Dunkles Kapitel mit aktuellem Bezug

Neues Buch zur Hexenverfolgung im Sauerland

Es ist zwar kein schönes Thema, das sich WOLL-Autor Joachim Nierhoff aus Drolshagen für sein neues Buch ausgesucht hat, aber eines, das immer wieder bewegt und das zum Sauerland so dazu gehört wie beschauliche Fachwerkhäuser und Schützenfeste, denn auch hier ist die Vergangenheit nicht immer die „gute, alte Zeit“.

Sein Buch „Hexenverfolgungen im Sauerland – Dramatische Prozesse und bewegende Schicksale“ (jüngst erschienen im Sutton Verlag) führt rund 500 Jahre zurück in eine dunkle Zeit für die Bewohner des Sauerlandes, hat aber durchaus einen aktuellen Bezug: die Hexenverfolgungen, die ab dem 16. Jahrhundert auch in unserer Region einen hohen Blutzoll forderten. Darin spricht Nierhoff von etwa zweitausend Opfern allein im Sauerland. Viel Blut in unseren Breiten, bedenkt man, dass es im Gebiet des heutigen Deutschlands geschätzt insgesamt zwischen 25.000 und 50.000 Opfer gab. Man könnte also beim Sauerland von einem „Hotspot“ der Verfolgung sprechen, die im Herzogtum Westfalen, wozu das Sauerland gehörte, ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts in drei großen Wellen (Ende 16. Jahrhundert, um 1630 und 1640-1650) ablief. Die Opferzahlen müssen Schätzungen bleiben, da zahlreiche Wirrungen und auch bewusste Manipulation Akten und Protokolle haben verschwinden lassen. Das erste Hexen-Protokoll, das für das Sauerland überliefert ist, ist das „Winterbergisch Halsgericht“ aus dem Jahr 1523. Sechs Frauen wurden nach hartnäckigen Forderungen der Winterberger wegen Schadenszaubern zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.

Kein religiöser Wahn, sondern Kalkül?

Ausdrücklich betont Nierhoff, dass es sich trotz der hohen Opferzahlen für ihn bei den Hexenverfolgungen nicht um einen Hexenwahn, sondern eine Hexenphobie gehandelt habe, denn „Wahn ist eine Krankheit – und das waren die Verfolgungen nicht“. Vielmehr sieht er die Gründe nicht nur in religiösem Eifer oder Aberglauben, sondern durchaus politisch und mit allerlei Machtgerangel in Justiz und Politik gespickt. Die gelehrte Elite habe eine Hexenlehre geschaffen, die bereits bei Kirchenvätern wie Augustinus von großer Frauenfeindlichkeit geprägt gewesen sei. Der bekannte „Hexenhammer“ („Malleus maleficarum“) von Institoris lag irgendwann neben dem gültigen Gesetzbuch, der Carolina, auf jedem Richtertisch, voll mit Hass auf das angeblich sehr viel stärker vom Bösen beeinflussbare und minderbemittelte weibliche Geschlecht. Durch äußere Umstände wie die Kleine Eiszeit (Mitte des 15. Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jahrhunderts), in der die Ernteerträge schlecht waren und das Vieh schnell krank wurde, habe man verstärkt nach Erklärungen für Not und Elend und bald nach Sündenböcken gesucht – und sie in den Hexen gefunden. „Neid, Missgunst – oft hatten die Verfolgungen andere Gründe. Darum ist im Sauerland häufig die Anklage des Milchzaubers zu finden. Durch das Tun einer Hexe gibt das eigene Vieh weniger Milch, wird Hunger und Leid verursacht. Vor allem Zugezogene wurden misstrauisch beäugt und kamen, wie es damals hieß, ins Gerede“, erklärt Joachim Nierhoff, der mit seinem Buch auch bei den verbreiteten Allgemeinplätzen zu Hexen aufräumen will. Die Fälle belegen, dass es nicht die hässliche alte oder rothaarige „Märchenhexe“ sein musste, die in Verdacht geriet, sondern auch einflussreiche und junge Frauen, Männer und sogar Kinder. Nierhoff widerspricht auch der Annahme, die Verfolgungen hätten der Ausrottung der „Weisen Frauen“ gedient, auf die sich das Nazi-Regime unter Reichsführer SS Heinrich Himmler in der Propaganda gegen die katholische Kirche bezog. Auch die gerne zitierten neun Millionen Opfer seien eine überzogene Darstellung ohne historische Grundlage.


