Die Natur als Trainingsparcours

Spielen – bei Wind und Wetter

Kinder entwickeln sich heute unter stark veränderten Lebensbedingungen. Längst ist die multimediale Entwicklung in den Kinderzimmern eingezogen. Brauchen Kinder das Spiel in der Natur nicht mehr? Und falls doch, welche Folgen hat dieser „Entzug“ für unsere Kinder. Wir haben dazu zwei Warsteiner Experten befragt: Dr. med. Antonius Sander (Praxis für Kinder- und Jugendmedizin) und Dipl.-Psych. Jutta Sniehotta (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin).

Die mittlerweile leicht angegraute Generation erinnert sich sicher an viele Kindheitserlebnisse mitten im Arnsberger Wald, am Möhnesee, an Abenteuer in der Bergstadt Rüthen. Oder an siegreiche Fußballspiele auf der Straße vorm Haus. So manche Fensterscheibe der Nachbarn zeigte nach einem gezielten Ballschuss da schon mal ihre Schwächen, was die Bruchfestigkeit angeht. Herrliche und abwechslungsreiche Zeiten.

Wer, beseelt von diesen alten Erinnerungen, mit dem Auto durch Wohnsiedlungen fährt, sollte besonders vorsichtig fahren, denn – wie schon auf Hinweisschildern zu sehen – könnten ja plötzlich spielende Kinder auf die Straße laufen. Grundsätzlich vollkommen richtig. Nur: Wo sind die Kinder? Fast schon ist es eine Erleichterung, wenn man dann in der Nähe doch noch einen Spielplatz mit tobenden Kindern erblickt.

Die Lebenswelt von Kindern

Das Spiel in der Natur hat, im Gegensatz zu früheren Zeiten, eine eher untergeordnete Rolle. Das biologisch verankerte Spiel-Bedürfnis hat heute oft eine andere Ausprägung, findet eher zuhause statt. „Kinder sind erlebnisorientiert“ erklärt dazu Diplom-Psychologin Jutta Sniehotta aus Warstein“, „sie können durch das Spiel draußen ihrer Fantasie freien Lauf lassen und gleichzeitig – indem sie Projekte „erfinden“- ihre Gestaltungskompetenz ausbilden und verbessern. Das heißt, dass sie lernen, vorausschauend zu denken und zu planen sowie Probleme zu erkennen und zu beseitigen. Sie lernen durch Versuch und Irrtum. Falls Spielpartner vorhanden sind, lernen sie gleichzeitig, Kooperationen herzustellen und als Team zu fungieren in der Problemlösung.“

Bewegungsmangel – Bedeutung des Draußen-Spiels

Studien belegen, dass sich Kinder im vermehrten „Online-Modus“ zu wenig bewegen. Die Folge ist eine drastische Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleibigkeit und Rückenprobleme aufgrund des steigenden Bewegungsmangels. Hier ist eine Veränderung der Aktivitäten sicherlich dringend erforderlich. „Das Spiel im Freien ist die beste und gesündeste Fördermöglichkeit für Kinder“, bestätigt auch Mediziner Dr. Antonius Sander aus Warstein. „Verschiedene Untergründe beim Gehen und Laufen fördern das Gleichgewicht. Unterschiedliche Anforderungen durch Hindernisse (bitte jedes Mäuerchen und jeden Baumstamm nutzen) verbessern die Koordination und Körperkraft. Verschiedene Stoffe, die angefasst und geformt werden, verbessern Haptik und Feinmotorik. Größere Strecken und schnelle Positions- und Ortswechsel verbessern Kondition und Muskelkraft.“ Und als wären das nicht schon erstaunlich viele gute Gründe für das Spiel draußen, fügt der Mediziner noch hinzu: „Blicken auf größere Entfernung schützt vor Kurzsichtigkeit. Und natürlich die Stärkung der Abwehr durch frische Luft und die Vitamin-D-Bildung durch Sonneneinstrahlung in der Zeit von März bis Ende Oktober nicht zu vergessen.“

Kinder im Bibertal bei Warstein

Verantwortung der Eltern

Ein harmonisch ausgeglichenes Freizeitverhalten ist mehr denn je gefragt. Verantwortungsbewusste Eltern / Großeltern fördern liebevoll die Entwicklung ihrer Kinder, indem sie darauf achten, wo und womit sich Kinder beschäftigen. Wie wichtig das Spiel draußen und soziale Kontakte sind, betont Jutta Sniehotta: „Was Kinder benötigen, um Selbstvertrauen in ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu entwickeln“, erklärt Jutta Sniehotta, „ist eine vielfältige und direkte Auseinandersetzung mit ihrer sinnlichen Umwelt.“ Und Dr. Sander weist abschließend darauf hin, dass „die Maßnahmen in der Pandemie zum Schutz von Leben und Gesundheit wichtig und richtig sind. Aber sobald irgend möglich, muss als erstes den Kindern wieder erlaubt werden, ihre Freunde zu treffen, Kita und Schule zu besuchen. Denn soziales Lernen und die Entwicklung von Persönlichkeit kann nur so gelingen. Auch dabei geht es um eine optimale Entwicklung der Kinder und ihre Zukunft.“

„Ohne das freie Spiel in der Natur, gehen Kindern wichtige Bereiche von Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung verloren“, macht Jutta Sniehotta auf diese möglichen Defizite aufmerksam. Defizite, die erst gar nicht entstehen müssen, denn gerade hier im Sauerland gibt es herrliche Natur und die Möglichkeiten zum Spiel im Freien sind riesig. Spielen kann bei jedem Wind und Wetter toll sein.

Alte Kinderspiele
– Räuber und Gendarmen: eine Mischung aus Fangen und Verstecken.
– Seilspringen: Zu zweit oder dritt springen, ohne sich zu verheddern.
– Gummitwist: Draufspringen, drüberspringen, das Gummiband mit den Füßen kreuzen.
– Himmel und Hölle: Hüpfkästchenfeld mit aus (bunter) Kreide aufgezeichneten Feldern.