Die Sachsen im Sauerland?

Quelle: Privat

Zeichen an Sauerländischen Fachwerkhäusern und ihre Geschichte

Das traditionelle Sauerländer Bauernhaus kann auch als Hallenhaus bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um eine Form des Wohnstallhauses, welches von einem langen, durchgehenden First überdacht wird. Dieser vereinte Stall, Wohnraum, Küche, Werkstätte und Lagerräume miteinander. Mit der Etablierung der Landwirtschaft breitete sich das Langhaus, als Vorgänger des Hallenhauses, bereits vor 7.000 Jahren in Mitteleuropa aus. Heute ist die Verbreitung des Hallenhauses praktisch deckungsgleich mit dem ehemaligen Siedlungsraum des germanischen Stammes der Sachsen. Es wird daher auch als altsächsisches Bauernhaus, als sächsisches Haus oder auch als Westfalenhaus bezeichnet. Doch ist noch mehr von der Kultur der Sachsen an diesen Häusern zu finden als nur ihre Form?

Die Sachsen, die nichts mit dem heutigen deutschen Bundesland Sachsen zu tun haben, bewohnten bis ins frühe Mittelalter (ca. 800 n. Chr.) ein großes Gebiet, welches in Deutschland u.a. die Regionen des heutigen Niedersachsens und Westfalens miteinschloss. In den Augen ihrer christlichen Nachbarn waren sie Heiden. Sie hielten am alten germanischen Glauben ihrer Vorfahren fest, der sich in verschiedenen Ausprägungen in ganz Nordeuropa fand. Die Namen ihrer Götter liegen uns heute noch beinahe täglich im Mund. Die Bezeichnungen „Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag“ stammen von den Namen der germanischen Götter Tyr, Wodan, Donar und Frija.

Erst als Karl der Große sich im Jahr 772 aufmachte, diese Heiden in seine Vision des Gottesstaates einzubauen, begann der Untergang ihrer Kultur. Mit der Eroberung der Eresburg im heutigen Obermarsberg und der Zerstörung der dortigen kultischen Weltensäule Irminsul läutete der Frankenkönig die Konversion der Sachsen ein. Systematische Umsiedelungen, Straffeldzüge und die Einführung von martialischen Gesetzen vertrieben die heidnische Kultur so weit aus den Köpfen der Bevölkerung, dass bereits im 10. Jahrhundert von einem zusammengewachsenen christlichen Volk der Franken und Sachsen gesprochen wird. Doch selbst heute finden wir doch einige Überbleibsel dieses alten Glaubens. Vielleicht sind sie nur noch Bruchstücke, aber ihre pure Erscheinung verbindet uns auch nach über 1000 Jahren mit ihrer Vorstellungswelt. Zwei dieser kulturellen Bruchstücke möchte ich kurz beschreiben.

Das Sachsenross

Im Wappen Nordrhein-Westfalens findet sich heute noch eine Variation des als Sachsenross bekannten Symbols. Generell zeigt das Symbol ein steigendes weißes Pferd auf rotem Hintergrund. Es finden sich keine direkten Quellen für dessen Ursprung. Durch indirekte Hinweise wird aber relativ klar, dass das Pferd eine entscheidende kultische Bedeutung im heidnischen Glauben der Sachsen gehabt haben muss. So schreibt beispielsweise der römische Geschichtsschreiber Tacitus über die Heiden: „Dem Volke eigentümlich ist auch, der Rosse Vorahnungen und Warnungen zu erproben. (…) Keinem Vorzeichen ist größerer Glaube, nicht allein beim Volk, sondern bei den Vornehmen, bei den Priestern. Sich selbst halten sie für die Diener der Götter, die Rosse jedoch für die Vertrauten der Götter.“

Dazu kommt, dass das Symbol des steigenden Schimmels, trotz fehlender Erwähnung der kultischen Bedeutung, in verschiedenen, ehemals sächsischen Siedlungsgebieten als Wappen auftaucht. Die Grafschaft Kent in England, die Region Twente in den Niederlanden und Niedersachsen gehören, neben Westfalen, zu den bedeutendsten Beispielen. In Niedersachsen sind heute noch an vielen alten Höfen Pferdeköpfe als Giebelschmuck zu finden. Außerdem wurden hier bei verschiedenen Ausgrabungen Gräber von Pferden gefunden, die eine ehrenvolle Bestattung erfahren hatten. Diese werden in die altsächsische Zeit datiert. Findet man also heute das Symbol des Pferdes oder einen Pferdekopf in den Ornamenten eines Bauernhauses, kann man wohl davon ausgehen, dass es sich um ein Überbleibsel des alten Glaubens unserer Vorfahren handelt.

Die Irminsul

Das Wort Irminsul stammt wohl von den beiden germanischen Wörtern irmana = groß und sul = Säule. Beschrieben wird sie als „senkrecht aufgerichteter Baumstamm von nicht geringer Größe“. Die Irminsul war wahrscheinlich eine Abwandlung der in der nordischen Mythologie bekannten Yggdrasil. Dabei handelt es sich um eine Darstellung des Weltenbaumes. Bekannt ist, dass diese Säulen/Bäume das Himmelsdach getragen haben sollen. Wahrscheinlich gab es mehrere solcher kultischen Säulen oder Bäume, sie bildeten wohl den Mittelpunkt der als Ting bekannten Treffpunkte der Germanen. Hier wurden kultische Feste und Treffen der praktisch autonom agierenden Stämme abgehalten.

Darstellungen der Irminsul sind auch als Giebelschmuck speziell im Ravensburger Land und in ganz Westfalen als „Geckpfahl“ bekannt. An den Eckpfeilern so mancher Bauernhäuser finden sich hier im oberen Sauerland eingeschnitzte Darstellungen von symbolischen Säulen. Diese Säulen zeigen sich oft als symbolische Baumstämme, sie schließen an oberer Seite mit Blättern ab und zeigen teilweise auch wurzelartige Darstellungen an ihrem Fuß. Als Eckpfeiler tragen sie das Dach des alles in sich vereinenden Hallenhauses und sind somit ein kleiner Verschnitt des kultischen Weltenbaumes der Sachsen.

Obwohl ihr Glaube schon lange vergessen ist, zieren ihre Symbole noch heute unsere Häuser. Als Zeichen unserer bewegten Geschichte tragen ihre heiligen Säulen unsere Dächer und ihre Wappen zieren unsere Fassaden. So lohnt es sich für manchen Interessierten, mal einen kleinen Stopp vor einem alten Bauernhaus einzulegen. Viel ist von ihrem Glauben nicht geblieben, aber vielleicht können wir so diese letzten Überreste ihrer Kultur und somit unserer Geschichte in einem anderen Licht sehen und wertschätzen.