Quelle: WDR/Trickstudio Lutterbeck1
FAZ: „Kinderfernsehen aus dem Nichts erfunden“
Er hat die „Sendung mit der Maus“ erfunden, die im März 2021 ihren 50. Geburtstag feiert: Gert Kaspar Müntefering, geboren am 28.11.1935 in Neheim, Johannes-Hospital. Vater Ewald Müntefering, Kaufmännischer Angestellter, Mutter Rosa Franziska geb. Grilc, Hausfrau und Friseurmeisterin. Ehefrau Karin Müntefering (+ 2017), geb. Ammann. Vater von zwei Kindern. Kein Abitur. Journalist bei der Zeitung u.a. bei der Westfalenpost in Arnsberg und in Olpe. Dann Fernsehen beim WDR. Hochschullehrer. Die FAZ würdigt ihn: „Eigentlich hat er das Kinderfernsehen in Deutschland aus dem Nichts erfunden…“
WOLL: Wie war Ihre Kindheit?
Langweilig, spannend, gefährlich, lustig. Manchmal alles an einem Tag.
WOLL: Am liebsten haben Sie was gespielt?
Verbotenes. Auf den Leitern des Dachdeckers Knickenberg, am Mühlengraben und an den Ufern der Möhne mit heimlicher Angel.
WOLL: Welche besonderen Erlebnisse hatten Sie als kleiner Junge in und um Neheim-Hüsten?
So gut wie ertrunken im Mühlengraben, von der Flut entführt auf dem selbstgebauten Floß nach der Talflutung durch den Möhnesee im Mai 1943, in die Luft geflogen zusammen mit den Zwillingen der Familie Wienecke und dem kleinen Bäumler aus der Ringstraße. Aus dem Mühlengraben zog mich eine Nachbarin, Wehrmachts-Pioniere retteten mich vom Floß – zu dem vereinbarten Treffen mit den drei Freunden kam ich zu spät: sie waren schon vorgelaufen in den Bunker mit den Zündhütchen am Totenberg und kamen nie wieder…
WOLL: Ihr Lieblingsbuch?
„Wolfsblut“, Jack London.
WOLL: Kinderfernsehen gab es ja noch nicht …
Selbst als ich aufhörte, Kind zu sein (mit Datum 1950, eigentlich aber erst vorgestern), existierte noch kein Fernsehen. Heute gibt es jede Menge kindische Sendungen für alle Altersstufen.
WOLL: Abitur haben Sie nicht gemacht …
Natürlich hatte ich sechs Jahre Neusprachliches Gymnasium und einige Anhaltspunkte, was Bildung so ist. Eine brave Lehrperson, weiblich, hatte nach Lektüre eines Aufsatzes empfohlen: „Mach was mit Schreiben.“ Meine Mutter hatte im Herbst 1946 einen fetten Bauernschinken gegen eine Continental-Schreibmaschine getauscht und das Berufsleben ermöglicht.
Ferner las ich Bücher, die ich nicht verstand, legte ein privates Wörterbuch komischer Begriffe an – und pflegte Umgang mit Schülern, die grundsätzlich klüger waren als ich. Friedhelm Ackermann gehörte dazu, der so tolle Fotos vom Sauerland machte, Walter Bahnschulte, Sohn des Heimatforscher Bernhard Bahnschulte aus der Möhnestraße und Rainer Kleff, der Sohn des Hüttendirektors Hüsten. Er las viel, sah mit mir Bilder aus modernen Museen und beobachtete Fischreiher an der Ruhr. Auch mit dem erfahrenen praktisch orientierten Werner Koch aus dem kleinen Fischgeschäft war ich unterwegs. Arbeits- und Lehrjahre.
WOLL: Und dann?
Ich marschierte eines Tages in die Westfälische Rundschau und bot mich als redaktionelle Hilfskraft an. Mein Trumpf: Schreibmaschine perfekt. Willi Gerlach, der Redakteur, nahm mich. Bald fühlte ich mich als Reporter. Auf dem Markt notierte ich die Preise von Erbsen, Zwiebeln und Möhren – sowie Spinat und Rüben. Später erwähnte ich das in meinen Bewerbungen als „Berichte zur Agrarproduktion.“
Mutter Müntefering bestand auf ein Volontariat, Ich wechselte von 400 D-Mark freiem Geld zu mageren 130 D-Mark Volontärs-Gehalt und zur Westfalenpost. Beinahe hätte ich den Ausbildungsjob nicht bekommen, weil Herausgeber NRW-Justizminister Sträter nach dem Abiturzeugnis fragte. Chefredakteur Fritzen setzte mich durch. Später war er im WDR-Rundfunkrat. „Hier liebe Freunde“, pflegte Fritzen gesellig beim Umtrunk mit den Redakteuren und Verwaltungsräten zu sagen „ist mein Triumph: Kein Abitur – und jetzt die „Sendung mit der Maus“! So wussten jedenfalls alle, dass ich kein Abitur hatte. Wie übrigens Ministerpräsident Rau auch nicht – und er konnte nicht mal eine Maus vorweisen…
WOLL: Für eine Zeit lang waren Sie auch in der Olper Redaktion der WP. Welche besonderen Erinnerungen haben Sie?
Da war ich noch ziemlich als Volontär unterwegs. Erfuhr, dass unbedachter Gebrauch von Buchstaben verletzen kann. Unvermutet erschien die Frau und jagte mich mit Regenschirm schimpfend um den Schreibtisch. Ihr Mann war in einen Graben gefahren – das Auto schwamm. Meine unbedachte Überschrift „Kapitän zur See.“ Hinterher erfuhr ich, dass ihn seine Skatrunde aufgezogen hatte.
