„Ein guter Religionslehrer ersetzt fünf Polizisten!“

Rahrbacher Philipp Weber gibt alte Schulchronik vom Dorflehrer heraus

Wer kann sich nicht an die gute alte Dorfschule von einst erinnern? Für einige ist „Schule“ ein Wutwort. Anderen bleibt sie ein Wonnewort. Die Herausgabe der Schulchronik der früheren Schule von Rahrbach lässt die alte Zeit wieder aufleben. Dabei geht es nicht nur um die Schule, sondern auch um politische, religiöse und kulturelle Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

„Als ich zum ersten Mal einen Blick in die Schulchronik von Anton Runte warf, dachte ich ‚Oh Gott, wie soll ich das denn alles lesen, und dann noch in Sütterlin?!‘ Die 121 Seiten starke Schrift, die der Rahrbacher Dorfschullehrer Anton Runte in den Jahren 1903 bis 1947 schrieb, stellt ein Konvolut an interessanten Fakten nicht nur aus der Schulgeschichte dar. Es kommen auch Erzählungen, Informationen und weitreichende Gedanken über Dorfleben, Alltag, Religion und politische Ereignisse vor.“ Dies erzählt uns Philipp Weber, der vor knapp neun Jahren die Schulchronik von Anton Runte transkribierte und im Mönnig-Verlag Iserlohn herausgab. Der damalige Rahrbacher Pfarrer Paul Nikolajczyk und die Rahrbacherin Maria Sabisch feuerten ihn an, sich näher mit der Schule und ihrem Lehrer Anton Runte zu befassen. Damals war der junge Rahrbacher noch Student und hatte zuvor schon einige Jahre die Geschichte seines Heimatdorfes im südlichen Sauerland erforscht. „Bis heute“, sagt er, „findet man immer wieder Neues und Faszinierendes, eine echte Fundgrube.“

Ältester Organist der Bundesrepublik Deutschland

„Wenn ich die Schulchronik durchblättere, so wird mir zunächst wieder bewusst, wie viele Schülergenerationen Runte unterrichtete und prägte“, so Weber. Anton Runte ist 1882 in Iserlohn geboren, kam 1903 nach Rahrbach und unterrichtete an der dortigen Schule. Nicht selten war seinerzeit der Dorflehrer zugleich auch Küster und – sofern einigermaßen musikalisch – auch Organist. Anton Runte führte diese drei wichtigen Ämter ebenfalls in Personalunion aus. Am längsten hatte er das Organistenamt inne, fast bis zu seinem Tod 1974 – da war er ganze 71 Jahre leidenschaftlicher Organist und ging damals als ältester Organist der Bundesrepublik in die Annalen ein. Wie wichtig ihm neben der Schule die Orgel war, wird in der Nachbetrachtung immer wieder deutlich. Seine beiden Töchter erzählten noch, wie er sich liebevoll um die historische Rahrbacher Ruhm-Nohl-Orgel von 1701/02 kümmerte, die einen Schatz in der über 750 Jahre alten St. Dionysius Pfarrkirche darstellt. Runte lag als „Spielmann Gottes“, wie er sich bezeichnete, besonders die Musik am Herzen. Seine Schüler bekamen immer was auf die Ohren, lernten Liedtexte und sangen in der Schule und auf Klassenausflügen in der Umgebung. Georg Schlüngermann aus Rahrbach erinnert sich noch an Anton Runte als Organist in den Gottesdiensten, seine Mutter ging bei Runte in die Schule: „Meine Mutter erzählte mir, dass Runte ein sehr strenger Lehrer war. Lernen war ihm sehr wichtig. Runte hatte eine breite Bildung. Bei den Gottesdiensten lag ihm die Musik und der Gesang am Herzen.“ Die Schulchronik beweist daneben auch, dass Runte zudem die Fächer Rechnen, Heimatkunde, Erdkunde, Politik und sogar Turnen unterrichtete.

Quelle: privat

Verleih uns Frieden gnädiglich

Philipp Weber unterrichtet mittlerweile selbst an einer Schule. Das erklärt sein Interesse an der alten Rahrbacher Volksschule. Seine heutigen Erfahrungen als Lehrer für Musik und Geschichte erklären außerdem sein besonderes Interesse über die Geschichte einer dörflichen Schule von früher. Weber: „Heute wird eine Klasse in einem Raum unterrichtet, Lehrer Runte hatte zuweilen vier Klassenjahrgänge gleichzeitig in einem Raum.“ Zu den Fächern, die Dorflehrer Runte unterrichtete, zählte auch katholische Religion. Hier ging es um Gott, Kirche und um die Frage nach dem Gelingen des menschlichen Lebens. Weber erinnert sich an ein Wort, nach dem ein guter Religionslehrer fünf Polizisten ersetzt. Die Religion war seinerzeit von großer Bedeutung für Schule, Dorf, Gesellschaft und Staat. Die tiefe Frömmigkeit ist auch immer wieder in der Schulchronik bezeugt. Der Glaube war – und bleibt – wichtig. Für die im 1. Weltkrieg verlorene Kirchenglocke schlägt Runte unter anderem die Inschrift „Da pacem, Domine!“ (Verleih uns Frieden gnädiglich!) vor.

Des Weiteren erfährt der Leser in dem Buch „Auf den Spuren von Anton Runte“ etwas über damals aktuelle Ereignisse, wie den I. und II. Weltkrieg sowie die Zeit der Weimarer Republik. Vor allem Alltägliches findet sich dort: Ernte, Ernährungsverhältnisse, Wetteraufzeichnungen, Trinkwasserverhältnisse, Schule in Krisenzeiten, vor neuen Herausforderungen stehend – einst wie jetzt. Welche Antworten dazu vermittelt Runte? Der schmerzliche Verlust von Schülern im Krieg, die alltäglichen Gefahren.

Bekanntlich verändert seit Beginn des Jahres 2020 die weltweite Corona-Pandemie unser Leben. Bis in die kleinsten Ebenen hinunter machen sich die Auswirkungen bemerkbar. Auch in der Schule – Schule in Krisenzeiten: Wie geht man damit um? „Vielleicht lehrt die Krise wieder den Sinn fürs Menschliche, für Demut und Bescheidenheit. Lokalgeschichte kann durchaus Spaß machen, auch für junge Leute. Es ist gut zu wissen, wo man herkommt, denn Zukunft braucht – auch – Herkunft“, betont Weber. Das lesenswerte, von Philipp Weber herausgegebene Buch über den Dorflehrer Anton Runte, kann in dieser unsicher tastenden Zeit begleiten und helfen. Philip Webers pädagogische Antwort: „Mögen wir das Brachland vergessener Wahrheiten neu befruchten.“

Auf den Spuren von Anton Runte ISBN: 978-3-93519-52-8 – erschienen im Mönnig-Verlag Iserlohn, Preis 19,80 Euro.