„Du musst die Leidenschaft mitbringen“

Quelle: Julia Kleinsorge

Der GastHof Lichte in Küstelberg: ein Familienbetrieb mit langer Historie. Wie ist es, in und mit so einem Betrieb aufzuwachsen? „Total schön“, sagt Tatjana Jozing. Und obwohl Mutter und Köchin Ute immer ein Vorbild war, stand eine eigene Karriere in der Gastronomie nie auf dem Plan. Tatjana ging aufs Gymnasium, hatte gute Noten, steuerte geradewegs aufs Abitur zu. Und aufs Abi folgt jawohl ein Studium – oder etwa nicht?

Ein Studium, das war zumindest das, was alle erwartet haben – auch Tatjana selbst. Journalismus vielleicht oder Jura? Sie probierte sich in Praktika aus, dachte viel darüber nach, was da so auf sie warten könnte. Doch das Bauchgefühl passte nicht, irgendwas war falsch. Bis es schließlich Klick machte.

Es muss nicht immer ein Studium sein. Es muss ja nicht mal immer Abitur sein. Warum nicht eine Ausbildung machen, ein Handwerk lernen? Tatjanas Entscheidung, das Gymnasium nach dem Fachabitur zu verlassen und eine Ausbildung anzufangen, stieß nicht überall auf Begeisterung. Einige Lehrer waren kritisch, wollten die Schülerin doch noch vom „vollen“ Abitur überzeugen.

Tatjanas Meinung dazu? „Jeder muss seinen eigenen Weg finden. Jeder muss genau das finden, was er gut kann und was er liebt, wo er später für aufstehen will, womit er sein Geld verdienen will. Und nicht jeder ist gemacht fürs Studium und nicht jeder ist gemacht fürs Handwerk.“

Quelle: Tatjana Jozing

Gemacht fürs Handwerk

Sie aber ist gemacht fürs Handwerk. Das merkt man schnell, wenn man sich mit ihr unterhält. Durch das Aufwachsen in und mit der Gastronomie, sagt sie, hat sie schon immer einen besonderen Bezug zu Lebensmitteln.

Regionalität und Saisonalität spielen im Familienbetrieb schon seit Jahren eine große Rolle. In der Patisserie ist das manchmal nicht so einfach – Schokolade kommt eben nicht aus dem Sauerland. Aber wo es geht, verwendet Tatjana Zutaten aus der Region. Auch für Hobbybäcker zuhause hat sie einen Tipp: Früchte und Beeren aus dem Garten einfach einkochen, dann kann man sie auch im Winter noch wunderbar verwenden.

Heutzutage macht Tatjana aus Lebensmitteln Kunst: Mehrstöckige kunstvoll verzierte Hochzeitstorten, glänzende Pralinen und feine Törtchen, bei deren Anblick einem das Wasser im Mund zusammenläuft.

Ist das nicht viel zu schön zum Essen? Findet Tatjana nicht. „Die Verbindung aus Handwerk und Kunst ist das, was ich an meinem Beruf so super finde: Ich erschaffe etwas mit meinen Händen, das gleichzeitig total vergänglich ist. Andere sagen oft „Das ist viel zu schade zum Essen“, aber ich finde das klasse.“

Techniken und Prozesse, die Jahre und Jahrhunderte überdauern, zu perfektionieren, aber dennoch mit dem Zeitgeist gehen und Trends aufzustöbern, verschiedene Stilrichtungen zu erkunden – das macht den Beruf aus Tatjanas Sicht so spannend. „Ich mache nie jeden Tag dasselbe und das finde ich super.“

Authentisch sein – das ist das Ziel

Und Tatjana weiß, was sie will. Erfahrungen sammeln und daran wachsen – das ist für die heute 27-Jährige enorm wichtig. Nach ihrer Ausbildung in der Patisserie Christian Bach in Bad Wildungen legte sie Stopps in Kassel und Dortmund ein, in Hotels mit großem Bankett, in der Sternegastronomie und in kleinen, veganen Cafés. Verschiedene Betriebe zu erkunden, unterschiedliche Menschen kennenzulernen und sich selbst in schwierige Situationen zu begeben hat sie da hingebracht, wo sie heute ist: im Familienbetrieb.

Ob das geplant war? Nein, gar nicht. Auch von zuhause gab es da nie einen Zwang oder eine Erwartungshaltung. „Ohne Zwang, aber auch ohne Ziel“, beschriebt Tatjana ihre Laufbahn mit einem Augenzwinkern.

