunkt bei mir und saß auch mit am Tisch. Irgendwann erzählte mir der Junge, dass er Star Wars mag. Ich machte das Darth-Vader-Atemgeräusch nach und zitierte den berühmten Satz aus Star Wars: Ich bin dein Vater. Daraufhin guckte mich mein Tageskind an und sagte aus vollem Herzen: ‚Nein, das stimmt nicht. Du bist doch meine Tagesmutter’.“