Die Bedeutung der Apotheke früher und heute

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Berufe im Wandel der Zeit

Lisa Meyer-Grobe aus Holthausen ist 83 Jahre alt und waschechte Sauerländerin. Und obwohl sie vierzig Jahre lang eine eigene Apotheke in Essen führte, ist sie der Heimat treu geblieben und nach dem Ruhestand im Jahr 1999 zurückgekehrt. Ähnlich ist es bei der 63-jährigen Martina Vogd, die bis zum Juni dieses Jahres die Marien- Apotheke in Schmallenberg führte. Die gebürtige Aachenerin lernte durch den Beruf ihren Mann kennen und kam so Ende 1988 nach Schmallenberg. Nachdem sie gemeinsam die Marien-Apotheke übernommen hatten, übergab 1995 ihre Schwiegermutter die Löwen-Apotheke an ihren Sohn und Martina Vogd nahm das Ruder allein in die Hand.

WOLL: Was zählte früher zu den Hauptaufgaben in einer Apotheke, welche sind es heute?
Lisa Meyer-Grobe:
Die Kunden wurden beraten und mit Arzneimitteln versorgt. Salben, Cremes, Säfte und Tropfen sowie Pillen, Öle und Tinkturen wurden selbst hergestellt. Meistens als Einzelrezepturen und nicht auf Vorrat. Aber auch Laboruntersuchungen, Medikamentenkontrolle und der Aufbau eines Warenlagers zählten zu unseren Aufgaben. Der Kundenkontakt nahm immer eine wichtige Rolle ein. Überwiegend Stammkunden kamen in unsere „Kummer-Apotheke“, denn durch eine sehr enge Kundenbindung wurden auch zwischenmenschliche Gespräche geführt – man nahm sich Zeit.
Martina Vogd: Das kenne ich ähnlich. Nach und nach wurden immer mehr Arzneimittel industriell hergestellt, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Hygiene-Vorschriften. Aber auch heute werden Rezepturen noch selbst hergestellt, besonders Salben und Lösungen. Bürokratie und Dokumentation wurden immer mehr verlangt und durch die zunehmende Technisierung gab es nochmals grundlegende Veränderungen. Gute, individuelle Beratung und Kundengespräche sind aber immer noch wichtig, denn das gibt ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen.

WOLL: Was war früher einfacher oder schwieriger, was heute?
Martina Vogd:
Früher gab es nicht so viele Auflagen und Verordnungen, man konnte freier arbeiten. Die Technisierung und Modernisierung erleichtert zwar oft die Arbeit, aber die ganzen Vorgaben wie z.B. Rabattverträge der Krankenkassen erschweren Vieles und nehmen mehr Zeit in Anspruch. Eine Erleichterung durch die EDV ist die erhöhte Sicherheit. Rezepte können nur schwer gefälscht werden. Und durch die Einführung einer persönlichen Kundenkarte können mögliche Wechselwirkungen schnell erkannt werden. So wird eine optimale Beratung gewährleistet. Aber die Konkurrenz wächst. Beispielsweise gibt es für ein und dasselbe Schmerzmittel manchmal bis zu zwanzig Hersteller. Auch werden viele Produkte im Drogerie- oder Supermarkt angeboten und sind frei verkäuflich. Ganz zu schweigen von Online-Käufen in Internet- Apotheken. Das Angebot wird dadurch immer größer und die Menge an solchen Anbietern drückt den Preis.
Lisa Meyer-Grobe: Eine große Belastung waren früher die Nachtdienste. Sie dauerten eine Woche am Stück und in dieser Woche kam man fast gar nicht nach Hause, man schlief in der Apotheke und begann morgens seinen nor- malen Dienst. Die Nachtdienste wurden oft ausgenutzt, Menschen kamen mit belanglosen Anliegen. Es gab es viele Rezeptfälschungen, die heute kaum mehr möglich sind. Seit einiger Zeit sind große Gebiete zusammengelegt. Dadurch sind die abzuleistenden Notdienste reduziert, man muss bei Bedarf aber auch weitere Strecken in Kauf nehmen. Außerdem hatten wir früher eine 48-Stunden- Woche, heute gibt es die 40-Stunden-Woche.

