Der Trauer begegnen – und das Leben wiederfinden

Quelle: privat

Der Tod begegnet jedem von uns. Die Trauer auszuhalten und mit ihr zu leben, kann aussichtslos erscheinen. Trauerbegleiterin Iris Willecke aus Sundern reicht Trauernden die Hand und begleitet sie durch diese mehr als herausfordernde Zeit.

Simone kann nicht mehr atmen, ihr Herz rast. Es fühlt sich an, als hätte sich ein enges Band um ihre Brust gelegt. Sie schläft nachts kaum noch. Ihre Gedanken kreisen immerzu um Richard, ihren Mann. Er starb vor sechs Monaten bei einem Autounfall. Mit gerade einmal 38 Jahren. Von einem auf den anderen Tag ließ er sie allein mit den beiden Kindern. Wenn Simone an diesen Tag denkt, fühlt sie eine kaum auszuhaltende Ohnmacht. Könnte sie nur die Zeit zurückdrehen. Die 42-Jährige sieht keinen Ausweg aus ihrer übermächtigen Trauer, kann sich nur mit größter Mühe um die Kinder kümmern. Freunde treffen, am „richtigen“ Leben teilnehmen? Sie weiß nicht mehr, wie sich das anfühlt. Sie spürt, dass sich etwas ändern muss und dass sie Hilfe braucht. Simone wendet sich an Iris Willecke. Ob die ausgebildete Trauerbegleiterin ihr wieder aus dem schwarzen Tunnel der Trauer helfen kann?

Die 52-Jährige Sundernerin ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und ließ sich vor zehn Jahren zur Trauerbegleiterin ausbilden. „Ich bin zunächst rein zufällig auf eine Fortbildung zur Trauerbegleitung gestoßen. Das Thema Trauer und die Aussicht, Trauernden helfen zu können, hat mich ‚gepackt‘ und ich merkte, dass das genau mein Ding ist“, erinnert sich die ehemalige Krankenschwester an die Anfänge ihrer Tätigkeit.

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Trauer braucht Zeit

Obwohl das Sterben, der Tod und die Trauer um geliebte Menschen etwas ganz Natürliches sind und wir Menschen eigentlich die Fähigkeit haben, tiefe Trauerphasen durchzustehen, haben viele Menschen den Umgang damit verlernt. „Trauer wird als etwas Schlechtes angesehen, das möglichst schnell verschwinden soll, damit das normale Leben weitergehen kann“, beschreibt Iris Willecke den weitverbreiteten Umgang mit dem Tod. „Dabei braucht Trauer Zeit und die Bereitschaft, ihr einen Raum im Leben einzugestehen.“

Gefühlschaos, Herzrasen und Trauerdemenz

Zu ihr kommen Menschen, die das Gefühl haben, allein – mit dem Schmerz oder ihrem Gefühlschaos – nicht klarzukommen, die aber mit niemandem in ihrem sozialen Umfeld sprechen können oder möchten. So wie Simone. Sie möchte wissen, ob ihre Trauer noch „normal“ sei: das ständige Herzrasen, die kreisenden Gedanken und dann noch ihre Vergesslichkeit.

Iris Willecke kann sie in ihrem ersten Beratungsgespräch beruhigen: „Trauer kann nicht selten körperliche und soziale Auswirkungen haben. Auch die Vergesslichkeit ist häufig ein Symptom für Trauer. Diese sogenannte ‚Trauerdemenz‘ entwickeln viele Trauernde.“ Da der Austausch mit anderen Trauernden sehr entlastend sein kann, schlägt sie ihr die Teilnahme an einer festen Trauergruppe vor.

