Die Rennpferde der Lüfte

Brieftauben sind nicht zu unterschätzende Leistungstiere.

Brieftauben nannte man früher im Ruhrgebiet gerne die Rennpferde des kleinen Mannes. Was Tauben mit Rennpferden zu schaffen haben? Zugegeben, auf den ersten Blick hinkt der Vergleich vielleicht. Doch wenn man sich einmal näher mit den Brieftauben und den Flugwettbewerben beschäftigt, bei denen sie antreten, findet man doch einige Gemeinsamkeiten. Karl-Erich Roeltgen aus Nesselbach ist Brieftaubenzüchter und gibt im WOLL-Interview einen Einblick in sein zeitintensives, spannendes Hobby.

Heimfindevermögen

Ursprünglich wurden die sogenannten Botentauben dazu verwendet, Nachrichten zu übermitteln. Lange Zeit wurden sie in Kriegen eingesetzt, beispielsweise während des Ersten Weltkriegs. Im Laufe der Jahre entwickelte sich durch Züchtung die heutige Brieftaube. „Werden Brieftauben an einen fremden Ort gebracht, orientieren sie sich am Magnetfeld der Erde und auch an der Sicht, bis sie zu ihrem Heimatschlag zurückfinden“, erklärt Karl-Erich Roeltgen. Organisiert sind die Brieftaubenzüchter landesweit im Verband Deutscher Brieftaubenzüchter und in regionalen Verbänden.

Preisflüge, die es seit Ende der 1890er Jahre gibt, sind in verschiedene Klassen unterteilt. Es gibt beispielsweise sogenannte RV-Flüge mit Distanzen von 150 bis 600 Kilometern, Weitstreckenflüge, die eine Distanz von 600 bis 800 Kilometern haben, und Übernachtflüge von 800 bis 1.200 Kilometern Länge. Außerdem gibt es internationale Preisflüge, bei denen der Auflass, also das Losfliegenlassen der Tauben vom Startpunkt, unter anderem in Barcelona stattfindet. „Die Tauben werden in einem sogenannten Kabinenexpress zum Auflassplatz transportiert, einem Speziallastwagen“, so der Brieftaubenzüchter. Ein Auflassleiter, der speziell dafür ausgebildet ist, sorgt dafür, dass die Tauben nur bei idealen Wetterbedingungen starten.

Die Brieftaube

Eine Taube legt zwei Eier, nach 17 Tagen Brutzeit schlüpfen die Jungen und werden mit fünf bis sechs Tagen geringt. Bei diesem Vorgang bekommen sie einen Ring über den Fuß gezogen, auf dem ein Zahlencode vermerkt ist. Für das Tier ist das nicht schmerzhaft und auf diese Weise kann die Taube stets zum Züchter zurückverfolgt werden. Der Zahlencode setzt sich aus der Vereinsnummer, dem Jahr, dem Vermerk DV für den Deutschen Verband und einer fortlaufenden Nummer zusammen. Wenn die Taube über ein Jahr alt ist, zählt sie zu den Alttauben. Die aktive Phase endet nach sechs bis acht Lebensjahren, im Taubenschlag kann die Taube 16 bis 20 Jahre alt werden. Der größte Feind der Taube ist der Greifvogel, der natürlich auch dann zuschlagen kann, wenn die Brieftaube vom Preisflug nach Hause fliegt.

„Als Brieftaubenzüchter ist man natürlich bestrebt, den Tauben ein gutes Zuhause zu bieten, damit sie schnell zu ihrem Heimatschlag zurückkehren“, erläutert der Züchter. Er selbst hält um die 70 bis 80 Tauben, mit den Jungvögeln kann die Anzahl der Tiere auf 140 steigen. Roeltgen achtet auf eine naturnahe Haltung, gutes Futter und überprüft stets den Gesundheitszustand der Tiere, die ohne Gesundheitszeugnis bei den Preisflügen auch gar nicht antreten dürfen. Eine auf Tauben spezialisierte Klinik befindet sich in Essen.

Ein zeitintensives Hobby

Karl-Erich Roeltgen aus Nesselbach ist Brieftaubenzüchter aus Leidenschaft.

Die Preisflüge finden von April bis September statt. „Da leidet auch mal die Urlaubsplanung der Familie drunter“, sagt Monika, die Frau des Züchters, mit einem Lächeln. Die Brieftauben werden in der Regel freitags aufgelassen, so dass sie nach einem Übernachtflug am Samstag eintreffen. Zu dieser Zeit ist der Züchter gewöhnlich zu Hause und erwartet die Ankunft seiner Tauben, doch er muss nicht zwingend zu Hause sein, da das elektronische Konstatiersystem automatisch funktioniert. Die Taube trägt nämlich zusätzlich zum Verbandsring einen Konstatierring, der von der Empfangsantenne des Schlags registriert und mit einem Konstatiergerät eingelesen werden kann. So ist eine Manipulation der Flugergebnisse unmöglich. Früher wurde für diesen Vorgang eine analoge Stechuhr verwendet, doch auch das Brieftaubenwesen geht mit der Zeit.

Für einen fairen Wettbewerb wird dann die durchschnittliche Geschwindigkeit ermittelt, indem man die Entfernung zum Schlag in Metern durch die Flugzeit in Minuten teilt. Eine Brieftaube ist also ein Leistungstier, das vital und gesund sein muss, um Stärke und Leistung abrufen zu können. Für die Preisflüge trainiert der Züchter unter der Woche, und wenn keine Saison ist, auch am Wochenende. Dazu kommt die tägliche Versorgung wie das Füttern oder das Säubern des Taubenschlags.

Die Zukunft des Brieftaubensports

In den siebziger und achtziger Jahren gab es in Deutschland rund 100.000 aktive Brieftaubenzüchter, heutzutage sind es noch 25.000. „Wir haben extreme Nachwuchsprobleme“, bestätigt der Nesselbacher, auch seinen Söhnen ist der tägliche Aufwand zu groß. Er selbst ist mit ungefähr acht Jahren zu dem außergewöhnlichen Hobby gekommen, da beide Großväter Brieftauben hielten. „Vielleicht liegt es mir deshalb auch einfach in den Genen“, schmunzelt er.

Brieftauben leisten auf den zweiten Blick also deutlich mehr, als man annehmen würde. Sie werden für ihre Wettkämpfe genauso trainiert, wie man Pferde für Turniere und Rennen trainiert. Die Rennpferde der Lüfte haben beeindruckende Fähigkeiten. Sie sind nicht nur schnell, sie finden auch immer wieder nach Hause zurück. Das Pferd braucht dafür immerhin einen Reiter.