Der Röntgenzug fährt durch den Kreis

Quelle: Kreisarchiv des Hochsauerlandkreises, Schenkung Roland Zippel

Um das Coronavirus einzudämmen, hatte der Hochsauerlandkreis ein mobiles Impfangebot auf die Beine gestellt. Sommer wie Winter sind so Impfungen dezentral für Unentschlossene möglich. Diese mobile Gesundheitsleistung ist allerdings kein neues Phänomen. Bereits vor knapp 50 Jahren gab es schon einmal so ein Angebot mit dem Röntgenzug des Landkreises Arnsberg, später Röntgenzug Hochsauerlandkreis.

Damals wurde der Zug, der eigentlich ein Bus war, eingesetzt, um die Lungentuberkulose in den Griff zu bekommen. Die Tuberkulose verbreitet sich ähnlich wie das Corona-Virus über Aerosole und greift beim Einatmen die Lunge an. Unter den Namen „weißer Tod“, „Lungendärre“ oder „Schwindsucht“ ist diese Krankheit schon seit Jahrhundert bekannt. Allerdings entdeckte Robert Koch erst 1882 die Übertragung und Ansteckung über Bakterien. In dieser Zeit war die Lungentuberkulose einer der häufigsten Krankheiten mit Todesfolge. Bis heute unterliegt Tuberkulose der Meldepflicht bei den Gesundheitsämtern.

Zur Therapie wurden die Patienten zu Luftkuren in Sanatorien geschickt. Dort mussten sie mehrere Stunden täglich liegend an der frischen Luft verbringen. Allerdings waren je nach Immunstärke der betroffenen Person die Heilchancen recht gut. Berühmte Heilstätten im Sauerland waren beispielsweise das Johannesstift in Brilon Wald, das Auguste-Viktoria-Stift in Meschede-Beringhausen (später: Veramed) oder das Asten-Sanatorium in Winterberg.

Mit der Erfindung der Röntgenstrahlen war eine verlässliche Erkennungsmöglichkeit geschaffen. Mittels Röntgenaufnahmen konnte der Tbc-Befall schon im Frühstadium entdeckt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bevölkerung in sogenannten Reihenuntersuchungen regelmäßig durchleuchtet. Vor allem Lehrpersonal und Beschäftigte in der Lebensmittelbranche mussten sich laut dem Bundesseuchengesetz mindestens alle zwei Jahre röntgen lassen. Aber auch Verdachtsfälle und Kontaktpersonen mussten sich zur Klärung in die Gesundheitsämter der drei Altkreise zur Untersuchung einfinden. Da zur damaligen Zeit nicht jeder ein Auto besaß, mussten die potenziellen Infizierten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, wobei die Fahrtkosten von den Kreisen erstattet werden mussten.

Daher nutze der Altkreis Arnsberg die Gelegenheit, als ihm vom Land 1963 ein Röntgenzug zur Übernahme angeboten wurde. Bis dahin liehen die Altkreise sich beim Land mit dreimonatiger Voranmeldung die Busse aus. Der Röntgenzug, der offiziell als Schirmbildwagen geführt wurde, war Baujahr 1956. Der Altkreis überlegte nicht lange und nahm das Angebot an. Nach einer Generalüberholung durch die Firma Speermann in Werne/Lippe und der Beschaffung eines neuer Sattelzugmaschine Typ LPS 991 über die Fa. Hoevel in Arnsberg mit 110 PS (Kaufpreis stolze 22.800 DM) konnte die mobile Tuberkulose-Untersuchung im Mai 1964 beginnen. Der Bus wurde flexibel und ohne lange Vorlaufzeit zur Lungenberatung und für die Umgebungsuntersuchungen bei Kontaktpersonen eingesetzt. Wurde in einem Betrieb ein Tuberkulose-Fall bekannt, musste er nicht mehr bis zur vollständigen Durchleuchtung der Belegschaft stillgelegt werden. Der Röntgenzug fuhr einfach auf das jeweilige Betriebs- oder Schulgelände. Die Röntgenassistentinnen führte mittels Kleinbilderaufnahmen mit Odelca-Aufnahmen von 10×10 cm eine Untersuchung bei der gesamten Belegschaft durch. Voraussetzung war ein 380V-Stromanschluss und genügen Platz für den Röntgenzug.

Kurz vor der Kommunalen Neugliederung 1975 wurde der Bus in Absprache mit den Kreisen Brilon und Meschede runderneuert. Der Strahlenschutz wurde nachgebessert und die Lackierung erneuert. Aus Rücksicht auf die beiden anderen Kreise wurde das Wappen des Kreises Arnsberg überlackiert. Später wurde der Schriftzug „Hochsauerlandkreis Röntgenzug“ angebracht.

In den Jahren nach dem Zusammenschluss der drei Altkreise zum Hochsauerlandkreis fuhr der Röntgenbus in alle Ecken des Gebietes. Bis dahin mussten die Bewohner des Altkreises Meschede noch umständlich zur Untersuchung nach Meschede oder Schmallenberg reisen. Im Altkreis Brilon gab es bis dato nur Röntgenmöglichkeiten in Brilon oder in den beiden Außenstellen des Gesundheitsamtes in Niedermarsberg und Winterberg.

Bis zur seiner Stilllegung 1988 wurde mit dem Röntgenzug ca. 8.000 Reihen- und Umgebungsuntersuchungen pro Jahr durchgeführt. Danach war die Tuberkulose soweit eingedämmt, dass eine Auslastung nicht mehr wirtschaftlich erschien.

Die mobile Gesundheitsuntersuchung fand 24 Jahre im Kreis Arnsberg und noch 13 Jahre lang im Hochsauerlandkreis statt.