Im Moment will Tatjana vor allem eins: authentisch sein. „Das was ich mache, meinen Stil, den liebe ich und ich finde es toll, wenn Kunden mit neuen Ideen kommen und ich das in meinem Stil umsetzen kann.“ Natürlich finden auch Trends den Weg in Tatjanas Küche, aber nicht um jeden Preis: „Am wichtigsten finde ich, dass das, was ich mache, vollkommen Ich bin.“

Das Sauerland im Wandel

In ihrer Heimat, dem Sauerland, fühlt sich Tatjana dabei richtig wohl. Wer aus der Großstadt zurück aufs Land zieht hat vielleicht zunächst das Gefühl, sich einschränken zu müssen, aber die Konditorin, die ihren Meistertitel in Köln gemacht hat, sieht das anders. „Eingeschränkt ist man nur in seinem Kopf“, sagt sie und fügt hinzu: „Hier ist alles offen, alles ist im Wandel. Viele aus meinem Jahrgang kommen wieder zurück in die Heimat, es herrscht eine ganz besondere Stimmung. Es ist dieses Hey-wir-sind-zuhause-Gefühl, aber wir wollen dasselbe, was wir überall anders auch kriegen.“

Sie spürt eine Veränderung der Gründerszene im Sauerland, sieht Kreativität und Aufbruchstimmung überall. Aber sie weiß auch: „Du musst die Leidenschaft mitbringen“, sonst wird es schwer, taffe Zeiten durchzustehen.

Das Beste aus zwei Welten

Tatjana Jozing freut sich, ihre Erfahrungen und ihr Handwerk ins Sauerland mitzubringen und so manchem eine Freude zu machen mit Dingen, die es hier in dieser Form noch nicht gab. Dazu gehören beispielsweise auch vegane Torten und Desserts – im Sauerland derzeit noch Nischenprodukte, für Tatjana ein großes Thema. „Eine vegane Torte ist schnell gemacht, die Herausforderung ist, dass sie am Ende genauso gut schmeckt wie eine nicht-vegane“, erklärt sie. Die Küstelbergerin ist immer bemüht, sich weiterzuentwickeln und ihren Kunden eine Freude zu machen.

Und wie funktioniert das mit der Weiterentwicklung und der Moderne, wenn man Seite an Seite mit der eigenen Mutter arbeitet, in einem Betrieb der schon über 100 Jahre besteht? Erstaunlich gut. Denn auch die Küche im GastHof Lichte ist moderner als man es vielleicht von anderen Gasthöfen gewohnt ist und ja, auch moderner als man vielleicht beim ersten Blick auf das Haus erwarten würde. Ein durchgestyltes Restaurant, dem man seine Modernität direkt ansieht, wird es trotzdem nicht geben. Stattdessen spielen Tatjana Jozing und ihre Mutter mit der Geschichte und wahren „die Tradition, dieses Gefühl von Heimat, von Zuhause.“

Ihre Mutter ist dabei Tatjanas größtes Vorbild: „Was sie auf die Beine gestellt hat mit ihrem Handwerk, mit ihrem Können und als Unternehmerin, das hatte für mich immer schon Vorbildfunktion.“ Tatjana bezeichnet sich und ihre Mutter als Dreamteam, die mit moderner Küche und feiner Patisserie das Beste aus zwei Welten verbinden möchten.

„Ich esse am liebsten einfach Streuselkuchen.“

Und wenn man sich jeden Tag mit französischer Patisserie und feinen Torten umgibt, was hat man dann eigentlich selbst am liebsten auf dem Teller? „Streuselkuchen“, gibt Tatjana lachend zu. Das größte Glück kann manchmal so einfach sein.

Herbst und Winter beschreibt die 27-Jährige als ihre liebste Jahreszeit. Sie freut sich auf Christstollen und Weihnachtsplätzchen. Für sie dürfen in der kalten Jahreszeit vor allem Gewürze nicht fehlen: Vanille, Tonkabohne und Zimt stehen da ganz oben auf der Liste.

Für alle, die jetzt Lust haben, sich zuhause selbst an Törtchen und Desserts zu probieren, hat Tatjana Jozing drei Tipps: Gut vorbereiten, hochwertige Zutaten verwenden und viel ausprobieren. Letztlich kommt es auf die Erfahrung an, auf den eigenen Geschmack und natürlich auf das Bauchgefühl. Und das hat bei Tatjana am Ende einfach gestimmt.