Dunkle Wolken über dem Sauerland

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Sauerland. „Nie zuvor brach das Konjunkturklima der regionalen Wirtschaft innerhalb eines Jahres so drastisch ein. Die Auswirkungen des Russland-Ukraine-Krieges treffen mit voller Wucht auf eine durch die Corona-Pandemie und durch Lieferengpässe noch gezeichnete Wirtschaft. Die explodierenden Energiepreise und die historisch hohe Inflation belasten die heimischen Unternehmen stark. Alle Zeichen stehen auf Rezession.“ IHK-Präsident Walter Viegener von der IHK Siegen kommentiert die Ergebnisse der neuesten IHK-Konjunkturumfrage, an der sich 522 Unternehmen mit mehr als 38.000 Beschäftigten aus Industrie, Bauwirtschaft, Handel und Dienstleistungsgewerbe in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe beteiligten, mit deutlichen Worten: „Die Lage ist ernst und für zahlreiche Unternehmen existenzbedrohend. Wir brauchen jetzt schnelle, konsequente, zielgerichtete und mutige Entscheidungen der Politik – und nicht nur Ankündigungen. Ansonsten werden die kommenden Monate äußerst schmerzhaft.“ Auch für die übrigen Sauerland-Regionen (Märkischer Kreis und Hochsauerlandkreis) sehen die Ergebnisse kaum anders aus.

Deutlich unter Mittelwert der vergangenen 20 Jahre

Der Konjunkturklimaindex – er ergibt sich aus Lagebeurteilung und Erwartung – stürzt um 28 Punkte auf einen Wert von 68 ab. Damit liegt er deutlich unter dem Mittelwert der letzten 20 Jahre (104). Seit Jahresbeginn hat er sich nahezu halbiert. Sowohl die Lagebeurteilung als auch die Zukunftserwartungen brechen in nahezu allen Wirtschaftszweigen ein. Nur noch 24 % der Unternehmen berichten von guten Geschäften. Eine schlechte Geschäftslage melden aber bereits 22 %. Zugleich stürzen die Zukunftserwartungen auf ein Allzeittief. Walter Viegener: „Selten waren die Unsicherheiten größer! Von schwierigem Fahrwasser zu sprechen, ist noch untertrieben. Besonders düster ist der Blick in die Zukunft im Einzelhandel sowie im Bau- und im Gastgewerbe.“ 

Nur wenige Unternehmen blicken optimistisch in die Zukunft

Nur 5 % der Unternehmen aus Siegen-Wittgenstein und Olpe blicken optimistisch in die Zukunft, 59 % sind zum Teil äußerst pessimistisch. Die völlig aus dem Ruder gelaufenen Energiepreise müssten endlich auf ein akzeptables Maß reduziert werden. Klaus Fenster, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK: „Beim Gas zeichnet sich eine Lösung ab, bei Strom und Öl allerdings nicht. Die Finanzlage der Unternehmen verschlechtert sich. Das Eigenkapital nimmt ab, die Liquiditätsengpässe nehmen zu. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem sich die Firmen die Frage stellen, ob es sich hier noch lohnt, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Pleiten oder Abwanderungen sind dann die logische Folge.“ 

Beschäftigungsneigung und Investitionsabsichten gehen zurück

Aktuell hätten bereits 12 % der heimischen Industrieunternehmen mit Produktionsverlagerungen in Länder reagiert, in denen die Energieversorgung sicherer und die Preise erschwinglicher seien. Das ist aus Sicht der IHK mehr als besorgniserregend. Klaus Fenster: „Wer unsicher ist, investiert nicht. Wie will man eine Industrie dekarbonisieren, wenn ein Großteil der Unternehmen an der Rentierlichkeit seiner Investitionen zweifelt? Gerade in der gegenwärtigen Lage wären zusätzliche Investitionen bitter notwendig, zumal der Staat dabei ist, sich über beide Ohren zu verschulden. Es ist alarmierend, dass jedes dritte Unternehmen plant, in den kommenden Monaten weniger zu investieren.“ Neun von zehn Betrieben sehen die extrem hohen Energie- und Rohstoffpreise als größtes Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung, mit deutlichem Abstand gefolgt von der Befürchtung einer rückläufigen Inlandsnachfrage (70 %) und steigenden Arbeitskosten (58 %). Wahrscheinlich sind auch Auswirkungen auf den regionalen Beschäftigungsstand. Die Zahl der Betriebe, die einen Beschäftigungsrückgang erwarten, hat sich innerhalb eines Jahres verdreifacht. 29 % der Unternehmen gehen von einer geringeren Beschäftigtenzahl aus. 

