„Die sind das Klima schon gewohnt.“

Das Naturparadies von Heinrich Fischer

Es ist ein sonniger Mainachmittag als uns drei WOLL-Mitarbeitern der alte, weise Sauerländer vor der Tür seines selbst erbauten Hauses die Hand gibt. Es dauerte eine Weile bis Heinrich Fischer die Tür geöffnete hatte. „Ein alter Mann ist kein D-Zug“ war sein kecker Kommentar dazu. Das muss der 96-Jährige aber auch nicht mehr sein. Pünktlich zu seinem Garten schaffen wir es heute allemal.

Nur ein paar Steinwürfe von seinem Haus entfernt finden wir den unscheinbaren Eingang zum einem Naturparadies, was Heinrich Fischer sein Eigentum nennt. Schon bevor wir durch das alte Tor eingetreten sind, dürfen wir einen der zahlreichen Schätze des Gartens bewundern. Ein üppiger Stachelbeerstrauch reckt seine saftig grünen Äste durch den Zaun.

Naturparadies mit Schätzen des Gartens

„Das ist eine der besten Stachelbeersorten“, die der erfahrene Mann je gegessen hat. Den Namen kennt er nicht, doch den Steckling hatte er vor langer Zeit selbst geschnitten und gezogen. Wie fast alle Mitglieder seiner umfangreichen Pflanzensammlung stammt auch dieser Strauch aus der direkten Umgebung. Aus Albaum, um genau zu sein. Im Laufe seines Lebens hat Heinrich Fischer sich um einige Gärten in seiner Umgebung gekümmert. Mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten, seinen Erfahrungen und einem guten Auge hat er im Laufe der Jahre und Jahrzehnte eine beachtenswerte Sammlung der besten Sorten aus der Umgebung angehäuft. Mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit erzählt er bei unserer Schnuppertour durch sein Naturparadies von den unterschiedlichen Techniken, die er nutzen musste. Stecklinge, Wurzelausläufer und Veredelungen hat der erdverbundene Albaumer, wie auch sein kleines Gartenhüttchen, die Leiter und vieles mehr selbst gemacht oder angefertigt.

Als wir gemächlich durch den Garten streifen, umschwirren uns unterschiedlichste Insekten. Heute herrscht hier geschäftiges Treiben, das gute Dutzend Apfelbäume und ein paar der Birnbäume haben ihre Blütenpracht für die fleißigen Bestäuber geöffnet. Mit zwei Gehstöcken führt und der Bienenfreund zielstrebig durch seine Grünanlagen. Zwischen Reihen von Weihnachtsbäumen weist er uns immer wieder auf kleine Besonderheiten seiner Anpflanzungen hin. Hier eine seltene, bunte Buchsbaumvariante und dort ein Absenker einer Korkenzieherhasel, echter Flieder und natürlich eine beeindruckende Vielfalt an Obstarten und -sorten.

Zabergäu Renette, Jakob Lebel und gelbe Kugel

Zu jedem Baum und Strauch kann Heinrich Fischer eine Geschichte erzählen. Neben vielen bekannten Sorten (Zabergäu Renette, Roter Boskoop, Jakob Lebel, Grüne und gelbe Kugel) finden sich ebenso unbekannte Namen in der Sammlung. Der Riesenapfel aus Marmecke, die Bergamotte aus Böminghausen, die Honigbirne aus Oberalbaum, oder der Schafsnasen-Apfel vom Pfarrheim in Albaum sind dafür ein paar Beispiele. Viele dieser lokalen Varianten tragen überhaupt keinen Namen, oder haben nur eine lokale Bezeichnung.

Das Thema der lokalen Sorten ist Heinrich sehr wichtig. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass sich die Ableger, Stecklinge und Edelreiser aus der Umgebung deutlich besser schlagen, als die zugekauften Varianten. „Die sind das Klima schon gewöhnt“, weiß der Naturfreund. Was für den weisen Mann schon länger glasklar zu sein scheint, dringt erst langsam ernsthaft in unser wissenschaftliches Verständnis der heimischen Pflanzenwelt ein. Umwelteinflüsse verändern im Laufe ihres Lebens das Erbgut von Pflanzenvarianten. Sie vererben diese Erfahrungen an ihre Nachkommen und tragen diese erworbenen Fähigkeiten, nachdem sie veredelt oder anderweitig vermehrt wurden. So tragen lokale Obst und Gemüsesorten nicht nur einen kulturellen oder romantischen Wert in sich, sie bieten auch einen praktischen Wert für Anbau und Züchtung.

Lokale Obst- und Gemüsesorten

In der heutigen globalisierten Welt, in der Lebensmittel aus der ganzen Welt verfügbar sind, wird vergessen, welche Schätze vor unserer Haustür wachsen. Lokale Obst- und Gemüsesorten bieten nicht nur frische und schmackhafte Alternativen, sie sind auch ein wichtiger Bestandteil unserer kulturellen Identität und unserer Umwelt.

Lokale Obst- und Gemüsesorten spielen außerdem eine entscheidende Rolle bei der Zucht neuer Sorten. Diese traditionellen Sorten sind oft natürliche Schatzkammern genetischer Vielfalt, die es den Züchtern ermöglichen, Eigenschaften wie Geschmack, Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, Anpassungsfähigkeit an das Klima und Ertrag zu verbessern.

Ein Vorteil bei der Verwendung lokaler Sorten in der Zucht besteht darin, dass sie an die spezifischen Umweltbedingungen einer Region angepasst sind. Sie haben sich im Laufe der Zeit an das lokale Klima, den Boden und andere ökologische Faktoren angepasst. Indem man diese Anpassungsfähigkeit in die Zucht einbezieht, können widerstandsfähigere Sorten gezüchtet werden, die weniger Anfälligkeit für Krankheiten und Schädlinge aufweisen. Dies verringert den Bedarf an Pestiziden und trägt zur Nachhaltigkeit der Landwirtschaft bei.

Darüber hinaus sind lokale Sorten ein wichtiger Teil des genetischen Erbes einer Region. Durch den Erhalt und die Nutzung dieser Sorten in der Zucht tragen wir dazu bei, die genetische Vielfalt zu bewahren und den Verlust von einzigartigen genetischen Merkmalen zu verhindern. Dies ist von großer Bedeutung, um die Anpassungsfähigkeit von Kulturpflanzen an zukünftige Herausforderungen wie zum Beispiel den Klimawandel zu gewährleisten.

Im Sauerland haben sich im Laufe der Jahrhunderte unzählige lokale Obst und Gemüsesorten angesammelt. Doch meist ist das Wissen über deren Namen und Verwendungen nicht aufgeschrieben worden. Mündliche Überlieferungen sind daher der Schlüssel zur Identifikation und Nutzung dieser Kulturschätze. Im Garten von Heinrich Fischer finden sich einige dieser seltenen Sorten. An vielen anderen Orten fristen interessante Sorten unerkannt und ungepflegt ihre letzten Jahre in Vergessenheit. Ist der letzte Baum einer Sorte gefällt, ist sie für immer verloren. So erhält der Garten des alten Sauerländers Naturfreundes unsere Natur und Kultur und ist nicht nur ein romantischer Blickfang an einem sonnigen Maitag.