Die (Lennestädter) Gastronomie in bewegten Zeiten: Blick nach vorn

1897 an den heutigen Standort in der Saal hauser Ortsmitte gezogen hat das „Haus Rameil“ schon einige bewegte Zeiten erlebt. Foto: Stefanie Funke

Der Platz an der Theke wird leerer – das soll sich ändern

Katastrophal. Dieses Wort würde vermutlich jedem direkt in den Kopf kommen, der das letzte halbe Jahr aus gastronomischer Perspektive betrachtet: wochenlange Schließungen, von jetzt auf gleich, ohne zu wissen, wie es weitergeht … Dann die Wiederaufnahme des Betriebs unter erschwerten Bedingungen, Hygienekonzepte, nur zögerlich zurückkehrende Gäste – ja, besonders die Gastronomie hat durch die Pandemie gelitten! Und leidet noch. Dabei lässt sich ohnehin in den letzten Jahren ein „Kneipen-Sterben“ beobachten – in vielen Orten haben sich die Plätze an der Theke deutlich reduziert. Ein Trend, der sich fortsetzt? Nicht, wenn es nach den Gastronomen in Lennestadt geht!

Die dritte und vierte Generation: Noch jeden Tag ist der „gute Geist“ Helga Rameil im Gasthof anzutreffen und unterstützt Sohn Peter mit Ehefrau Dorota. Foto: Stefanie Funke
Die dritte und vierte Generation: Noch jeden Tag ist der „gute Geist“ Helga Rameil im Gasthof anzutreffen und unterstützt Sohn Peter mit Ehefrau Dorota. Foto: Stefanie Funke

Vor sechzig Jahren lernte Helga Rameil (damals Kirchhoff) ihren Benno kennen und zog von Altenhundem nach Saalhausen. Zu diesem Zeitpunkt war das 1897 am heutigen Standort eröffnete „Haus Rameil“ schon ein Familien-Betrieb mit Tradition: Zwei Weltkriege hatte es überstanden, Heimatvertriebenen Zuflucht geboten und sich immer wieder den Erfordernissen der Zeit angepasst. Anfang der 60er gab es noch eine eigene Viehhaltung am Betrieb. Helga Rameil musste morgens zunächst melken, bevor sie frischen Pudding kochen konnte; das „Drüppelbier“ wurde für die Schweine aufgefangen …

Wenn seine Mutter heute von solchen Geschichten erzählt, lächelt ihr Sohn Peter. Vieles hat sich verändert! Mit Ehefrau Dorota führt er den Betrieb inzwischen in der vierten Generation; natürlich ist aber auch der „gute Geist“ Helga Rameil noch jeden Tag im Gasthof anzutreffen. Die grundlegende Renovierung und Erweiterung des Hotels auf 30 Betten hat Peter, als jüngster von fünf Kindern, noch nicht selbst miterlebt; auch als vor fünfzig Jahren mit einer Pockenepidemie schon einmal Ausnahmezustand im Sauerland herrschte, war Peter Rameil noch zu klein, um sich daran zu erinnern. In der Gaststube großgeworden und nach einer auswärtigen Ausbildung in den elterlichen Betrieb zurückgekehrt, konnte er den Wandel der Zeit in der Gastronomie dennoch hautnah beobachten. Die wohl einschneidendste Veränderung in den über zwanzig Jahren, die Peter Rameil den Betrieb leitet, brachte die Einführung des Rauchverbots mit sich. Die Theke, die vorher allabendlich gut besucht und Treffpunkt des Dorfes war, leerte sich vom einen auf den anderen Tag. Doch Peter und Dorota Rameil haben sich dieser Entwicklung angepasst: Heute laden eine großzügige Terrasse, die sich wettergerecht anpassen lässt, ein uriges Grill-Häuschen und eine nach wie vor hochwertige Küche Jung und Alt in den gemütlichen Dorf-Treffpunkt ein. In der Corona-Zeit zeigten sich die Saalhauser solidarisch, und mit einer gesicherten fünften Generation wird das letzte halbe Jahr hoffentlich nur als ein kleines Kapitel in die lange Geschichte der Familie Rameil eingehen!

Seit 500 Jahren bietet das Haus vom “Suerlänner Eck” in der Kurve einen Ort der Einkehr für Kirchveischeder und Durchreisende. Foto: Stefanie Rameil
Seit 500 Jahren bietet das Haus vom “Suerlänner Eck” in der Kurve einen Ort der Einkehr für Kirchveischeder und Durchreisende. Foto: Stefanie Rameil

Auch das „Suerlänner Eck“ am anderen Ende Lennestadts kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Als eines der ältesten Fachwerkhäuser in Kirchveischede bietet es schon seit 500 Jahren einen Ort zur Einkehr und Rast in der Dorfmitte. Marion und Jörg Linneweber, die das Restaurant 1994 übernahmen, behielten den Namen und die urige Gemütlichkeit bei; im Zuge der grundlegenden Renovierung 2014 sorgten sie sogar dafür, dass das historische Bruchsteinmauerwerk und die originalen Fachwerkbalken freigelegt wurden.