WOLL: Was haben Sie nach „Redaktionsschluß“ in Olpe gemacht?
Jedenfalls nicht Skat gespielt. Ich zog mit einem geflüchteten DDR-Kollegen, gebildeter Marxist, abends lange durch die Straßen der bürgerlichen Kleinstadt und erhielt ein Seminar. Verstand dann auch, dass Trotzkismus nichts mit der Erziehungsphase von Kindern zu tun. Wir fuhren auch nach Düsseldorf und sahen „Porgy and Bess.“ Am Steuer saß der Vertriebschef, denn damals gingen Redakteure noch zu Fuß. Wir lasen viel Tucholsky und den enttäuschten Kommunisten und den tollen Reporter Egon Erwin Kisch.
WOLL: Wie kamen Sie zum WDR-Fernsehen?
Kurzversion. Nach sechs Jahren ohne Kontakt traf ich den guten Freund Günter Richard aus Arnsberger Zeitungstagen auf der Hohe Straße in Köln. Er hatte Geburtstag und gab einen aus. „Ich bin beim Fernsehen“, sagte er. Da staunte ich. „Wann kann ich Dich denn mal sehen?“ „Na ja, ich mache Grafik für die Titel.“ Er wusste, das Kinderfernsehen suchte einen Redakteur – und stellte den Kontakt her.
Ich war nicht sonderlich begeistert und ging ganz entspannt in ein Gespräch. Der WDR hatte übrigens bei mir angerufen. Meine journalistische Auskunft und Praxisbelege gefielen. Da ich noch richtige Daten und Namen zur Literatur gab, auch diesen und jenen Film kannte – und solide Kenntnisse vom Kinderalltag vortrug, probierte wir es gegenseitig. Das hielt 40 Jahre.
WOLL: „Die Maus!!“ – In den 70iger Jahren schlug ihre Geburtsstunde im Deutschen Fernsehen, und sie gibt es noch heute mit den berühmten Lach- und Sachgeschichten. Bald wird sie „50!“ – Sie gelten als ihr Erfinder. Wie kam es zu der Idee?
Sachgeschichten, also kleine Dokus über unsere Welt und unseren Alltag, die auch die Nähe zum Gag wie in der Werbung nicht verschmähten, lagen nahe an meinen immer noch akuten journalistischen Interessen. Jetzt waren der Auftrag und die Chance da, unvermutet und durch „Sesamstraße“ provoziert, Kinder als Publikum zu erreichen. Unter Vermeidung von pädagogischen Fahrplänen und Arbeitsrunden mit Kindergärtnerinnen stellten wir einen Reportage-Fahrplan mit bunten Lachgeschichten zusammen. Die Maus kam später und durfte nicht sprechen. Ferner musste der Trick langsam laufen, aber anders als erwartet enden. Das war es schon. Ach so – die Stimme von Armin Maiwald setzten wir bewusst gegen die glatten Kommentare ein. Die „Maus“ wurde dann zum Labor für Janosch, Käpt`n Blaubär und bot auch dem Maulwurf aus Prag Quartier. Und den doppelten Sprachvorspann sahen wir als Ratespiel und Einladung für Kinder mit anderen Sprachen.
WOLL: Von allen Seiten werden heute Kinder von den sogenannten Sozialen Medien „berieselt“ und „zugeschüttet“ – was kann der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk dagegenhalten?
Besser rieseln und von Zeit zu Zeit einen authentischen Quellcode entwickeln. Wie die Maus…
WOLL: Sie sind ein lebensfroher Mensch, der mit einfachen und klaren wie klugen Worten viel in seinem Leben erreicht hat. Hat das was mit Ihrer Sauerländischen Herkunft zu tun?
Nun ja – manche meinen ja, das Sauerland müsse sauer sein. Das ist Quatsch. Der Laden ist in Ordnung. Mir hat die ungekünstelte Sprache, die sich nicht singend und schwingend idiomatisiert (erfundenes Wort), immer gefallen. Und die Fahrten über verschneite Nebenwege mit den kleinen Paketen der Freundschaft für die freien Mitarbeiter sind unvergessen. Mein Lieblingsplatz ist nach wie vor der Gasthof, bei dem eine dicke Frau auf der Bank vor dem Eingang sitzt. Nicht weit von Winterberg und der Ruhrquelle: Bei Schütte in Oberkirchen. Meine Mentalität ist aber nicht astrein Sauerländisch. Mutter Müntefering, geborene Grilc, kommt aus Graz in der Steiermark. Sie kochte wunderbar.
WOLL: Man hätte ja meinen können, dass Sie nach ihrer Pensionierung im WDR von Köln zurück nach Neheim in die alte Heimat umziehen. Stattdessen leben Sie in Berlin. Warum?
Mein Sohn lebt in Berlin. Wir suchten eine gute Stadtwohnung und neben alten auch neue Freunde. Wir fanden sie. Das Auto ist fast überflüssig. Ich treffe die halbe ARD, kann sie aber auch vermeiden. Das Klima ist nicht so schwül wie am Rhein, wo nach wie vor mein lieber Freund Armin der Maiwald werkelt. Wir sehen uns in beiden Städten.
WOLL: Was macht so ein kreativer und lebenslustiger Typ wie Sie den lieben langen Tag in Corona-Zeiten?
Fragen beantworten. Mehr als man denkt. Bücher lesen, manche zweimal – und der Rest, der noch wartet, ohne schlechtes Gewissen betrachten. Außerdem entsteht ein Buchmanuskript über 200 Seiten: „Vom Schulabbrecher zum Maushelden“ Hier mal so als Schlagwort.
WOLL: Und welche Fernseh-Sendung sehen Sie am liebsten?
Abendschau mit Wetterkarte…