Durch die tiefsten Schlaglöcher – und dann ab nach Mexiko

Quelle: privat

Die Ruhrtaler Motorenwerke RMW  

Heute schon fast vergessen, spielten die „RMW-Motorradwerke GmbH Neheim-Hüsten“, so der vollständige Name, von 1926 bis 1957 eine wichtige Rolle in der auch im „unteren“ Sauerland immer weiter wachsenden Industrialisierung.    

„Wer heute wie selbstverständlich im Internet surft, kann sich kaum vorstellen, welche Umwälzungen die reale Überwindung von Zeit und Raum durch Eisenbahn, Auto, Flugzeug und nicht zuletzt das Motorrad bedeutete“ heißt es in der Einführung einer vor 20 Jahren herausgegebenen Arnsberger Publikation zu den Ruhrtaler Motorenwerken RMW. Während der Autoverkehr seit den 1920er Jahren unaufhörlich wuchs, fanden durch das Motorrad auch weniger begüterte, häufig junge Menschen so den Einstieg in die Motorisierung.  

Etwa um 1922 entstand in Neheim – wie an vielen anderen Orten in Deutschland auch -aus einer Fahrradproduktion („BLEHA“) eine Motorradfertigung. Und zwar im Süden der Stadt, an der Langen Wende. 

Zunächst waren die Motorräder nichts anderes als Fahrräder mit Hilfsmotor, aber schon 1926 wurde damit begonnen, auf geschmiedete Rahmen umzusteigen und ein Dreiganggetriebe einzubauen. Die „RMW-B2“ von 1926 mit Zweitaktmotor, 121 ccm und drei (!) PS war das erste von insgesamt fast 50 Modellen, die die Neheimer Werke bis 1957 verließen.  

Aber wie fuhren solche Motorräder von anno dazumal eigentlich? Hierzu gibt es einige wunderbare Anekdoten; wir springen kurz in die 50er Jahre:  

Willi Bauerdick, Monteur und „Einfahrer“ bei RMW 1950 -1953, berichtete im Jahr 1999: „Einfahren hieß, die Maschine lockermachen. Erst langsam (…), dann der vierte Gang mit Vollgas. Bis an den Klemmpunkt. Hier hörte man ein Klingeln. Motor abstellen, fünf Minuten warten und das Gleiche noch einmal, bis der Motor frei lief. Verpasste man den Klemmpunkt, blockierte der Motor und ein Sturz über die Lenkung war sicher – ich habe genug Stürze hinter mir! Bis dahin war die Maschine in der Federung noch knochenhart. Jetzt ging es auf der Langen Wende durch die tiefsten Schlaglöcher. Immer wieder auf den Rasten stehend, bis die Federung weich wurde.“  

Nach dieser Prozedur kam die Maschine in den Verpackungsraum, wurde geputzt und verpackt, danach per Hand zum Bahnhof geschoben. Manchmal aber auch – heimlich – gefahren, „mit Verpackung, so schnell wurde der Auspuff auch nicht heiß.“ Angekommen sind wohl doch alle Motorräder – bis nach Mexiko und Uruguay wurde in der Blütezeit exportiert.      

Quelle: privat

Zurück zu den Anfängen 

Nachdem RMW Ende der 20er Jahre eigene Motoren baute und sich mit einfachen, aber robusten Maschinen zum günstigen Preis am Markt präsentieren wollte, musste preiswert in Serie produziert werden. Die riesigen Räumlichkeiten (ca. 3.000 qm Nutzfläche) an der Langen Wende wurden konsequent umgebaut, ein Lastenaufzug bis unters Dach und sogar ein Montageband eingebaut.  

Die Motorradproduktion stieg in den 20er Jahren in Deutschland explosionsartig an, aus dem Luxusobjekt, das das Motorrad vor dem 1. Weltkrieg gewesen war, wurde langsam ein Gebrauchsgegenstand, für viele Menschen bezahlbar.        

Die Weltwirtschaftskrise machte dann auch vor der Motorradproduktion in Deutschland nicht halt. Nach ca. 195.000 produzierten Motorrädern im Jahr 1929 wurden im Jahr 1932 noch ganze 36.262 gebaut. Die RMW verkauften Ihre Motorräder inzwischen unter einem neuen Label: “Phönix“.  

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten werden Organisationen wie etwa das Nationalsozialistische Kraftfahrer-Korps (NSSK) geschaffen, die Rahmenbedingungen für die Produktion in Neheim ändern sich, wenn auch unter dunklen Vorzeichen, zunächst positiv.  

Ein weiterer Gebäudekomplex an der Langen Wende wird als „Werk II“ in die Firma eingebunden, und 1936/1937 wird schließlich die insgesamt 10.000. Maschine gefertigt – im Vergleich zu Marktführern wie Zündapp (200.000 Maschinen von 1921- 1938) waren die Sauerländer allerdings doch eher bescheidene „Player“ auf dem Motorrad-Markt.  

Die Motorräder wurden teilweise direkt ab dem Neheimer Werk vertrieben, ansonsten setzt man auf Fachhändler. Aus heutiger Sicht sicher ungewöhnlich: Die Händler organisierten selbstständig Werbefahrten und nahmen sogar an Touren und Rennen teil, schalteten Anzeigen und klebten Plakate, um den Vertreib anzukurbeln. Vertriebspartner gab es unter anderem in Bielefeld, Siegen, Dortmund, Münster, Bremen, Mannheim und Dresden.  

Quelle: privat

Massive Umwälzungen 

Der 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit bringen, wie für wohl alle Wirtschaftsunternehmen Deutschlands, auch für die RMW massive Umwälzungen mit sich. 1940 muss die Motoradproduktion eingestellt werden, stattdessen werden für die Wehrmacht Motorräder repariert, für andere Unternehmen Flugzeugteile gedreht. 1943-1945 diente das Werk II als Unterkunft für russische und polnische Zwangsarbeiter.  

Nach dem Krieg stellte sich heraus, dass für eine Fortführung der Motorradproduktion erhebliche Investitionen und technische Entwicklungen notwendig waren; dies scheiterte jedoch maßgeblich am Firmengründer Karl Haardt, der auch im hohen Alter alleine entscheiden möchte.  Vorschläge seines Sohnes Karl, in die aufblühende Neheimer Leuchtenindustrie zu investieren, werden abgelehnt. 

Ein Moped („Phönixchen“) wurde entworfen, eine Kooperation mit dem Arnsberger Kleinstwagenhersteller „Kleinschnittger“ angeleiert – es half nicht, 1952 bzw. 1953 musste die Produktion eingestellt werden.  

Und das riesige Firmen-Gelände an der Langen Wende? Zunächst von einem Leuchtenhersteller und sogar einem Getränkemarkt genutzt, fällt der imposante Komplex in den Jahren 1982-1987 schließlich dem Neubau der Autobahn A 445 zum Opfer.  

Heute erinnert in der Langen Wende nichts mehr an die Ruhrtaler Motorenwerke, die im Rückblick betrachtet ein interessanter Teil der Sauerländer Industrie-Geschichte sind.  

Überlebt haben allerdings einige bis heute liebevoll gepflegte Prachtstücke aus der Motorrad-Produktion, einige davon sogar an Ihrem “Geburtsort“ Neheim!