Auslastung der Industrie noch passabel, Auftragseingänge und Erwartungen im Sinkflug

Erstmals seit zwei Jahren überwiegt in der Industrie wieder eine negative Lagebeurteilung. Die Produktionsauslastung geht zwar zurück, bleibt aber noch auf einem halbwegs passablen Niveau. 46 % der Industriebetriebe melden eine Auslastung zwischen 85 und 100 %. Walter Viegener: „Der Schein ist jedoch trügerisch. Oftmals liegen die Gründe für die gute Auslastung und den ordentlichen Auftragsbestand in dem Auftragsstau, der sich in den letzten Monaten wegen der erheblichen Lieferengpässe aufgebaut hat. Diese Aufträge werden nun Stück für Stück abgearbeitet. Mit großer Sorge blicken wir jedoch auf den deutlich vernehmbaren Rückgang der Auftragseingänge.“ 53 % der Unternehmen vermelden weniger Inlandsaufträge und 48 % weniger Auslandsaufträge. Zudem verschlechtert sich die Ertragslage weiter. Die Zukunftsprognosen sinken in beiden Kreisen seit Jahresbeginn nahezu im Gleichschritt. Im Kreis Siegen-Wittgenstein mit seinem hohen Anteil an energieintensiven Unternehmen liegen sie allerdings auf einem noch niedrigeren Niveau. Klaus Fenster: „Der Pessimismus erreicht ein Rekordhoch. In der heimischen Industrie gehen drei von fünf Unternehmen von schlechteren Geschäften aus. Selbst zu Beginn der Corona-Pandemie war der Blick in die Zukunft nicht so düster. Die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste ,Zeitenwende’ stellt etliche der bisher bestehenden Gewissheiten radikal in Frage. Unser Wohlstand wird sinken; darauf sollten wir uns einstellen.“ 

Bausektor bricht als Konjunkturstabilisator weg

War in der Vergangenheit die Bauwirtschaft ein wichtiger konjunktureller Stabilisator, schlagen nun die hohen Preise, Materialknappheit und eine Bauzurückhaltung voll durch. Stephan Häger, Leiter des Referates Konjunktur, Arbeitsmarkt und Statistik: „Aktuell sind die Lage und der Auftragsbestand im Bausektor noch auf einem guten Niveau. Deutlich gestiegene Zinsen und die hohen Baukosten führen jedoch zu spürbar weniger Neuaufträgen. Es zeichnet sich ein deutlicher Abschwung ab. Der eklatante Fachkräftemangel tut ein Übriges. Jeder sechste Betrieb hat mittlerweile mit Forderungsausfällen zu kämpfen, viermal so viel wie vor einem Jahr.“ Sieben von zehn Bauunternehmen blicken pessimistisch in die Zukunft. 

Groß- und Einzelhandel spüren Kaufzurückhaltung

Von allen Branchen im IHK-Bezirk fällt im Einzelhandel die Beurteilung der Geschäftslage am schlechtesten aus. 17 % der Händler bewerten ihre derzeitige Geschäftslage als gut, 32 % als schlecht. Jeder zweite Einzelhändler meldete in den vergangenen Monaten schlechtere Umsätze. Stephan Häger: „Die Stimmung im regionalen Einzelhandel ist schon fast depressiv. Die hohe Inflation führt zu einem erheblichen Kaufkraftverlust bei den Verbrauchern. Zudem weiß niemand, wie hoch die Energiekostenabrechnung im Winter ausfällt. Die Konsumenten halten daher vermehrt ihr Geld beisammen.“ Die Geschäftserwartungen sind besonders im Mode- und Kfz-Handel pessimistisch. Im Großhandel trübt sich das Stimmungsbild weiter ein, allerdings nicht so dramatisch wie in den anderen Wirtschaftszweigen. Die aktuelle Lage wird deutlich schlechter bewertet als noch im Frühjahr. Die Geschäftserwartungen verharren auf dem historischen Tiefststand. 

Dienstleistungsbranche und Gastgewerbe mit pessimistischem Blick in die Zukunft

Das Gastgewerbe ist die einzige Branche, in der sich die Geschäftslage in den vergangenen Monaten verbessert hat. 31 % der an der Umfrage beteiligten Gastronomen bewerten ihre derzeitige Lage als gut, 23 % als schlecht. Allerdings sind die Zukunftserwartungen äußerst düster. Die Stimmung in der regionalen Dienstleistungsbranche hat sich merklich eingetrübt. Sowohl die Lagebeurteilung als auch die Geschäftserwartungen verschlechterten sich deutlich. Besonders die personenbezogenen Dienstleister und das Verkehrsgewerbe befürchten schwere Zeiten.