WOLL: Wie sieht die Ausbildung zum Apotheker/ zur Apothekerin aus?
Lisa Meyer-Grobe:
Als ich 1958 mit einem zweijährigen Praktikum die Ausbildung begann, bildete der Chef noch selbst aus. Wir mussten Pflanzen sammeln, sie bestimmen, und bekamen viele Einblicke vermittelt. Nach der Prüfung und dem erreichten Vorexamen folgte das Studium mit sieben Semestern, was ich mit dem ersten Staatsexamen abschloss. Nach einem Jahr als Kandidatin in Apotheken in Essen und im Walsertal folgte das zweite Staatsexamen zur approbierten Apothekerin.
Martina Vogd: Mein Pharmazie-Studium dauerte ebenfalls sieben Semester. Nach dem ersten und zweiten Staatsexamen folgte ein praktisches Jahr in Erftstadt, bevor ich mit dem dritten Staatsexamen die Approbation erhielt. Heute ist der Studiengang ähnlich, umfasst allerdings acht Semester. Der Schwerpunkt hat sich jedoch verlagert und liegt heute auf der Pharmakologie, das heißt, man kann die Wirkungsweise eines Medikamentes besser beurteilen. Das finde ich sinnvoller, denn den Kunden interessiert eher die Wirkung als die Zusammensetzung.

Beim Interview (v.l.n.r.): WOLL-Redakteurin Heike Schulte-Belke, Lisa Meyer-Grobe und Martina Vogd.

WOLL: Vor welchen Herausforderungen stehen Apotheker und Apothekerinnen heute?
Martina Vogd:
Die größten Herausforderungen wurden bereits erwähnt. Es sind die große Vielfalt an Herstellern und Anbietern sowie das Internet-Geschäft, das in den letzten Jahren deutlich stärker geworden ist. Das macht viele Apotheken kaputt. Aber da wir dazu verpflichtet sind, eine Verordnung in angemessener Zeit zu bedienen, dreimal am Tag beliefert werden und vor Ort beraten, ist unser Service viel besser. Zudem stellt ein Online-Händler er keine Rezepturen her, so wie wir. Da aber in Internet-Apotheken durch die Masse der Preis niedriger angesetzt ist, bestellt der Kunde dort. Auch der „Beratungs- Klau“ ist spürbar. Der Kunde lässt sich persönlich oder oft per Telefon von uns beraten und kauft dann im Internet.

WOLL: Woran hatten Sie am meisten Freude ? Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Apotheken?
Lisa Meyer-Grobe:
Man musste sich die Kundschaft anfangs erarbeiten, was mühsam, aber auch spannend war. Neben der interessanten, abwechslungsreichen Arbeit waren die Begegnungen eine Bereicherung. Wir hatten eine enge Kundenbindung und Menschen zu helfen war ein gutes Gefühl. Auch die Zusammenarbeit mit Kollegen und Ärzten war schön. Es war ein Geben und Nehmen. Ich wünsche mir die alte Apotheke zurück, wie ich sie erleben durfte.
Martina Vogd: Es war immer spannend, den Menschen zu helfen, sie zu beraten und oft über Jahre zu begleiten. Zu erfahren, ob eine Verordnung geholfen hat. Die Arbeit hat mir Spaß und Freude gemacht, aber die Entwicklung ist in einigen Bereichen nicht schön. Mein Wunsch ist es, dass unser Beruf weiter oder mehr wertgeschätzt wird. Bei den Menschen ist das der Fall, nicht aber in der Politik.

Dass beide Apothekerinnen in einem Nachtdienst einen bewaffneten Überfall erlebt haben, hat sie zwar lange beschäftigt, ihre Liebe zum Beruf aber nicht beeinträchtigt. Sie haben ihn stets mit viel Herzblut ausgeübt. Es hat viele Veränderungen gegeben, neue Situationen und Lebensumstände. Es gibt heute viele neue Wirkstoffe, das Bewusstsein von Nebenwirkungen ist gewachsen und das Behandlungsspektrum ist größer geworden. Neue Methoden bedeuten deutlich mehr Lebensqualität für den Patienten – durch Forschung und Wissenschaft hat sich viel entwickelt. Doch eines ist geblieben: In den Apotheken vor Ort soll den Menschen geholfen werden, mit bestmöglicher Versorgung und Beratung. In einem persönlichen Gespräch, in dem man sich für den Menschen interessiert und auch mal nach dem Befinden fragt.