Der Wille versetzt Berge – oder springt drüber

Quelle: Jimmy Bastos Tsu

So ist es während der ersten Redaktionssitzung für dieses WOLL-Magazin passiert. Die Person, die dann den Mund aufgemacht hat, war ich. Mein Name war sofort notiert und ich sollte mich mit Jimmy Bastos Tsu vom Fallschirmsportclub Sauerland zwecks Terminfindung in Verbindung setzen. Wir fanden einen Termin – und ich sagte zu, statt eines Tandemsprungs einen ganzen Wochenend-Einführungskurs zu machen, an dessen Ende ein Sprung ganz alleine steht.

Jimmy mailte mir ein paar Unterlagen zum Ausfüllen und Fotos vom letzten Sprung aus der Perspektive vom Flugzeug aus. Mit einer Person, die außerhalb des Flugzeugs in 1.500 m Höhe auf einem kleinen Tritt steht und sich an einer Metallstrebe unterhalb des Flügels festhält, dann springt. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht, wie das von oben aussieht. Ehrlich gesagt hatte ich bis dahin Der Wille versetzt Berge – oder springt drüber eher die andere Perspektive im Kopf. Mit den Füßen auf dem sicheren Boden stehend, Blick in den Himmel, an dem kleine Menschen mit großen Schirmen schweben. Ein friedliches Bild. Auf den Fotos von oben aus dem Flugzeug sah das völlig anders, eher besorgniserregend, aus.

Nun hatte ich aber erstmal Zeit, diese Bilder sacken zu lassen und mir die Tauglichkeitsbescheinigung bei meiner Ärztin zu holen. Bis zum Kurs dauerte es ja noch ein paar Wochen.

Quelle: Hubertus Theine
Am Samstag wurde der Ablauf des Sprungs und mögliche Störungsfälle noch am Boden geübt.

Schließlich war es soweit und es ging los zum Flugplatz Rennefeld!

Den ganzen Samstag übten wir wahlweise am Boden das richtige Aussteigen aus dem Flugzeug und das Landen mit dem Schirm oder besprachen mögliche Störungsfälle und wie damit umzugehen sei. Es sind nur die Leinen verdreht? Kein Grund zur Panik. Gebt Euch einen Schubs und dreht euch raus. Es ist ein Riss im Schirm? Verliert keine Zeit. Trennt den defekten Schirm ab und löst den Reserveschirm. Ihr bemerkt den Riss im Schirm erst näher als 500 Meter vom Boden? Trennt bloß nicht ab, denn darauf folgt bis zum Auslösen der Reserve freier Fall und das ist so nah am Boden viel zu gefährlich. Und so weiter …

Die Abläufe des Aussteigens aus dem Flugzeug wurden so lange wiederholt, bis wir uns damit wirklich sicher fühlten und der Bewegungsablauf im Körpergedächtnis gespeichert war, damit wir hoch oben in der Luft nicht mehr darüber nachdenken müssen, wo Hände und Fü.e hinkommen. Am Ende des Tages war der Kopf voller neuer, teils überlebenswichtiger Informationen und wir hatten wohl alle das Gefühl, das Fallschirmspringen bestehe vor allem aus Problemen, die man bewältigen muss.

Am Sonntagvormittag wiederholten wir die Theorie und Praxis. Als es am Nachmittag endlich aufklarte, wurde es ernst. Wir wurden mit allem ausgestattet, was für den Sprung wichtig ist: Anzug, Gurtzeug mit beiden Schirmen, Helm, Brille, zwei Höhenmesser und ein Funkgerät, über das wir, falls nötig, Anweisungen erhalten konnten.

Die erste Gruppe hob ab. Den ganzen Samstag waren immer wieder Fallschirmspringer auf dem Platz gestartet und gelandet, aber das hier war was anderes, das waren die absoluten Neulinge, wie ich einer war. Ich fieberte mit, als der Lehrer am Fernglas dem anderen am Funkgerät mitteilte, was oben los ist. Als sich die Tür öffnete und der erste Springer draußen stand, bekamen wir das unten live mit und mein Herz klopfte. Jetzt schon? Ich bin doch noch am Boden!

Beide Neulinge sprangen und landeten wohlbehalten und glücklich, dann ging es auch für mich nach oben. Am passenden Punkt angekommen, öffnete Jimmy die Tür. Es wurde sehr laut und windig. Der Erste kletterte raus und sprang. Dann ich. Die linke Hand an die Strebe außerhalb, die rechte an die Tür, die Fü.e auf den Tritt. Dann zögerte ich. Es fühlte sich so falsch an, den (halbwegs) gemütlichen Platz im Flugzeug zu verlassen und in dieser Höhe nach draußen in den kräftigen Wind auf eine Stufe zu steigen, um zu springen.

Da wir dann schon den besten Absprungpunkt verpasst hatten, zog ich meine Beine wieder ein und wir drehten noch eine Runde mit dem Flugzeug. In dieser Zeit wurde mir klar, dass ich auf keinen Fall mit dem Flugzeug unten landen wollte, sondern mit dem Schirm. Und dazu gehörte nun mal, aus dem Flugzeug zu springen. Ich musste das schnell und ohne viel nachzudenken machen. Den eingeübten Ablauf Schritt für Schritt verfolgen. Steht man erstmal draußen, gibt es sowieso kein Zurück mehr, denn ab diesem Moment ist das Springen deutlich sicherer, als zu versuchen, wieder in das Flugzeug zu gelangen. Mit dem Wissen kletterte ich also raus auf die Stufe und sprang direkt. Oder besser gesagt, ich ließ mich fallen.

Quelle: Hubertus Theine
Nach der sechsminütigen Schirmfahrt die sichere Landung auf der Landebahn.

Als ich nach ein paar Sekunden zum Check nach oben schaute, sah ich den Schirm. Groß, rechteckig, tragfähig und lenkbar. Genau, wie er sein sollte. Keine Störung, die ich beheben musste. Was für eine Erleichterung! Ich konnte die rund sechs Minuten Schirmfahrt bis zurück zur Landebahn jetzt voll genießen. Der Schirm ließ sich prima steuern und die Aussicht über das Schmallenberger Sauerland war wunderschön. Da ich schneller gesprungen war, als Jimmy nach meinem ersten Zögern erwartet hatte, musste ich ein wenig gegen den Wind arbeiten und wurde über Funk dirigiert, damit ich die Landebahn auch sicher erreichen konnte.

Hinterher bin ich öfter gefragt worden, ob ich das nochmal machen würde. Ich weiß es noch nicht. Die Überwindung, zu springen, war für mich sehr hoch, aber mit dem Schirm zu fliegen hat mir riesigen Spaß gemacht. Die routinierten Springer berichten alle, dass die Angst vor dem Absprung mit zunehmender Erfahrung immer kleiner wird. Wer eine Ausbildung macht, um die Fallschirmspringerlizenz zu erwerben, lernt auch selbst den Schirm zu öffnen und kann den freien Fall bis dahin genießen. Ich habe mich während des gesamten Kurses sehr gut aufgehoben gefühlt.

Es wäre auch völlig in Ordnung gewesen, nicht springen zu wollen, dann wäre man wieder mit dem Flugzeug gelandet. Alle Lehrer legten viel Wert auf größtmögliche Sicherheit und ich fühlte mich auf den Sprung sehr gut vorbereitet. Daher kann ich jedem, der noch ein spannendes Hobby sucht oder einfach mal etwas anderes erleben möchte, dazu raten, das Fallschirmspringen mal auszuprobieren!