Heinz Stachelscheid zieht es nach 30 Jahren Entwicklungshilfe in Südamerika zurück nach Drolshagen
Ganz im Westen des Kreises Olpe und des kurkölnischen Sauerlandes, in Drolshagen, liegt die Heimatstadt von Dr. Heinz Stachelscheid. Nach eigenem Bekunden wuchs er hier zusammen mit mehreren Geschwistern in einer urkatholischen Familie auf und verbrachte fröhliche und abenteuerliche Kinder- und Jugendjahre in ländlicher Idylle. Die Verbundenheit zum kurkölnischen Sauerland spielte im Leben des weitgereisten Sauerländers immer eine große Rolle. Sie drückt sich auch in der Umgangssprache des Tiermediziners aus, in der neben dem Hochdeutschen das Dräulzer Platt einen gewichtigen Platz einnimmt. Im Gespräch, Anfang Februar im Drolshagener Heimathaus mit WOLL-Herausgeber Hermann-J. Hoffe und Joachim Nierhoff erzählte der Völkerfreund über die Jahre in Peru und Ecuador, über die geplante Rückkehr ins Sauerland und zukünftige Aktivitäten.
Im Elternhaus lernte Heinz Stachelscheid schon früh die Drolshagener Missionare kennen, die in fernen Erdteilen lebten und missionierten. Während ihres Heimaturlaubs waren sie oft bei den Stachelscheids zu Gast. Gespannt hörten Erwachsene und Kinder zu, wenn sie von ihren langen Reisen und gefährlichen Abenteuern erzählten. Den jungen Heinz begeisterten die Geschichten und er begann, sich mehr und mehr für ferne Länder und Völker zu interessieren. Sobald als möglich wollte er in die Entwicklungshilfe gehen. Mit mehreren anderen Gymnasiasten aus Drolshagen bekam er vom damaligen Pastor Aloys Becker zusätzlichen Unterricht im Glauben, wie es damals hieß. Hoffte der Geistliche doch unter den wissbegierigen Gymnasiasten einen möglichen Priesternachwuchs zu finden. Auch Mutter Emmi vermutete dies, weil der Junge ja auf dem Gymnasium so gut in Latein war.
Auf dem Soziuskreuz und quer durchs Sauerland
Zunächst aber lernte der fromme Heinz die Heimat, das Sauerland in all seiner Vielfalt kennen. Schon mit sechzehn Jahren tritt er in den Sauerländer Heimatbund ein.
WOLL: Wie haben Sie damals das Sauerland erkundet?
Dr. Heinz Stachelscheid: Mit meinem fünf Jahre älteren Bruder Franz Günther durchstreifte ich zu Fuß oder auf dem Sozius seines Motorrads meist auf kleinen Nebenstraßen die heimische Bergwelt. So lernten wir die Dörfer und Sehenswürdigkeiten der Heimat kennen und schätzen. Das Besondere an meinem Bruder war und ist, dass er für diese Erkundungen keine Landkarte braucht und sich überall sofort zurecht findet.
WOLL: Neben dem Bruder müssen aber auch die Eltern eine Rolle gespielt haben. Waren die mit den teilweise langen Erkundungsfahrten einverstanden?
Dr. Heinz Stachelscheid: Auch unsere Eltern fuhren gerne ins Hochsauerland, vielfach geschäftlich, denn mittlerweile besteht unsere Metzgerei seit über 125 Jahre in Drolshagen. Darum fahren wir oft nach Ramscheid bei Finnentrop, um dort Buchensägemehl für die Räucherkammer zu holen. Auf der Rückfahrt wird dann auch heute noch gerne mal ein Umweg, zum Beispiel über Klosterbrunn, gemacht. Hier wird jährlich die Heilige Messe zum jährlichen Patronatsfest besucht. Übrigens spielt hier der ehemalige Drolshagener Stadtdirektor Hermann Schmelzer auf der Klosterorgel.
