Der Schmachtlappen und sein Fastenbier

Quelle: WOLL Magazin

Die Kraniche haben ihren Weg bereits wieder ins Sauerland gefunden und uns unmissverständlich den Frühling angekündigt. Diese beschwingte Jahreszeit hat einige Bräuche und Redensarten im Gepäck wie den Tanz in den Mai, das Fastenbier oder sogar den Schmachtlappen. 

Was ist eigentlich ein „Schmachtlappen“? Das fragte ich ein Dutzend Sauerländer – und die Antworten kamen prompt: „Ein langer, dünner Kerl“, „Ein dürrer Hänfling“ oder „Dem kannst Du das Vaterunser durch die Rippen pfeifen“, auch „Hungerhaken“ wurde genannt. So viel also zum zeitgenössischen Sauerländer Verständnis des „Schmachtlappens“: männlich, schmal, hager. Ursprünglich ist mit diesem Begriff allerdings gar kein Mensch gemeint, auch wenn der Begriff zumindest etwas mit Essen zu tun hat, jedenfalls im übertragenen Sinne.  

Fasten mit Leib und Seele 

Der Ausdruck Schmachtlappen kommt eigentlich aus der Fastenzeit. In katholischen Haushalten war es noch vor nur wenigen Generationen eine Selbstverständlichkeit, während dieser Zeit auf z. B. Fleisch, Alkohol und Zuckerwerk zu verzichten. Die Spuren des Schmachtlappens führen uns allerdings noch viel weiter in die Vergangenheit: In katholischen wie evangelischen Kirchen wurden bis ins 18. Jahrhundert hinein bildliche Darstellungen Jesu während der 40 Tage zwischen Aschermittwoch und Karfreitag verhüllt. Auf diese Weise sollte man nicht nur körperlich, sondern auch geistlich fasten. Das Verhüllen geschah mit einem sogenannten Fastentuch – im Volksmund auch „Schmachtlappen“ oder „Hungertuch“ genannt. Der Original-Schmachtlappen ist also nicht menschlicher, sondern textiler Natur. 

Flüssiges bricht Fasten nicht… 

Weitere hundert Jahre früher, also Mitte des 17 Jahrhunderts, hatten Mönche die findige Idee des Fastenbiers im Gegensatz zum „Dünnbier“. Letzteres wurde in Klöstern jeden Tag getrunken. Bier war beliebt, weil es durch den Alkoholgehalt, die Kohlensäure und den relativ niedrigen PH-Wert meist keimfreier war als normales Trinkwasser. Wenn man zur Fastenzeit allerdings den Gürtel enger schnallte, reichte das normale Dünnbier nicht aus, um den Verzicht auf feste Nahrung auszugleichen. So wurde das Fastenbier erfunden, das nicht nur einen höheren Zuckergehalt hatte, sondern dadurch oft mit um die zehn Prozent Alkohol auch deutlich mehr „Wumms“. Dieses nahrhafte Bier war auch in der entbehrungsreichen Fastenzeit erlaubt, denn „Flüssiges bricht Fasten nicht“, sagt eine alte Redensart. 

Die Bäume fahren aus der Haut 

Nach der Fastenzeit und Ostern steht dann aber endlich der Frühling vor der Tür. Im Frühling, das wusste schon Wilhelm Busch, fahren die Bäume aus der Haut und, das wissen die Sauerländer, tanzen die Menschen in den Mai. Dieser Brauch am Abend des 30. April ist übrigens aus der sagenumwobenen Walpurgisnacht entstanden. Die Nacht, in der die Hexen auf ihren Besen um Berggipfel brausen und wilde Feste feiern. Davon gibt es im Sauerland ja genug – also von Bergen und Festen – aber mit Abstandsregel und begrenzter Zahl der Haushalte wird es dieses Jahr wohl nichts mit der Hexensause. Und auch ob wir „normalen“ Menschen für den traditionellen Maientanz dieses Jahr die Corona-Hürde überspringen können, bleibt vorerst wohl fraglich. Da sind ausnahmsweise einmal die Fastenbräuche deutlich leichter einzuhalten…