Der Phillipsstollen bei Olsberg

Sauerland Seelenorte

Der immer enger werdende Gang verliert sich vor uns irgendwo in der Dunkelheit. Mit jedem Schritt wird es kälter. Das Geräusch hinter uns könnte tropfendes Wasser sein – oder auch fremde Schritte. Tonnen von Gestein türmen sich über unseren Köpfen. Und diese Tonnen werden immer gewaltiger, je intensiver man sich ihrer Anwesenheit bewusst wird. – Was sich liest wie der Anfang eines Gruselromans ist eine von zwei möglichen Sichtweisen auf einen Besuch im Phillipsstollen bei Olsberg. „Als Kinder war das hier unser Spielplatz“, erzählt der Grubenführer Manfred Karl und weist dann auf die andere Sichtweise hin. Wo der Kegel der Taschenlampe die Wände berührt, explodiert eine Welt aus Farben: Rostrot und Ocker sind durchsetzt von Gelb, Grün und Blau. Tropfsteine wachsen so schnell, dass man meint, ihnen beim Wachsen zuschauen zu können. „Wir sind ja bei euch, hier kann euch nichts passieren“, sagt der gebürtige Olsberger mit ruhiger Stimme, „stattdessen gibt es hier so viel zu entdecken.“ Das Spiel von Wasser, Fels und Mineralien sorgt für Form- und Farbenpracht. Die Hinterlassenschaften längst vergangener Generationen von Bergleuten erzählen von der bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte des alten Stollens im Eisenberg bei Olsberg. Der Name des Berges ist Programm. Eisenerz wurde hier gefördert und direkt in Olsberg auch verarbeitet.

Um diese beiden Sichtweisen geht es beim Sauerland Seelenort Phillipsstollen: das Wechselspiel von Angst und Vertrauen. Als Kind hat Manfred Karl dieses Wechselbad der Gefühle hier erlebt: Die Angst im dunklen Stollen ebenso wie die Faszination für die Farben, die Schätze der Vergangenheit und die vielen zu entdeckenden Details, die der Neugier ständig frisches Futter geben. Als Erwachsener hat er nun ein Programm daraus gemacht. Er ist der offizielle Erzählpate für den außergewöhnlichen, unterirdischen Sauerland Seelenort – den einzigen Seelenort, den man nicht auf eigene Faust erkunden kann.

Eine Führung in den Berg wird bei ihm zu einer Führung in die menschliche Seele. Sich gabelnde Stollen erzählen von Entscheidungen, Fehlversuchen und neuer Hoffnung. Sintergardinen und Tropfsteine erzählen von der Urkraft der Natur. Und nach einem geduckten Marsch durch enge, niedrige Gänge öffnet sich als Höhepunkt der Grubenfahrt die Barbaragrotte. Sie erzählt von den aufreibenden Mühen der Bergleute, der ständigen Lebensgefahr für ihre Erbauer, aber auch von ihren Erfolgen, denn hier fanden sie das ersehnte Eisenerz. Der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, ist die Halle heute gewidmet. Sie liegt am ersehnten Ende eines Ganges, der zunächst kein Ende zu nehmen scheint, wenn man ihn gebückt entlang laufen muss. Kurz dahinter ist der für Besucher begehbare Teil des Stollensystems zu Ende. Der weitere Verlauf ist geflutet. Sintergardinen spiegeln sich im Wasser. Seit über hundert Jahren ist der Stollen nicht mehr in Betrieb. „Das ist eine lange Zeit für einen Menschen aber eine kurze Zeit für geologische Gebilde. Erstaunlich, wie schnell die bunten Sintergardinen hier gewachsen sind“, stellt unser Grubenführer fest. Grundsätzlich könnte man das knöcheltiefe Wasser ablassen und noch weitere Gangkilometer zum Museumsbergwerk machen. Man würde dann auf noch ältere Spuren des Bergbaus treffen. Das System des Phillipsstollens geht in den benachbarten Maxstollen über. „Da gibt es noch viel mehr zu entdecken. Vor allem sieht man dort noch viel besser die alten Abbautechniken.“ Daran erinnert sich Manfred Karl noch aus seiner Kindheit. Heute darf leider niemand mehr hinein in diesen historisch besonderen Teil des Grubensystems, weil dort manchmal Fledermäuse übernachten.
Der Eingang zum Phillipsstollen liegt nordöstlich von Olsberg im Tal des Sitterbaches, nur etwas mehr als 100 Meter entfernt vom Waldhotel Schinkenwirt. Wer nicht die Gelegenheit hat, an einer Grubenführung teilzunehmen, findet oberhalb des Hotels, malerisch in einem alten Buchenhochwald gelegen, den Eingang zum Maxstollen mit einer alten Lore – einem sogenannten „Grubenhund“ – und verwitterten Bruchsteinmauern, die auch über der Erde von den Mühen ihrer Erbauer künden. Die leuchtenden Farben der Mineralien ebenso wie das Wechselbad aus Angst und Enge auf der einen Seite sowie Faszination und Vertrauen auf der anderen Seite erlebt man aber nur unter Tage.

Die Sauerland Seelenorte sind 42 besondere, kraftvolle Orte in der östlichen Hälfte des Sauerlandes, die eines gemeinsam haben: Sie inspirieren spirituell. Der Berliner Journalist Michael Gleich spricht vom Phänomen der Resonanz: Egal mit welcher spirituellen Orientierung ein Mensch einen Sauerland Seelenort besucht, die Orte lösen in ihm etwas aus. Für diejenigen, die das nicht alleine erleben wollen, hat jeder Seelenort einen Erzählpaten, der Veranstaltungen organisiert und Führungen anbietet. Zu den Seelenorten gehören viele christlich geprägte Orte wie Kirchen und Kapellen, aber auch Aussichtspunkte, Berggipfel, Steinbrüche, Kunstwerke und Quellen.