Doch nicht nur das etwas verwunschene Klosterbrunn in der Homert hat es mir angetan. Mein absoluter Favorit ist der mystische Wilzenberg, den ich gern an Christi Himmelfahrt von Schmallenberg aus herauflaufe. Das machen wir in unserer Familie schon lange. Da entwickelt sich dann die besondere Verbundenheit mit dem Sauerland.
Ich habe nach dem Abitur meinen Zivildienst beim Veterinäramt in Arnsberg gemacht und später auch dort meine Doktorarbeit geschrieben. Wenn ich damals meine veterinärmedizinischen Untersuchungen in Arpe oder Werpe auf den Bauernhöfen eingesammelt habe, lernte ich auch diesen Teil des Sauerlandes näher kennen. Besonders auf den Rückfahrten nach Drolshagen bin ich dann immer querfeldein gefahren, um viele mögliche Verbindungen auszuprobieren. Mal ging die Rückfahrt über Hellefeld, Grevenstein, Wenholthausen und Eslohe, oder über Sundern nach Rönkhausen und Finnentrop, oder über Meschede entlang des Henne-Stausees. Alle Varianten wurden ausgetestet, um das Sauerland genau zu erkunden.
WOLL: Also wurde das ganze kurkölnische Sauerland erkundet. Spielte dieses Kurkölnische in der Familie eine große Rolle?
Dr. Heinz Stachelscheid: Ja, das ist so. Unsere Mutter stammt aus Wenden, eine geborene Quast. Das ist auch Sauerland. Aber was die Sprache angeht, spricht man dort einen niederfränkischen Dialekt. Das klingt ganz anders als unser Dräulzer Platt, doch das Wendsche Platt, das habe ich natürlich auch gelernt. Insgesamt spielt die kurkölnische Identität bei uns in Drolshagen, zusammen mit dem Katholischen eine große Rolle.
Nach Studium und Doktorarbeit in die weite Welt
WOLL: Dann hat das Kurkölnische Ihr Leben in Verbindung mit den Orten im Sauerland geprägt, in denen Sie längere Zeiten verbracht haben?
Dr. Heinz Stachelscheid: Dieses Kurkölnische und das Katholische waren bei mir schließlich ausschlaggebend für das Interesse an der großen weiten Welt. Ich sagte ja schon, dass die Dräulzer Missionare meine Neugier dafür geweckt hatten und dann wollte ich meine veterinärmedizinischen Studien auch anwenden. So habe ich mich erneut beim Deutschen Entwicklungsdienst beworben. Bereits vor dem Abitur hatte ich mich, kühn motiviert durch die katholische Nächstenliebe, allerdings ohne dokumentierte Nachweise, angetrieben mit großem Idealismus, etwas in der Welt zu verändern, beim Entwicklungsdienst beworben. Ausgestattet mit Fernweh und Tatendrang und einem wunderbaren Beruf, wurde meine Bewerbung akzeptiert. Bis zum vorigen Jahr habe ich in Ecuador gearbeitet, in meinem zweiten Auftrag für „Brot für die Welt“. Ich wäre auch heute eigentlich in Ecuador, doch das BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) hat uns vor einem Jahr aufgefordert Südamerika zu verlassen. Aus Ecuador stammt auch meine Frau mit der ich zwei wunderbare Töchter habe, die sich im Sauerland sehr wohlfühlen. Die Ältere studiert bereits in Deutschland. Auch das ist ein Grund, dass ich nach Beendigung meiner Tätigkeit in der Entwicklungshilfe, nach Deutschland, genauer gesagt nach Drolshagen, zurückkehren werde. Dann sind dreißig Jahre Entwicklungshilfe Geschichte. Natürlich bleibt die Verbindung nach Ecuador bestehen. In Zeiten des Internets ist das ja kein Thema mehr. Das Heimweh ist bei mir in den Jahren gewachsen, die Kinder sind in Südamerika auf eine deutsche Schule gegangen, also mehrsprachig aufgewachsen und damit gut integriert. Momentan schreibe ich täglich an einem Buch, das von Tag zu Tag dicker wird.
Erfahrungen als Tiermediziner in den Anden
WOLL: Handelt es sich um ein Sauerland- Buch?