Der Sache auf den Grund gehen

Ersten Kontakt zum Thema Hexen hatte der begeisterte Historiker Nierhoff, der unter anderem schon über die Sagen des Sauerlandes veröffentlicht hat, 2018 bei einem Vortrag des Kölner Professors und Psychotherapeuten Dr. Manfred Lütz über dessen Buch „Der Skandal der Skandale“. Lütz schreibt über den Forschungsstand zum Thema der Beteiligung der christlichen Kirchen bei Heiligen Kriegen. Auch über die Hexenverfolgungen, die in der Hauptphase nicht mehr in der Hand der Kirche (nicht nur der katholischen, wie häufig angenommen wird) lagen, sondern in der der staatlichen Gerichtsbarkeit. Dieser Vortrag motivierte Nierhoff, sich nicht nur mit Sagen- und Märchenhexen zu befassen, sondern die Wurzeln der Geschichten in der Historie zu ergründen – und fand bei seiner Recherche zahlreiche grausige Fälle von Justizmord und Folter, die sich im Sauerland abgespielt haben. Ein Grund: „Die mit den Prozessen betrauten Hexenkommissare, die die Gerichte auf Wunsch der Drosten unterstützen sollten, waren keine Beamten, sondern wurden für jeden Fall bezahlt. Eine Hinrichtung brachte zehn Gulden, eine Bestrafung mit Kerker, Pranger oder das Urteil des Landesverweises nur fünf. Da kann man sich leicht vorstellen, warum wie geurteilt wurde. Außerdem wurde bei den Verhören ordentlich Wein aufgetischt – und die Hinterbliebenen mussten im wahrsten Sinn die Zeche zahlen.“

Er schreibe sachlich, aber nicht wissenschaftlich, sagt Nierhoff, und immer wieder blitzen im Gespräch mit ihm Emotionen auf – Abscheu, Mitgefühl und vielleicht sogar ein bisschen Wut auf die Männer, die aus eigenem Machterhalt und Ehrgeiz so viel Leid und Tod verursachten – wahrscheinlich sogar im Bewusstsein, dass es Hexerei eigentlich gar nicht geben konnte. „Wer sich hiermit nicht emotional beschäftigt, der muss die reine Wissenschaft in sich tragen“, sagt Nierhoff augenzwinkernd und betroffen zugleich. Andererseits imponierten Nierhoff auch Männer wie der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635), der in seiner „Cautio Criminalis“ mit glasklaren Argumenten offen gegen die Realität von Hexen und ihrer Taten schrieb und die Prozesse damit als falsch geleitet offenbarte.

Die Guten und die Bösen

Besonders beeindruckt hat Joachim Nierhoff bei seinen Recherchen „auf der guten Seite“, wie er sagt, der Fall des Pfarrers Nikolaus Rutger aus seiner Heimatstadt Drolshagen. Rutgers eigene Mutter war in den Verdacht geraten, eine Hexe zu sein, wurde aber wahrscheinlich nicht hingerichtet. Während seiner Amtszeit als Pfarrer (von 1602 bis 1636) sprach sich Rutger mit der Unterstützung zweier Äbtissinnen gegen die Verfolgungen in Stadt und Kirchspiel Drolshagen aus. Als Sohn einer Verdächtigen wurde er misstrauisch beobachtet, da man davon ausging, dass Mütter oder nahe Verwandte den Kindern das Zaubern beibrachten. Rutgers Engagement blieb einem der gnadenlosesten Hexenkommissare, die das Sauerland sehen musste, nicht verborgen: Caspar Reinhartz, Verwandter der mächtigen Familie von Fürstenberg, Jurist und später sogar Bürgermeister und Wohltäter der Stadt Werl – für Nierhoff ganz klar erinnerungswürdig an der Spitze auf der „Seite der Bösen“. Pfarrer Rutger floh vor Reinhartz, der allein in seiner Zeit in Balve knapp 300 Menschen auf den Scheiterhaufen brachte, ins Kirchspiel Valbert, das unter der Herrschaft des Hauses Kleve-Mark stand, das kaum Verfolgungen zuließ. Rutgers Einfluss ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass trotz der Anwesenheit des berüchtigten Hexenkommissars Reinhartz in Rutgers Amtszeit keine Verfolgungen in Drolshagen stattfanden. Auch ein Pfarrer aus Affeln oder der als „Friedrich Spee des Sauerlandes“ bekannte Pfarrer Michael Stappert (1585-1663), der sich kritisch gegen die Verfolgungen äußerte, imponieren Nierhoff, da sie den „Kopf aus dem Sand steckten“. „Die hatten Mut!“, sagt er bewundernd, da für Gegner der Verfolgungen Gefahr für Leib und Leben drohte.

