Die große Suche nach dem Selbst

Quelle: WOLL Magazin

oder was davon übrig bleibt, wenn es sich selbst zerstört

Debüt-Roman über im Sauerland geborenen Jazzmusiker und Komponisten im WOLL-Verlag erschienen

Es musste so kommen. So tragisch, so ausweglos, so laut und am Schluss doch so zart und leise. In seinem ersten Roman, der jetzt im WOLL-Verlag erschienen ist, erzählt Damian Maria Rabe alias Ralf Böcker die Geschichte eines jungen Organisten, den es, um der Mittelmäßigkeit der Provinz zu entfliehen, aus dem Sauerland treibt. Seine Stationen sind geprägt von exzentrischem Streben nach Bedeutung und der Suche nach dem eigenen Selbst. Böcker, gebürtig aus Plettenberg, ist gelernter Orgelbauer und lebt als Jazzmusiker und klassischer Komponist in Washington D.C.  

Als begnadetem Organisten öffnen sich dem Protagonisten Thomas Bruno Hesse früh die Tore zu einer musikalischen Karriere außerhalb der engen Grenzen seiner Heimat. Doch weil es ihm nie reicht, treibt es den jungen Mann hinaus ins pralle Leben: als Musik-Student, dem sich mit dem Studium auch eine neue geistige Weite auftut, und als gnadenloser Wirtschaftsboss einer Software-Firma wächst er über sich hinaus, kaltherzig und zugleich vom heißen Wunsch nach Authentizität getrieben. In der Welt des Jazz, der Partys mit ihren Verlockungen, den Drogen, den Frauen, und schließlich als Spielball in den Händen skrupelloser Manager, die den jungen BWLer im Rahmen eines Auftrags nach Uganda schicken, geht es tief bergab. Ein Leben, das eigentlich nur den Weg nach oben kennt, im Abwärtsstrudel. Ein rastloses, üppiges Leben, das allzu schnell ausgelebt scheint. Die inneren, auch offen ausgetragenen Konflikte mit der besorgten, bisweilen kleingeistigen Sauerländer Familie. Die häufige Flucht in die naturmystische Welt der Zwerge und Waldgeister.

Böcker hat ein reichhaltiges Buch geschrieben. Genretypisch ist ihm ein klassischer Künstler- und Entwicklungsroman gelungen. Aber er wächst, der Anspruch der Hauptfigur ist für den Autor Programm, über dessen Grenzen hinaus. Was Böcker in seinem 450-seitigen Debüt geschaffen hat, ist ein fulminanter Roman mit schwindelerregender szenischer Vielfalt. Sprachlich virtuos, getragen von einer Stimmung, die immer mehr sein will als bloßes Mittelmaß. Philosophisch aufgeladen, sich an den großen Denkern der europäischen Moderne abarbeitend (nicht nur am Namensgeber Hermann Hesse). Fachkundig, was die Welt der Musik und des Orgelbaus angeht. Und vor allem unterhaltsam auf bestem Niveau. Zerrissen zwischen der Sauerländer Herkunft und seinen großen Idealen geht Hesse letztlich einen Weg, auf dem viele Begleiter (und Begleiterinnen – an Geliebten wird nicht gespart) liegen bleiben. Und liegen bleibt am Ende vor allem eins: das Selbst. Denn, so verkündet der Schlusssatz: Hesse geht.

HESSE GEHT VON DAMIAN MARIA RABE
Roman
ISBN 978-3-948496-67-8 · Hardcover · 29,90 €