Dr. Heinz Stachelscheid: Nein, das ist ein Fachbuch für Tierpromotorinnen und -promotoren. Ich schreibe es in Spanisch als praktische Unterweisung für Entwicklungshelfer, die mit den Indios nach modernen Erkenntnissen in der Tierzucht arbeiten. In Peru besteht nach meinem Erleben ein ziemlich ungerechtes Wirtschaftssystem für die indigene Bevölkerung. Sie züchten ihre Alpakas, doch die Wolle verkaufen sie zu niedrigsten Preisen, weil die Menschen keine gemeinsame Verkaufsorganisation haben. Nicht nur das Tierwohl wird durch die Entwicklungshelfer gefördert auch die Vermarktung der Wolle. Die wird klassifiziert in gut, mittel und schlecht, um dann in Arequipa bestmöglich vermarktet zu werden. Die ungerechten Strukturen aufzubrechen hat mich, neben meiner medizinischen Tätigkeit, immer sehr beschäftigt.
WOLL: Wenn man, wie Sie, in fremde Länder geht und dort seine Frau gefunden hat, fühlt man sich dort dann nicht wohl? Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen im Hochland von Ecuador oder Peru und den Menschen im Land der tausend Berge?
Dr. Heinz Stachelscheid: Ja, die Gemeinsamkeiten gibt es. Gleich bei meinem ersten Vertrag von 1991 bis 1994 war ich als Tierarzt in Salinas in Ecuador, in einem kleinen Dorf am Chimborazo, dem höchsten Berg des Landes mit 6310 Meter. Das Dorf liegt auf 3550 Meter Höhe, wo ich intensiv Land und Leute kennenlernte. Da ist es mir gut bekommen, dass ich selbst aus einem kleinstädtischen Milieu kam. Mich einzuleben und auf die Leute einzulassen, hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Schon am ersten Abend wurde mir ein Patenkind angedient. Insgesamt wurde ich zehnmal Pate! Die Patenkinder wurden mit ihren Eltern übrigens alle zu unserer Hochzeit eingeladen und kamen gleich in einem Bus mit sechzig Personen. Hier gelang es mir zusammen mit einem italienischen Priester, einem katholischen Missionar, mit dem ich sehr eng befreundet bin, das größte Netzwerk von genossenschaftlich organisierten Käsereien aufzubauen. Gerade das genossenschaftliche Denken kannte ich von hier. Der Zusammenschluss von vielen kleinen Bauern, die dadurch in der Lage sind Kredite zu nehmen ist für die indigene Bevölkerung eine Riesenhilfe zur Selbsthilfe. Doch es war mir immer wichtig, mit der Heimat in Verbindung zu bleiben. Mit einer Spezialantenne konnte ich spätabends auf der Deutschen Welle Nachrichten aus der Heimat hören. Soeben habe ich noch mit Salinas gefunkt, das ist natürlich ganz fantastisch, dass wir heute die modernen Kommunikationsmittel ganz bewusst einsetzen können.
Auch in der Fremde bleibt man der Heimat und ihrer Sprache verbunden
WOLL: Sie haben anscheinend ein wunderbares Gedächtnis. Ihnen fallen viele Namen schnell ein, ohne nachzudenken. Sie sprechen Sauerländer Platt, so als würden Sie sich jeden Tag damit unterhalten. Wie macht man das?
Dr. Heinz Stachelscheid: Ich sage immer, man hat zwei Gehirnhälften, da sollte man das ja ganz gut hinbekommen. Natürlich nehme ich von hier nach Ecuador immer die neueste Literatur über das Sauerland mit. Besonders die Dichterin Christine Koch mit ihrer Poesie hat es mir angetan, indem ich ihre Gedichte als Student in Marburg sogar ins Dräulzer Platt übertragen habe. Die Gedichte habe ich dem ehemaligen Drolshagener Stadtdirektor Josef Hesse zugeschickt. Auch heute lese ich noch die Neuerscheinungen über Christine Koch, wie zum Beispiel jetzt die Bände, die von Dr. Peter Bürger bearbeitet worden sind.