Als besonderen Ort, der ihm im Gedächtnis geblieben und an dem das Thema für ihn sehr präsent geworden ist, nennt Nierhoff die Hexenstele auf dem Galgenberg bei Balve, wo in der Einsamkeit des Waldes das Mahnmal an der ehemaligen Richtstätte eindrücklich von den grausamen Schicksalen Zeugnis ablegt.

Nierhoff ist froh, dass die Forschung seit den 1980er Jahren Fahrt aufgenommen hat und auch regional zu immer neuen Erkenntnissen führt, die das Thema weg von Aberglauben und Stereotypen lenken.

Im Gespräch sprudeln aus Nierhoff Details, Zahlen, Daten, Fakten, Zusammenhänge heraus, die den Umfang seiner Recherchen deutlich machen, immer wieder gibt es auch forschende Blicke über die Grenzen des Sauerlandes hinaus. Dieser Blick richtet sich bereits jetzt für einen Folgeband nach Ostwestfalen-Lippe.

Bildung ist essenziell

Was ist Nierhoff aber das zentrale Anliegen dieses Buches? „Bildung! Zum Nachdenken anregen! Da bleibe ich der alte Lehrer“, lacht der WOLL-Autor, der als Lehrer gearbeitet hat und sich in anderen Projekten der Förderung außerschulischer Lernorte widmet. „Die Bevölkerung im Sauerland war damals sehr bildungsfern. Viel Leid hätte durch Bildung und Wissen verhindert werden können. Das Leben der einfachen Menschen und nicht das des Adels gehört in den Unterricht. Das Thema sollte insgesamt mehr Raum im Unterricht bekommen. Es ist es wert, dass man es nicht vergisst“, wünscht er sich.

Eine Lehre für die heutige Zeit, in der entgegen der landläufigen Meinung immer noch Hexenprozesse und -hinrichtungen stattfinden, zum Beispiel in Afrika oder Indien, kann man aus Nierhoffs Buch ebenfalls sehr gut lesen: „Man sollte sich hüten, andere Menschen auszugrenzen. Toleranz ist auch heute noch wichtig“, zieht Nierhoff ein aktuelles Fazit aus einem historischen Thema.

Das Thema vertiefen

All das und noch viel mehr über eine Zeit, die unsicher und düster, aber dennoch emotional mitreißend war und bleibt, kann man in Joachim Nierhoffs Buch über die Hexenverfolgungen nachlesen – sachlich, aber ab und an sympathisch emotional gefärbt und eindeutig auf der Seite der Menschen, die durch ein in die Irre geleitetes System und Machtspielchen so viel Leid und Schmerz erdulden mussten und durch die Forschung wieder in den Blick geraten.

Im kommenden Jahr soll das Thema „Hexenverfolgung im Sauerland“ ab März im Sauerlandmuseum in Arnsberg mit einer Ausstellung neu aufgerollt werden. Wer weiter in das Thema eintauchen will, findet im Siegburger Stadtmuseum einen „Hexenkoffer“ oder zwei zum Thema Hexen eingerichtete Räume im Westfälischen Schieferbergbau- und Heimatmuseum in Schmallenberg-Holthausen.

Nach der bereits stattgefundenen Buchpremiere im November im Kulturgut Schrabbenhof in Silberg will Joachim Nierhoff corona-bedingt Lesungen oder Vorträge zu seinem Buch erst einmal nicht mehr anbieten – „Wahrscheinlich erst im nächsten Jahr.“

Joachim Nierhoffs Buch „Hexenverfolgungen im Sauerland – Dramatische Prozesse und bewegende Schicksale“ ist unter der ISBN 978-3-96303-224-0 im Sutton Verlag, Erfurt, erschienen, hat 120 Seiten und kostet 24,99 Euro.