Der Hüter des unterirdischen Zauberreichs

Quelle: Wilfried Diener, Dechenhöhle Iserlohn, Fotostudio Tölle

Dr. Stefan Niggemann (Jahrgang 1968) leitet als selbstständiger Pächter und Geschäftsführer die Betriebsführung der Dechenhöhle in Iserlohn. Der Betrieb der Höhle dient sowohl der Touristik als auch der geologischen Forschung. Die Höhle liegt im Iserlohner Stadtteil Untergrüne. Nähere Informationen können im Internet unter www.dechenhoehle.de aufgerufen werden.

WOLL: Herr Dr. Niggemann, Sie haben seit 2011 die Betriebsführung der Dechenhöhle übernommen. Was hat Sie motiviert, ein „Höhlenmensch“ zu werden?

Dr. Niggemann: Schon 2005 habe ich den Betrieb gemeinsam mit meinem Vorgänger Elmar Hammerschmidt geführt. Ein „Höhlenmensch“ zu werden, hat mich früh motiviert. Bereits als Kind habe ich mich für Höhlen interessiert. 1985 habe ich meine Eltern gedrängt, mit mir nach Österreich zu fahren, um dort die Eishöhlen zu besichtigen. Ich habe sehr zeitig mit der Höhlenforschung begonnen, später Geologie in Bochum studiert, dort über die Dechenhöhle diplomiert, anschließend promoviert. 2000 ergab sich die Möglichkeit, hier an der Dechenhöhle beruflich einzusteigen.

WOLL: Wer hat die Höhle entdeckt, ihr den Namen gegeben und wer ist der Eigentümer der Höhle?

Dr. Niggemann: Die Dechenhöhle ist 1868 entdeckt worden. Genau weiß man es aber nicht. Ein Eisenbahnarbeiter soll bei Sicherungsarbeiten am Felsen über den Gleisen einen Hammer in einer Felsspalte verloren haben. Der Name wurde später zu Ehren des Oberberghauptmanns Heinrich von Dechen aus Bonn, der 1869 im Rahmen einer großen Exkursion mit anderen berühmten Forschern zweimal hier vor Ort gewesen ist, gegeben. Die Höhle ist zuerst in den Besitz der Märkisch-Bergischen Eisenbahn gekommen. Später war die Bundesbahn Eigentümer als Rechtsnachfolger. 1983 hat sie die Höhle an eine kommunale Gesellschaft des Märkischen Kreises und der Stadt Iserlohn verkauft. Heute ist eine kommunale Gesellschaft, die sich „Märkisches Kulturgut Dechenhöhle gGmbH“ nennt, die Eigentümerin.

WOLL: Seit wann ist die Höhle für Besucher geöffnet worden? Wie lang ist der Weg durch die Höhle und ist der Weg barrierefrei?

Dr. Niggemann: Die Höhle ist schon 1868 auf einem kleineren Weg im vorderen Teil für Touristen geöffnet worden. Anfangs ging man noch mit Fackeln hindurch. Später wurde der Teil bis in die Wolfsschlucht zugänglich gemacht. 1921 wurde der heutige Ausgang angelegt. Seitdem können die Besucherinnen und Besucher auf einer Strecke von etwa 400 Metern die Höhle besichtigen. Barrierefrei ist die Höhle leider nicht, da sie vor mehr als 130.000 Jahren im Mittelteil eingestürzt ist. Es gibt dort eine größere Treppenanlage, die uns daran hindert, komplett mit Rollstühlen durchfahren zu können. Für Gruppen bieten wir Sonderführungen an, sodass Gäste mit Rollstühlen zumindest einen Teil der Höhle besichtigen können.

WOLL: Die Anreise zur Dechenhöhle kann mit dem Auto, dem Bus oder aus der näheren Umgebung zu Fuß erfolgen. Man soll auch mit dem Zug anreisen können. Stimmt das?

Dr. Niggemann: Man kann mit dem Auto zu uns kommen. Wir haben kostenfreie Parkplätze direkt an der Höhle. Man kann mit dem Bus Linie 1 der MVG anreisen und ist nach einem kurzen Fußweg an der Höhle. Man kann aber auch – und das ist das Besondere – direkt mit der Eisenbahn zu uns fahren. Die Höhle liegt an der Bahnlinie Letmathe-Iserlohn, an der 1869 ein Bahnhaltepunkt eingerichtet wurde. Heute steuert der Zug den Haltepunkt zweimal pro Stunde an. Man kann bequem vom Essener Hauptbahnhof oder vom Iserlohner Stadtbahnhof zur Dechenhöhle kommen. Die Anbindung ist seitens des öffentlichen Nahverkehrs perfekt. In den 1950er-Jahren sind die Besucher aus dem Ruhrgebiet massenweise mit Sonderzügen zur Dechenhöhle gefahren worden. Das führte damals zu einer Rekordbesucherzahl von über 320.000 im Jahr.

WOLL: Welche besonderen Events finden über das Jahr verteilt in der Dechenhöhle statt?

