Der König von Korsika

Quelle: Martin Büdenbender

Schloss Neuenhof und der einzige König der Insel Korsika aus dem Sauerland

Aus den Geschichtsbüchern, damit meine ich die, mit denen die meisten der Leser im Geschichtsunterricht gequält worden sind, kennen wir nur den König „Lustik“ von Westfalen. Bei ihm handelt es sich um Jerome Bonarparte, dem Bruder Napoleon Bonarpartes, der nur kurz und dann auch noch im hessischen Kassel über einen kleinen Teil Westfalens herrschte.

Jerome regierte in der Region Ostwestfalen und im Niedersächsischen und hinterließ nur wenige Erinnerungen im Volk, außer seiner oft wiederholten Frage: „Immer lustik“? „Lustik“ ist es wohl in seiner Privatloge im Kasseler Theater gewesen, wo die Pausen oft länger als die Aufführungen dauerten, wie Spötter behaupten.

Auch Theodor von Neuhoff, einzig gewählter König von Korsika, war viele Jahre seines Lebens mit dem Königreich Frankreich, sogar bis hin zum Königshof in Versailles auf die eine oder andere Art verbunden. Als Mitglied der weitverzweigten Adelsfamilie derer von Neuhof wurde er im Laufe seines Lebens zu einem international agierenden politischen Abenteurer von begnadetem Format. An vielen bedeutenden Fürstenhöfen konnte man ihn finden, wo er durch immer neue Spielschulden manch unrühmliche Spuren hinterließ. Mehrmals hatte er das Glück schon fest in der Hand, bis ihm Fortuna durch widrige Umstände, auf die er keinen Einfluss hatte, launisch ihre Gunst entzog.

Sein Aktionsradius aber war gewaltig, Aufenthaltsorte finden wir über ganz Europa verstreut, von Åland im Baltikum über Lund in Schweden, Gottorp in Dänemark, Texel, Den Haag und Amsterdam in den Niederlanden, London oder Metz, Nancy, Luneville, Paris und Versailles in Frankreich, Lissabon oder Madrid auf der Iberischen Halbinsel, in vielen italienischen Städten, am Schwarzen Meer und sogar in Konstantinopel und in Nordafrika in Tanger, Oran, Algier oder Tunis und natürlich auf Korsika konnte man seine Aufenthaltsorte fest stellen. Ein wahrlich imponierendes Reisepensum und das bei den schwierigen Reisebedingungen im frühen 18. Jahrhundert.

Theodor entstammte einer Seitenlinie des Geschlechts derer von Neuhof auf Burg Pungelscheid bei Werdohl. Stammsitz der Familie ist das Schloss Neuenhof im Elspetal bei Lüdenscheid, heute bewohnt von ihren Nachfahren der Familie des Freiherrn von dem Bussche gen. Kessel.

Um das atemberaubende Leben des Theodor von Neuhoffs zu dokumentieren, wurde 2011 eine bedeutsame Ausstellung über ihn mit vielen internationalen Exponaten präsentiert. Geboren wurde Theodor 1694 als Sohn Leopolds von Neuhoff, der als Offizier in französischen Diensten stand, aber bereits 1695 verstarb. Die Mutter Amélie aus einer lothringischen Kaufmannsfamilie, allerdings nicht vom Adel, zog mit ihren zwei Kindern zur sauerländischen Verwandtschaft und wurde auf Burg Pungelscheid gastlich aufgenommen. Hier verbrachte Theodor mit seiner Schwester Elisabeth die Kinder- und Jugendjahre, bis er an der Jesuitenschule zu Münster aufgenommen wurde. Latein und Griechisch lernte er problemlos und wechselte dann zur renommierten Jesuitenschule nach Köln. Bald fiel seine Sprachbegabung auf, durch seine Mutter konnte er tadellos Französisch, der damaligen Diplomaten- und Kanzleisprache, Englisch galt wie Deutsch als ziemlich barbarisch. Später kam er durch Beziehungen seiner Mutter als Page an den Hof der Herzogin von Orleans, der berühmten Lieselotte von der Pfalz.

Hier erlernte er höfisches Auftreten, aber auch die Gabe sein Geld beim Spielen zu verlieren und riesige Schulden anzuhäufen. Die Herzogin beobachtete sein abgleiten in die „Schuldenfalle“ und beorderte ihn zum bayrischen Kurfürsten, wo er als Rittmeister in die Armee eintrat. Seine Mutter verließ ebenfalls den herzoglichen Hof, um einen Bürgerlichen zu heiraten. Die Herzogin fragte wohl etwas peinlich berührt: „Warum einen Bürgerlichen?“ Darauf soll Amélie geantwortet haben, sie habe vom Adelsstolz die Nase voll. Chapeau! Eine echte Ansage!

Quelle: Martin Büdenbender

Politiker, Agent in geheimen politischen Missionen und erwählter König von Korsika

In die Welt der Politik und Geheimdiplomatie führte ihn der holsteinische Minister Freiherr von Görz, Vertrauter des schwedischen Königs Karl XII, ein. Theodors weitere Wege führten dann auf offizielle und inoffizielle Reisen, getarnt als diplomatische Mission quer durch Europa bis nach Nordafrika. In der Zeit der Geheimkabinette und vieler diplomatischer Winkelzüge war er bald ein echter Akteur, der getarnt als kaiserlicher Agent in Genua Mitglieder der korsischen Unabhängigkeitsbewegung kennenlernte. Deren Führer waren von den Genuesen verhaftet worden, obwohl man ihnen freies Geleit garantiert hatte. Korsika gehörte damals zu Genua und durch eine entsprechende Schilderung der Vorgänge, die Theodor für den kaiserlichen Hoff verfasste, erreichte er die Freilassung der Geiseln.

Genua hielt Korsika schon seit Jahrhunderten als Kolonie besetzt, im Inneren der Insel hatten immer einige Großfamilien das Sagen, die Genuesen beherrschten die Küsten. Ab 1729 kam es zu Aufständen in deren Sog Theodor von Neuhoff geriet, um 1736 von den Korsen zum einzig gewählten König Korsikas erwählt zu werden. Durch Verrat musste er schon nach einem knappen Jahr die Insel verlassen, um in England neues Geld aufzutreiben und die Engländer als Verbündete zu gewinnen. Erfolglos neigte sich hier seine Karriere endgültig dem Ende und er landete

schließlich im Londoner Schuldengefängnis. Nachdem er 1755 wieder freikam, starb er völlig verarmt bereits ein Jahr später und wurde in der Kirche St. Anne in Soho begraben.

1768 verkaufte Genua Korsika an Frankreich, 1769 kam Napoleon also bereits als Franzose zur Welt. Seinen Bruder Jerome machte er als einzigen Korsen zum König von Westfalen und Theodor von Neuhoff, dessen Lebensgeschichte Sie kennen gelernt haben, wurde als einziger Westfale König von Korsika. Die Weltgeschichte hat doch einige Überraschungen parat, sogar mit Sauerländer Hintergrund.