Die Füße im 21. Jahrhundert

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Gesundheitskolumne von Georg Wüllner

Wir waren Nomaden, mehrere Millionen Jahre, und stetig auf Wanderschaft. Seit 3,8 Millionen Jahren sind wir auf zwei Beinen unterwegs. Mit dem aufrechten Gang fühlen sich unsere Hände frei, die Last liegt seither auf den Füßen, die nun allein im Dienste der Fortbewegung stehen. Keine leichte Aufgabe, denn der Zweibeiner muss plötzlich mit einer deutlich kleineren Standfläche auskommen und lernen, seinen Körperschwerpunkt auf einer bescheidenen 100-cm2-Fußfläche zu balancieren. Und er tut das mit großem Erfolg – bis wir den ursprünglichen Lebensgewohnheiten der Füße einen Schuh verpassen. Das Ergebnis spiegelt uns der Fuß. Die zu tragende Last der Füße wird zum Leiden am entferntesten Punkt des Körpers: Spreizfüße, Plattfüße, Hallux valgus, Fersensporn, Senkfuß, Krallenzehen etc. Wer kennt diese Beschwerden nicht? Und da wir zu modernen, zivilisierten Sesshaften geworden sind, kommen oftmals Bewegungsmangel und Übergewicht dazu. Damit haben wir alle Stressfaktoren für unser Wunderwerk der Statik zusammen: Der Fuß schmerzt und mit ihm vieles mehr. Die gute Nachricht: Die häufigsten Fußprobleme sind mit unserem Lebensstil verknüpft und damit auch zu beeinflussen oder zu vermeiden.

Stressfaktor Nr. 1: der gedämpfte Schuh

Kaum ein Körperteil wird willentlich so malträtiert wie unser Fuß. Stilettos, Plateausohle, Designerschuhe, Turnschuhe mit superweicher Stoßdämpfung – all das sind Stressfaktoren für unsere Füße. Die Wissenschaft geht davon aus, dass der moderne Schuh für viele orthopädische Probleme verantwortlich ist. Einige Naturvölker dieser Erde laufen barfuß. Beim Barfußlaufen wird der Vor- oder Mittelfuß angesprochen, während der Träger gedämpfter Schuhe zuerst mit der Ferse auftritt. Die Gelenkbelastung beim Laufen mit gedämpften Schuhen ist wesentlich höher als beim Barfußlaufen – teils sogar um das Dreifache des Körpergewichts. In der Hüfte liegen diese Werte sogar um die 53 Prozent und noch im Knie um die 36 Prozent höher. Erstaunliche Werte, die jeden Knie- und Hüftpatienten nachdenklich stimmen können.

Zurück in die Steinzeit? Moderat!

Sollten Sie jetzt auf die Idee kommen, nur noch barfuß zu laufen, dann Achtung! Die Umstellung dauert mindestens ein halbes Jahr, wenn Sie sich mit einem Barfußschuh arrangieren möchten. Die Knorpel-, Band- und Muskelstrukturen brauchen diese Zeit, um sich wieder an die modifizierte Steinzeitvariante zu gewöhnen. Aber es lohnt sich, denn man hat festgestellt, dass ein Training in Minimalschuhen in der Fußmuskulatur Kraftzuwächse um bis zu 20 Prozent erzielt. Besonders der lange Zehenbeuger wird dabei aktiviert, der eine entscheidende Rolle beim Abstoßen und Abfedern der Laufbewegung hat und damit auch eine zentrale Rolle bei der Verletzungsprävention spielt.

Und wie geht es IHREN Füßen? Machen Sie den Test: Der Fuß steht flächig, Sie drücken den großen Zeh nach unten und ziehen zugleich aktiv die anderen Zehen hoch. Dieser Test sollte problemlos kräftig und ausdauernd möglich sein. Langsames Steigern mit Maß und Muße, denn die Funktion formt die Struktur. Nach der Umstellungsphase kommen die gesundheitlichen Vorteile des Barfußlaufens, mit oder ohne Barfußschuhe, zur Geltung. Ihre Statik wird es Ihnen danken.

Die Fußsohle: unsere Schaltzentrale

Der Fuß bildet nicht nur die Grundlage unserer Körperhaltung, er ist vielmehr ein Wahrnehmungsorgan. Er ertastet im Stand oder Gehen seine Auflage- und Abdruckfläche. Der Fuß analysiert, für uns unbewusst, seine direkte Umgebung bzw. die Beschaffenheit des Untergrunds. Er kann eben oder schräg sein, stumpf oder glatt, weich oder hart – der Fuß weiß, was
er zu tun. Über 70.000 Rezeptoren liegen unter der Fußsohle und leisten fantastische Arbeit. Diese Rezeptoren werden in Einheiten zusammengefasst, die sogenannten rezeptiven Felder oder Module. Sie entstehen dort, wo sensible Informationen zusammenlaufen, wie Tastwahrnehmung, Druck, Vibration, Thermoreize etc.

Der Homunkulus in uns

Wenn Ihr Fuß beispielsweise einen Thermoreiz wahrnimmt, dann entsteht ein kleines rezeptives Feld. Aber wo? In der hierfür zuständigen Verarbeitungszentrale, im Gehirn – dem Homunkulus! „Und was kann der?“, werden Sie jetzt fragen. Meine Antwort: Ihre Koordinationsfähigkeit steigern! Wenn 100 mm2 unter dem Fuß gereizt werden, entspricht das einem Areal von 1 mm2 im Gehirn. Und je größer diese Eigenschaft des Fußes ist, desto größer ist die koordinative Leistung der kompletten Statik. Zur Veranschaulichung ein Exkurs in die Musik: Ein Klavierspieler hat in den Fingerkuppen, den Fingerbeeren, viele rezeptive Felder und somit auch ein großes zuständiges Verarbeitungsareal im Gehirn – einen Homunkulus-Riesen sozusagen. Dementsprechend riesig ist auch seine Koordinationsfähigkeit.

Die Therapeuten reden in der Medizin von einer aufsteigenden Kette im myofaszialen System*. Ein fehlgestellter, schlecht koordinierter Fuß kann (muss nicht!) eine Blockade der Halswirbelsäule verursachen oder Bandscheibenvorfälle provozieren, chronische Kopfschmerzen, Schulterprobleme etc. In der orthopädischen und neurologischen Therapie versucht man, dies auf den Punkt zu bringen. Ein erfahrener Manualtherapeut oder Osteopath wird Sie auf die Spur bringen. Sie selbst vermuten die Ursache (und entsprechende Maßnahme) vielleicht nicht direkt am richtigen Ort, denn sie liegt unter der Fußsohle: Schrunden, Schwielen, Hühneraugen und eingewachsene Fußnägel. Es entstehen Druckstellen, die den Fuß in eine unphysiologische Position bringen. Diese
Schonhaltung ist uns an anderen Stellen des Körpers bekannt. Ein Klavierspieler wäre mit Druckstellen oder Schrunden an den Fingern nicht in der Lage, Großartiges zu leisten.

Die Füße werden oft nicht gesehen. Gönnen Sie sich eine Fußpflege, wenn Ihnen die Füße zu weit weg erscheinen. Ihr Homunkulus wird es Ihnen danken. Es gibt gute Podologen, die sich mit dem entferntesten Punkt des Körpers auskennen.

Kreuzbergpraxis
Fachpraxis in der Therapie für Orthopädie und Sportmedizin
Georg Wüllner, MSc. PT-OMT
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