Ein tausendjähriges Glaubenszeugnis aus Meschede
„Als Äbtissin Hitda im Skriptorium von St. Pantaleon in Köln den Auftrag zur Anfertigung eines Prachtevangeliars für das Frauenkloster St. Walburga in Meschede im Sauerland gab, da wollte sie etwas Besonderes.“ – So beginnt der Kommentar im neuen und vollständigen Nachdruck des sogenannten Hitda-Codex. Heute gehört das seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts in Darmstadt aufbewahrte Evangeliar zu den prächtigsten Handschriften der gesamten ottonischen Epoche und des gesamten Frühmittelalters.
Der Hitda-Codex gilt als Höhepunkt der ottonischen Kölner Buchmalerei um die erste Jahrtausendwende. Seine ikonischen Illustrationen zählen zu den Meisterwerken der christlichen Kunst und beeindrucken bis heute durch ihren außergewöhnlichen künstlerischen Wert, ihre modern anmutende collagierende Gestaltung, ihre ausdrucksstarke Bildsprache und den pastosen Farbauftrag. Über tausend Jahre alt, davon 800 Jahre im Kanonissenstift Meschede aufbewahrt, entfaltet der Hitda-Codex bis in die Gegenwart seine Wirkung. Besonders bekannt ist die Darstellung des Sturms auf dem See Genezareth, eine der zentralen Szenen des Evangeliars aus ottonischer Zeit, die Generationen von Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht begleitet hat, da sie in nahezu jedem deutschen Religionsbuch abgedruckt war. Darüber hinaus beeinflusste diese Darstellung stilprägend Künstler von Rembrandt über August Macke bis hin zur zeitgenössischen religiösen Kunst.
Dank des Engagements von Michael Schmitt, Pfarrer und Leiter des Pastoralen Raumes Meschede Bestwig wird erstmals die gesamte Handschrift mit allen ihren Text- und Zierseiten als Kunstbuch vorgelegt und so das Evangeliar, das um 990 im Skriptorium des Kölner Klosters St. Pantaleon für das Frauenkloster St. Walburga in Meschede im Sauerland angefertigt worden ist, vollständig einsehbar. Ein Kommentar des Kunsthistorikers Prof. Dr. Klaus Gereon Beuckers erläutert die kunsthistorische Stellung des berühmten Werkes.
Hochgebildet und mit theologischem Sachverstand
Das Evangeliar und die weiteren von Äbtissin Hitda gestifteten Objekte machten das Kanonissenstift Meschede zu einem äußerst wohlhabenden Zentrum. Der Hitda-Codex deutet zudem darauf hin, dass Meschede in ottonischer Zeit ein bedeutender Ort des Glaubens und der Theologie war. Die Kanonissen beherrschten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur Latein, sondern vermutlich auch Altgriechisch und verfügten über ein fundiertes theologisches Verständnis. Während man früher annahm, dass in Frauenklöstern kaum gelesen oder gelehrt wurde, widerlegt der Hitda-Codex diese Ansicht eindrücklich: Er belegt die Anwesenheit hochgebildeter Frauen mit umfassendem theologischem Wissen.
Besonders hervorzuheben sind die neu verfassten lateinischen Tituli im Hitda-Codex, die die durchgehend ganzseitigen Illustrationen begleiten. Äbtissin Hitda begnügte sich also nicht mit den üblichen Autorenbildern und Zierseiten, sondern ließ jedem Evangelienanfang mehrere ganzseitige Szenen aus dem Leben Jesu voranstellen. Diese wurden zusätzlich durch ein ganzseitiges, neu verfasstes Gedicht auf der gegenüberliegenden Seite kommentiert. Dieses Konzept war in der Kölner Buchmalerei, soweit es die überlieferten Werke belegen, einzigartig und findet auch unter den Evangeliaren des 10. Jahrhunderts über Köln hinaus keine heute bekannten Parallelen. Zwar lässt sich nicht vollständig ausschließen, dass ähnliche Werke existierten, doch wenn sie es taten, waren sie äußerst selten.
Diese Umsetzung zeugt von einem außergewöhnlich hohen intellektuellen Niveau. Die Tituli reflektieren nicht nur eine intensive Auseinandersetzung mit den Bildinhalten, sondern auch den Bildungsanspruch der Äbtissin Hitda und ihres Konvents. Sie unterstreichen den Rang des Kanonissenstifts Meschede als Zielort der Handschrift.
Obwohl aus Meschede keine eigene textliche Produktion aus dieser Zeit überliefert ist, lässt sich das Kloster in die Reihe der herrschernahen ottonischen Frauenstifte wie Essen, Quedlinburg oder Herford einordnen. Der Hitda-Codex ist somit ein eindrucksvolles Zeugnis des intellektuellen und spirituellen Niveaus in Meschede.
Im Grußwort von Christoph Weber, Bürgermeister Meschede und Peter Vogt, Kuratoriumsvorsitzender der Jubiläumsstiftung schreiben sie: „Der Hitda-Codex ist nicht nur ein bedeutendes Zeugnis mittelalterlicher Kunst und Kultur, sondern auch ein Stück der Geschichte der Stadt Meschede. Das prachtvolle Evangeliar ist untrennbar mit seiner Stifterin Äbtissin Hitda verbunden und Hitdas Name gehört fest zum Damenstift Meschede, das maßgeblich zur kulturellen und religiösen Entwicklung der Region beitrug.“
Der Gesamtnachdruck des Hitda-Codex ist neben dem Buchhandel im Pfarramt in Meschede (Stiftsplatz 6) für 49,90 Euro zu erwerben.