Initiative „Jüdisch in Attendorn“
An einem sonnigen Tag saß ich mit Hartmut Hosenfeld (84) und Tom Kleine (54) auf einer bequemen Bank beim Franziskanertor vor dem Rathaus der Hansestadt Attendorn und sprach mit ihnen über ihre Arbeit und die von Wolfgang Dröpper (65) für die Initiative „Jüdisch in Attendorn“ des Vereins für Orts- und Heimatkunde e.V. Attendorn.
Hosenfeld und Kleine erklären: „Es geht uns darum, die Erinnerungen an das jüdische Leben und die jüdische Gemeinde in Attendorn wachzuhalten. Wir grenzen uns damit deutlich ab – wir sehen natürlich, was momentan in und rund um Israel passiert –, aber wir beschäftigen uns nur mit den ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aus Attendorn.“
Erklärungsbedürftig
Angefangen hatte alles mit der beruflichen Laufbahn von Hosenfeld als Lehrer und später Schulleiter an der Albert- Schweitzer-Schule, der Sonderschule für Lernbehinderte, in Attendorn. „Ich kam 1973 zunächst als Lehrer nach Attendorn und war von 1980 bis 2002 schließlich Schulleiter. Bei der Behandlung des Themas ‚Der Judenboykott vom 1. April 1933‘ sollten die Schüler meiner damaligen 9. Klasse ihre Eltern fragen, was damals in Attendorn passiert sei. ‚Unsere Eltern wissen nichts darüber‘, war die Antwort. Daraufhin gab ich ihnen den Auftrag, ihre Großeltern zu fragen. Das Ergebnis war dasselbe. So begann meine eigene Spurensuche im Zeitungsarchiv im Stadtarchiv Attendorn“, erinnert sich Hartmut Hosenfeld. 2006 erschien sein erstes Buch „Jüdisch in Attendorn“, worin er auf knapp 400 Seiten die jüdische Geschichte der Hansestadt zusammenfasste. Dazu hatte er nicht nur verfügbare Quellen gesichtet und ausgewertet, sondern auch lebende Zeitzeugen aus Attendorn und noch lebende Angehörige der ehemals in Attendorn beheimateten jüdischen Familien befragt.
Seit 1451
In seinem Buch stellt Hosenfeld fest, dass die jüdische Geschichte in Attendorn umfangreich ist. Die Unterlagen des Stadtarchivs erwähnen eine Jüdin namens Catrin bereits im Jahre 1451, die ersten ausführlichen Geschichten handeln von einem Juden Samuel, der im 16. Jahrhundert als Geldverleiher in Attendorn tätig war. Im 19. Jahrhundert waren die beiden Familien Ursell und Mai in Attendorn registriert. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 genossen diese in das Attendorner Vereinsleben integrierten jüdischen Familien als Fabrikbesitzer, Händler oder Metzger hohes Ansehen in der Attendorner Bevölkerung. Die Namen Stern, Cohn, Lenneberg, Ursell, Guthmann oder Böheimer sind noch heute für ältere Attendorner ein Begriff. „Der Terror der Nazis löschte das jüdische Leben jedoch auch in der Stadt Attendorn vollständig aus. Inzwischen leben wieder einige wenige Menschen jüdischen Glaubens in Attendorn“, so Hosenfeld und Kleine.
Wenn man genau hinschaut, trifft man überall in der Hansestadt auf Spuren jüdischen Lebens. Ich fotografiere Hartmut Hosenfeld und Tom Kleine bei einer Bronzeplatte zur Erinnerung an die Geschehnisse der Pogrome am 9. und 10. November 1938. Man findet diese Bronzeplatte in der Hauswand des Neubaus, der auf dem Grundstück errichtet wurde, auf dem der letzte jüdische Betraum stand. In der Niederste Straße, Kölner Straße, Wasserstraße und Bleichergasse findet man Stolpersteine, kleine Gedenksteine, die an die Vertreibung und Ermordung von Juden erinnern. Heute gehören die von Künstler Gunter Demnig entworfenen Stolpersteine zum Bild vieler Städte. In Attendorn wurden 2006 zwölf solcher Steine verlegt und 2008 zwei weitere hinzugefügt. Ermöglicht wurde dies über Spenden von Parteien, Gruppen und Privatpersonen, die Stadt Attendorn stellte die öffentlichen Flächen zur Verfügung.
Mit Tom Kleine besuche ich den Jüdischen Friedhof in Attendorn, der sich an der Straße „Am Himmelsberg“ am Rande der Innenstadt befindet und heute ein Baudenkmal ist. Auf dem etwa 1.000 Quadratmeter großen Grundstück sind 33 Grabstätten erhalten, davon zwei ohne Stein. Einige Inschriften, besonders die der älteren Grabsteine aus Sandstein, sind nur noch sehr schwer zu entziffern. Mehrere Grabsteine sind doppelseitig beschriftet, in deutscher und hebräischer Sprache. Tom Kleine: „In enger Abstimmung mit der Friedhofsverwaltung und dem Baubetrieb der Stadt Attendorn wird der Jüdische Friedhof regelmäßig und im Wechsel durch die weiterführenden Schulen aus Attendorn gepflegt. Zuvor erzählen wir den Schülerinnen und Schülern etwas über den jüdischen Glauben. Der Friedhof ist öffentlich zugänglich und kann im Rahmen der Stadtführung ‚Jüdisch in Attendorn‘ besichtigt werden, die von unserer Initiative angeboten wird.“ Dem jüdischen Leben in Attendorn kommt man auch über den in Zusammenarbeit mit der SGVAbteilung Attendorn am 29. Oktober 2018 eröffneten Julius-Ursel-Weg auf die Spur. Der zehn Kilometer lange Themen-Wanderweg führt u.a. an den ehemaligen Punkten jüdischen Lebens in der Attendorner Innenstadt vorbei. Julius Ursell war bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 als Kassierer und Wegewart im SGV aktiv.
Auf der Internetseite www.juedisch-in-attendorn.org wird aktuell über alle Themen berichtet.