Dr. Niggemann: Wir sind bestrebt, das Höhlenthema interessant zu gestalten. Einerseits durch die regulären Führungen. Nur damit allein ist es schwierig, wirtschaftlich in Konkurrenz mit anderen Einrichtungen zu bestehen. Daher haben wir vor vielen Jahren mit meinem Vorgänger Elmar Hammerschmidt ein neues Konzept mit Sonderveranstaltungen, die über das Jahr verteilt stattfinden, entwickelt. Im Februar/März finden die „Höhlenlichter“ statt. Da kommt ein Lichtkünstler und illuminiert die gesamte Höhle auf eindrucksvolle Weise. Um Ostern erfreut der Osterhase die Kinder. Es gibt Erlebnisführungen in den Schulferien, Kindergeburtstage, Whisky-Tastings – in der Höhle lagert ein Fass Höhlenwhisky, – Weihnachten und zu St. Martin Führungen mit Kerzenlicht und Musik. Das sind Veranstaltungen, die viele tausend Besucher aus ganz NRW und darüber hinaus anlocken.

WOLL: In einem repräsentativen Bildband, den der Förderverein Dechenhöhle 2011 herausgegeben hat, wird die Dechenhöhle als unterirdisches Zauberreich bezeichnet. Worin offenbart sich dieser Zauber für uns Oberirdische?

Dr. Niggemann: „Die Dechenhöhle, das unterirdische Zauberreich des Sauerlandes“, so war über Jahrzehnte der Werbeslogan, den wir auch für den Bildband übernommen haben. Es sagen uns auch viele Besucher: „Es ist eine unterirdische Zauberwelt.“ Die Dechenhöhle hat sehr viele Tropfsteine, hat damit eine besondere Ausstrahlung, die die Leute verzaubert. Das ist wie Alice im Wunderland, eine völlig fremdartige Welt, in der man sich 40 Minuten aufhalten kann. Das hat etwas Mystisches, eine Art Naturkunst, die man besichtigen kann.

WOLL: Mit Herz und Verstand widmen Sie sich der Unterwelt. Gibt es immer noch Neues zu entdecken und wer hilft dabei?

Dr. Niggemann: Wir haben uns in der Dechenhöhle der Forschung verschrieben. Meine beiden festangestellten Mitarbeiter und ich sind Geologen. Da ist auch immer noch eine Menge zu entdecken. Die Dechenhöhle selbst ist als Höhlensystem bis in die letzten Winkel erkundet. Man würde sicher noch Fortsetzungen entdecken können, wenn man Gänge aufgraben würde, aber bis jetzt ist das nicht gelungen. In der Umgebung gibt es über 20 Kilometer Höhlengänge, die vom örtlichen Höhlenverein erforscht wurden. Ich bin dort früher auch Woche für Woche untertage gewesen. Da kann man immer noch neue Gänge und Hallen finden. Mich interessiert besonders, dass es in der Höhle durch wissenschaftliche Untersuchungen die Möglichkeit gibt, Neuland zu betreten. Ein wichtiger Punkt ist, dass man anhand des Tropfsteinwachstums Aussagen über das Klima der Vergangenheit treffen und die Entstehung unserer umgebenden Landschaft ableiten kann. Geologisch nachgewiesen ist, dass es in der Dechenhöhle vor 25.000 Jahren Eis gegeben hat. Dieser unterirdische Gletscher hat viele der Tropfsteine beschädigt, die wir heute als abgeplatzte oder umgekippte Tropfsteine sehen. Danach hat das Tropfsteinwachstum im heutigen Warmzeitalter wieder eingesetzt. Das alles zu entschlüsseln, ist schon sehr spannend.

WOLL: Der Dechenhöhle angeschlossen ist in der ehemaligen Gaststätte das Deutsche Höhlenmuseum Iserlohn. Was können die Besucherinnen und Besucher dort erfahren?

Dr. Niggemann: Als die hiesige Gaststätte Anfang der 2000er-Jahre in eine Schieflage geraten ist und kein neuer Pächter gefunden wurde, hat der neu gegründete Förderverein Dechenhöhle angeregt, in diesem Gebäude ein Museum einzurichten. Das wurde mit Hilfe der Nordrhein-Westfalen-Stiftung großzügig unterstützt. In diesem Museum sind unsere Forschungsergebnisse untergebracht, aber auch viele rekonstruierte Exponate von Höhlenbären und Dinosauriern. Wir betrachten hier nicht nur unsere Region, sondern versuchen, das Höhlenthema europa- und weltweit aufzuschlüsseln, zum Beispiel auf einer großen Wandtafel mit Höhlenmalereien, die im Original in Spanien und Frankreich existieren. Man kann sich im Museum umfassend über Höhlen informieren. Wie bei allem ist es so, dass manches mit der Zeit veraltet, und ich sehe ein, dass wir einiges modernisieren müssten, aber – wie so oft – fehlt dafür leider das Geld.

WOLL: Herr Dr. Niggemann, wir bedanken uns für das informative Gespräch.