Trauergruppen als Anker

Simone lässt sich darauf ein und besucht eine von Iris‘ Trauergruppen gemeinsam mit drei weiteren Betroffenen. Die 42-Jährige lernt, dass ihre tiefe Trauer nicht ungewöhnlich ist, dass ihre schwankenden Gefühle zwischen überbordender Liebe und grenzenloser Wut ganz normal sind. Die Trauerbegleiterin bestärkt sie und die anderen Trauernden darin, dass sie den Weg zurück ins Leben gehen können. Im Rahmen dieser Gruppe entstehen neue Freundschaften. „Es ist nicht so, dass wir an diesen Abenden nur weinen, wir lachen mindestens genauso häufig“, berichtet die Heilpraktikerin über die Arbeit in ihrer Gruppe. „Wir haben das Ziel, wieder ein gutes Leben führen zu können und dazu gehört natürlich auch die Freude.“

Mit Kreativität gegen die Ohnmacht

Viel Freude erleben Iris‘ Klientinnen und Klienten auch bei ihren gestalterischen Angeboten, beispielsweise beim kreativen Schreiben oder Grabkerzen gestalten, wozu sie auch eigene Bücher veröffentlicht hat. „Ich selbst war überrascht, wie gut diese Angebote angenommen wurden und wie viele berührende Momente ich miterleben durfte. Bei diesen kreativen Arbeiten können die Trauernden ihre Empfindungen ausdrücken und bekommen das Gefühl, noch etwas für die Verstorbenen tun zu können. Das spendet ihnen Trost und wirkt ein Stück weit gegen das Gefühl der Ohnmacht.“

Iris Willecke selbst erlebte im Alter von 21 Jahren einen großen Verlust, als ihr Verlobter starb. Sie erinnert sich noch gut an die Zeit: „Ich fühlte mich hilflos, verlassen und unverstanden. Ich war froh, einen guten Freund an meiner Seite gehabt zu haben, der einfach nur für mich da war und mich nicht trösten wollte.“

Bloß keine Floskeln

Was zunächst paradox klingt, hat einen ernsten Hintergrund, über den die Trauerbegleiterin aufklären möchte: „In dieser schweren Zeit der Trauer gibt es keinen Trost. Wenn Freunde oder Angehörige trösten möchten und Floskeln, wie ‚Ihm oder ihr geht es jetzt bestimmt besser‘ oder ‚Du bist noch jung …‘ äußern, ändert das nichts am Schmerz der Trauernden. Viele hören aus dem Satz auch ein ‚Ich darf nicht trauern‘ heraus und fühlen sich und ihre Trauer nicht ernstgenommen.“

Wie kann ich trauenden Menschen wie Simone denn dann überhaupt helfen? „Das Wichtigste ist, den Kontakt nicht komplett zu meiden, für den Menschen da zu sein und den Schmerz mitauszuhalten. Man kann die Trauernden auch im Alltag unterstützen und Hilfsangebote machen. Zum Beispiel kann man anbieten, einmal in der Woche für sie mit einzukaufen. Dabei sollte man es vermeiden, den Trauernden zu sagen: ‚Melde dich, wenn du Hilfe brauchst.‘ Das ist nett gemeint, aber in aller Regel sind Trauernde nicht in der Lage, sich zu melden, sie haben einfach keine Kraft dazu“, beschreibt die Trauerbegleiterin die Situation der Trauernden.

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Mit „Trauerwissen“ dem Tod einen Platz im Leben geben

Iris Willecke wünscht sich, dass wir den Tod wieder mehr in unser Leben holen und über Trauer offener sprechen. Sie selbst leistet durch ihre Arbeit, durch ihr Engagement in den sozialen Medien und ihre Bücher einen großen Beitrag. So vermittelt ihr Ratgeber „Trauerwissen kurz und knapp“ wertvolles Wissen zum Thema Trauer.

Simone lernte in der Trauergruppe Tim kennen. Er hilft ihr, indem er sie regelmäßig anruft, für sie das ist und einmal in der Woche ihre zwei Kinder zum Fußball fährt. Mittlerweile sieht Simone einen kleinen Funken Licht am Ende des Tunnels der Trauer. Auch wenn der Weg zurück ins Leben sicherlich noch lang und beschwerlich wird. Doch sie wird es schaffen – da ist sie sich sicher.