Die Wölfe der Luft

Ein Wüstenbussard als Jagdpartner mit Familienanschluss

Greifvögel sind Einzelgänger. Die meisten von ihnen jagen für sich alleine. Wüstenbussarde, die fast auf dem ganzen amerikanischen Kontinent von der Nordgrenze der USA bis nach Argentinien vorkommen, bilden eine der wenigen Ausnahmen. Sie jagen im Familienverband, trickreich mit verteilten Aufgaben und sozial, so dass auch schwache und kranke Familienmitglieder mitversorgt werden. Wildbiologen haben schon über 40 verschiedene Laute identifiziert, mit denen sich die Vögel untereinander abstimmen, um koordiniert zu jagen. Das hat ihnen den Spitznamen „Wölfe der Luft“ eingebracht und das macht sie zum idealen Jagdpartner für den Menschen, meint Antonius Vollmer aus Remblinghausen. Der 59-Jährige ist im Hauptberuf Förster und Umweltpädagoge – und außerdem Falkner aus Leidenschaft. Er trainiert seinen dreijährigen Wüstenbussard Jule nicht für Showeinlagen, sondern für die tägliche Arbeit.

Jule geht zur Arbeit

Friedhöfe, Wohngebiete, Industriegebiete und Kirchen – überall dort wo eine tierische Überbevölkerung zum Problem werden kann und wo eine Bejagung von Kaninchen, Tauben, Krähen und Co. mit dem Gewehr ausgeschlossen ist, kann Jule helfen – zum Beispiel in einem Industriegebiet am Rheinufer bei Duisburg. Wenn dort die Kaninchen die Rasenflächen unterhöhlen und Mitarbeiter in ihrer Mittagspause durch die Decke der Bauten einbrechen, ist das schon nicht schön. Richtig gefährlich wird es, wenn die Kaninchen die Dämme und Deiche Richtung Rhein unterminieren. Jule – mit Hilfe einiger gefiederter Kollegen sowie Hunden und sogar Frettchen – kommt dann vorbei und räumt auf. Dabei geht es nicht darum, so viele Kaninchen wie möglich zu erlegen, sondern vor allem darum, die Gegend für die Überlebenden möglichst unattraktiv zu machen. Eigentlich will man ja so wenig Tiere wie möglich töten, sondern vielmehr die tierische Bevölkerung davon überzeugen, ihre Behausungen an einer weniger gefährlichen Stelle zu bauen – „vergrämen“ heißt das in der Fachsprache. Der regelmäßige Einsatz ihrer natürlichen Feinde bewirkt das perfekt. Ordnungsämter, Kirchengemeinden und Firmen sind Kunden für solch ein tierisches Team.

Federpflege und andere Liebesbeweise

Jule lebt mit Antonius Vollmer aber nicht nur in einer beruflichen Zweckgemeinschaft. Sie hat Familienanschluss. „Jule könnte jederzeit wegfliegen,“ sagt ihr Falkner, „aber sie kommt immer wieder gerne zu mir zurück, weil sie weiß, dass sie bei mir ihr Lieblingsfutter bekommt und weil sie sich abends in ihrer Voliere sicher fühlt. Dort muss sie nicht wie in freier Natur die ganze Nacht über aufpassen, ob nicht von oben ein größerer Greifvogel kommt oder von unten ein Marder den Stamm erklettert. Außerdem entwickeln Wüstenbussarde eine ganz starke emotionale Bindung zu ihrem Falkner. Jule betrachtet meine Frau und mich als ihre Familie.“ Zahlreiche Erlebnisse mit dem Vogel belegen das: Ab und zu darf Jule mal mit ins Haus. Eines Tages saß sie auf der Rückenlehne eines Küchenstuhles, als Frau Vollmer mit neuer Frisur vom Friseur zurückkam. Jule machte sich sofort daran, die Haare behutsam Strähne für Strähne mit ihrem Schnabel wieder in die ursprüngliche Lage zu bringen – genau wie sie das in freier Wildbahn tun würde, wenn ein Familienmitglied mit völlig zerzaustem Gefieder aus einem Sturm zurückkäme.

Der lange Weg zum Falkner

Auch wenn Wüstenbussarde ein so menschenbezogenes Leben führen können, bleiben sie doch immer wilde Tiere, deren Haltung einiges an Sachkunde erfordert. Ein einfacher Griff mit der Kralle kann gefährlich sein. Jule, die selbst gerade mal ein Kilogramm wiegt, kann einen Druck von bis zu einer Tonne ausüben. Ein Sachkundenachweis, den zu erwerben sehr viel zeitaufwendiger ist als bei einem Hund, ist deshalb eine zwingende Voraussetzung, um Halter eines Greifvogels zu werden. Wer mit dem Tier artgerecht umgehen will und ihm die Gelegenheit zu ausgedehnten Flügen nicht vorenthalten will, muss Falkner werden. Ein erster Schritt dahin ist das „grüne Abitur“, die Jägerprüfung, an die sich dann eine spezielle Falknerprüfung anschließt. Erst mit dem Falknerschein ausgestattet darf man mit seinem Vogel in die freie Natur. Demnächst bildet Antonius Vollmer wahrscheinlich einen jungen Bad Fredeburger zum Nachwuchsfalkner aus. Wenn er alt genug ist, kann er die Prüfung ablegen und auch einen Wüstenbussard halten. Die beiden Vögel können dann für die gemeinsame Jagd ausgebildet werden. Während Jule allein bei 35 Prozent ihrer Flüge einen Jagderfolg hat, würde sie mit einem Partner gemeinsam bei 60 Prozent aller Flüge Erfolg haben. Wüstenbussarde werden in der Obhut eines kundigen Falkners 20 bis 25 Jahre alt. Jule hat mit ihrem zukünftigen Partner also noch viele gute Jahre vor sich. In freier Natur erreichen die Tiere ein solches Alter in der Regel nicht.

Jule geht zur Schule

Jule unterstützt Antonius Vollmer auch bei seinem zweiten Aufgabenfeld: der Umweltpädagogik. Sie geht mit ihm in Schulen und Kindergärten und lässt sich dort – nach entsprechender Anleitung – sogar streicheln. „Meistens kommen dann sofort so viele Fragen, dass wir buchstäblich spielend alles vermitteln können, was die jeweilige Lehrperson und ich uns vorgenommen haben“, erzählt der überzeugte Naturbotschafter. Etwa eine Stunde dauert das Programm, das jede Schule kostenfrei buchen kann (Anmeldung bei Antonius Vollmer unter 0171 – 5872164). Auch Programme für kleine Gruppen von Erwachsenen sind in Zusammenarbeit mit dem Schmallenberger Sauerland Tourismus in Planung. Dabei erfährt man dann noch mehr von der fast viereinhalb Jahrtausende alten Geschichte der Falknerei, vom Training der Tiere und von den Unterschieden zwischen Wüstenbussarden und anderen Greifvögeln.