Zum Gottesdienst läuten die Pastorensöhne die Kirchturm-Glocken per Hand
Wenn Silas Pape (12) und sein Bruder Julius (16) jeden Samstagabend spätestens um Viertel vor sechs zu Hause sein müssen, dann wundert das ihre Freunde schon lange nicht mehr. Sie wissen: Die beiden müssen zum „Beiern“. So wird traditionell das Anschlagen der Kirchenglocken per Hand bezeichnet. In Deutschland ist das Beiern vor allem im Rheinland Brauch. Im sauerländischen Marsberg-Bredelar geschieht es deshalb auch eher aus der Not heraus…
Bis vor zwei Jahren konnte Pfarrer Markus Pape die Glocken „seiner“ Kirche in Bredelar noch bequem elektrisch schwingen lassen. So wie es in den allermeisten Kirchen im Sauerland üblich ist. „Doch unser Turm hat leichte Risse bekommen. Nicht dramatisch, aber zusätzliche Erschütterungen tun ihm nicht gut. Da haben uns Experten geraten, auf das Schwingen der Glocken zu verzichten.“ Doch ein Gottesdienst ohne Kirchenläuten – unvorstellbar. Und auch auf das samstägliche Abendläuten um sechs wollten und sollten die Bredelarer nicht verzichten. Deshalb blieb nur noch der Handbetrieb.
Allerdings fiel Vater Markus Pape dafür aus. 60 Stufen rauf in den engen Glockenschacht, und 60 Stufen wieder runter – das ist selbst für den sportlichen Pfarrer vor dem Gottesdienst nicht zu machen. Und so dürfen die beiden jüngsten Söhne ran.
Abendläuten als Mini-Konzert
Die finden das cool – und ihre Freunde auch. Wenn die Glocken erklingen müssen, krabbeln Silas und Julius in die Turmspitze, wo zwei Glocken übereinander hängen. Viel Platz ist nicht. Der kleinere Silas sitzt an der oberen Glocke auf einem schmalen Brett, unter ihm gegenüber der schon ziemlich große Julius. Mit einer Leine ziehen sie dann den Klöppel der Glocke gegen die innere Glockenwand, die Glocke selbst bleibt starr. Beide tragen natürlich einen Gehörschutz, denn es wird laut. Richtig laut.
Sie sind im Laufe der Zeit ein eingespieltes Team geworden. Denn das Läuten der Glocken erfolgt nach einer festgelegten Reihenfolge, nach einer Art Melodie. „Da ist ein gutes Rhythmus-gefühl gefragt“, erklärt Silas, „Da verstehe ich mich mit Julius blind. Wenn Papa mal aushilft, muss ich mich schon mehr konzentrieren. Der hat’s nicht so damit …“
Beim samstäglichen Abendläuten läutet Silas zunächst fünf Minuten die kleine Glocke. Dann gibt es drei mal drei Schläge mit der großen Glocke, und anschließend läuten beide Glocken im Wechsel. Das gesamte „Konzert“ dauert exakt 15 Minuten. Dabei kommen die Jungs auf bis zu 46 Schläge in der Minute.
Der Herr Pfarrer kommt ins Schwitzen
Feingefühl ist auch bei Sondereinsätzen gefordert, zum Beispiel, wenn bei Beerdigungen der Trauerzug von der Kirche zum Friedhof läuft. So lange müssen die Glocken läuten – allerdings verschwindet der Tross schnell aus dem Sichtbereich des Turms. Also schätzen die Jungs die Zeit bis die Trauernden das Grab erreichen – bis-her hat es immer gut hingehauen. Pfarrer Pape kommt dagegen zum Beginn des Gottesdienstes schon mal ins Schleudern: Beginn ist nämlich, wenn seine Söhne mit dem Handläuten aufhören. Ist er dann noch auf dem Weg vom Pfarrhaus zur Kirche, rauscht er schon mal mit fliegendem Talar hinter den Altar…
Die Glöckner sitzen in der ersten Reihe
Im Winter ist der Einsatz im Glockenturm allerdings öfters eine Herausforderung. „Dann geht’s mit Taschenlampe die Stufen rauf, und auf die Sitzbretter weht auch schon mal eine Schicht Pulverschnee“, erzählt Silas und lacht, „Das I-Tüpfelchen sind dann die leicht angefrorenen Plastik-Ohrenschützer!“ Allerdings werden die beiden durch einen fulminanten Fernblick entschädigt. Besonders in der Silvesternacht haben sie eine Premium-Sicht auf das Feuerwerk, weit über Marsberg hinaus. „Einfach nur cool“ – finden die beiden Glöckner von Bredelar.