Reginonale und saisonale Produkte

In ihrem gastronomischen Konzept setzte Familie Linneweber von Anfang an auf die kulinarischen Genüsse. Hochwertige Produkte, regional und saisonal ausgewählt – um sich immer auf die beste Qualität verlassen zu können, unterhalten Marion und Jörg Linneweber einen engen Kontakt zu ihren Lieferanten. Das Gemüse kommt aus Gerlingen, das Rindfleisch sowie der Gänsebraten aus Olpe und das Wild von Jägern aus der Umgebung. Allein der Wechsel der Jahreszeiten bedingt also, dass immer wieder neue Überraschungen auf der Speisekarte im „Suerlänner Eck“ zu finden sind.

Jörg Linneweber ist es wichtig, die Produkte in seiner Küche immer komplett zu verarbeiten. So findet nicht nur das Kalbsgeschnetzelte den Weg auf die Karte, sondern auch das Wiener Schnitzel aus der Hüfte, „Saltimbocca“, Kalbszunge oder -kopf. Immer interessiert, immer auf der Suche nach neuen Ideen und raffinierten Rezepten entwickelt Familie Linneweber ihre Küche ständig weiter. So bietet sie dem sich ebenfalls wandelnden Geschmack der Gäste immer wieder etwas Neues. Im „Suerlänner Eck“ gibt es den Platz an der Theke schon seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr, dennoch wird das Fachwerkhaus in der Kurve noch lange ein Ort der Einkehr und des Genusses sein.

Die Theke hat offensichtlich tatsächlich vielfach an Bedeutung verloren, für Andreas Cordes aus Altenhundem hingegen hat sie einen ganz besonderen Stellenwert. Schon immer hat er den direkten Kontakt zu den Gästen genossen, bereits als Kind auf der Hohen Bracht den Eltern in der eigenen Gastronomie geholfen und einer ganzen Generation Altenhundemern mit dem „Ilot“ eine Anlaufstelle zum Feiern und gemütlichen Beisammensein geboten.

Derzeit coronabedingt gesperrt, aber bestimmt bald schon wieder gut besucht: die Theke im „Ambiente am Markt“. Foto: Stefanie Funke
Derzeit coronabedingt gesperrt, aber bestimmt bald schon wieder gut besucht: die Theke im „Ambiente am Markt“. Foto: Stefanie Funke

Ein Platz der Begegnung

Um mit eben dieser Generation mitzuwachsen, in Kontakt zu bleiben, hat Andreas Cordes gemeinsam mit Ehefrau Moni 2009 das „Ambiente am Markt“ eröffnet: einen Versammlungsplatz, an dem die Menschen sich begegnen, zusammenkommen, sich wohlfühlen. Wer morgens im Dienstleistungszentrum Altenhundem unterwegs ist, schaut gern auf einen Kaffee „bei Andi“ vorbei; wer mittags oder abends in gemütlichem Ambiente essen, beisammensitzen oder sich zum Stammtisch treffen möchte, ist hier genau richtig.

Schon lange vor Corona sind Moni und Andi Cordes mit ihrem Konzept bewusst auf die Gegenbremse getreten; in einer Zeit, in der alles ständig verfügbar sein muss, genommen, verbraucht und weggeworfen wird, nehmen sie sich Zeit für ihre Gäste und stellen das gemütliche Beisammensein in den Vordergrund. Natürlich ist ihnen auch der ständige Austausch mit der nachfolgenden Generation wichtig: Zusammen mit Sohn Maik haben sie 2015 das „Needles and Pins“ eröffnet, und auch mit ihrem Nachfolger im „Ilot“, Nikolaos Archontakis, stehen sie in engem Kontakt. Insgesamt sind sie glücklich über die Entwicklung der Gastronomie in Altenhundem: Durch die Umgestaltung des Bahnhofs und des Marktplatzes, die Fortführung bewährter und die Eröffnung neuer gastronomischer Konzepte ist der größte Ort in Lennestadt in ihren Augen deutlich aufgewertet worden. Und auch wenn die Theke im „Ambiente am Markt“ – wie alle anderen auch – coronabedingt derzeit gesperrt ist, ist sich Andreas Cordes ganz sicher, dass sie schon bald wieder regen Zulauf finden wird. Denn wie heißt es doch so schön in einem kölschen Lied: Der schönste Platz ist immer an der Theke …