Ein Besuch beim letzten Laternisten Deutschlands
Laternist? Was ist das denn? Genau das habe ich mich gefragt, als ich das erste Mal von Peter Riecke aus Neuenrade hörte, Deutschlands letztem Vertreter dieses fast vergessenen Berufs. Meine Neugier war geweckt und ein paar Wochen später stattete ich ihm einen Besuch ab.
WOLL: Würdest du einmal erklären, was ein Laternist eigentlich macht?
Peter Riecke: Ein Laternist, das ist jemand, der eine Laterna Magica, auch Zauberlaterne genannt, bedient. Diese war sozusagen der Uropa des Diaprojektors und wurde vom 17. bis zum 19. Jahrhundert genutzt, um Bilder auf eine Leinwand zu werfen. Damals sind wir Laternisten von Stadt zu Stadt gezogen, wie Jahrmarkt-Leute, und haben den Leuten Bilder gezeigt, erklärt und dazu lustige, spannende oder gruselige Geschichten erzählt.
WOLL: Wie funktioniert so eine Laterna Magica?
Peter Riecke: Eigentlich ganz simpel: Man hat eine Lichtquelle, die das Bild einer bemalten oder bedruckten Glasscheibe auf die Leinwand projiziert, ähnlich wie ein Diaprojektor. Wenn man mehrere Motive nacheinander zeigt oder Bildplatten mit raffinierten Mechanismen benutzt, entstehen Überblendungen und sogar bewegte Bilder – das war für die Menschen damals echtes Zauberwerk.
WOLL: Wie bist du zu deiner ersten Laterna Magica gekommen?
Peter Riecke: Ach, das war ein Zufallsfund! Auf dem Dachboden meiner Großeltern stand eine alte Kiste. Darin war ein Projektor samt Bildern, den mein Großvater 1904 zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Das Ding hat mich sofort fasziniert, und so fing ich an, zu sammeln. Heute habe ich rund 60 Laternen und ungefähr 900 Glasplatten mit Themen, die die Leute früher interessiert haben – von biblischen Geschichten bis Wilhelm Busch.
WOLL: Bist du immer noch auf der Jagd nach neuen Projekten und Bildplatten?
Peter Riecke: Ich habe mittlerweile fast jedes Modell, das es gibt, und die Zeit für gezielte Suchen fehlt mir, da ich ja auch als Bau- und Möbeltischler gut zu tun habe. Aber meine Shows mit der Laterna mache ich immer noch mit viel Freude.
WOLL: Seit wann machst du solche Aufführungen, und wo kann man dich sehen?
Peter Riecke: Meine ersten öffentlichen Vorführungen mit der Laterna Magica gab es 1992. Seitdem trete ich alle paar Monate auf historischen Jahrmärkten, Steampunk-Treffen und auch privat auf. Ich sehe mich als eine Art Wanderschausteller, der das Publikum auf eine Zeitreise mitnimmt. Und seitdem viele meiner Kollegen aufgehört haben, bin ich tatsächlich der letzte Laternist – darum liegt es mir sehr am Herzen, diesen Apparat als Vorläufer des modernen Kinos im Gedächtnis zu halten.
WOLL: Warum nannte man die Laterna Magica früher auch „Zauber-“ oder „Schreckenslaterne“?
Peter Riecke: Der Name kommt aus einer Zeit, als die Menschen sich nicht erklären konnten, wie das Ganze funktionierte. Da war für viele einfach Magie im Spiel – und manchmal auch etwas Gänsehaut, vor allem, wenn düstere Bilder gezeigt wurden. Lange vor dem Ersten Weltkrieg nutzte man die Laterna auch für Volksbildung, Missionierungen oder Propaganda. Mit der Industrialisierung wurde die Zauberlaterne dann zum Massenmedium, bis sie schließlich vom Kino verdrängt wurde.
WOLL: Was erwartet die Leute, die zu deiner Vorstellung kommen?
Peter Riecke: Oh, jede Menge Geschichten! Ich habe für Kinder wie für Erwachsene spannende Programme. Besonders beliebt bei den Großen ist mein humorvoller Ausflug in die alte Medizin oder der Feldzug 1870/71 – inklusive Patriotentest! Aber es gibt auch Vorstellungen, die nur von zeitgenössischer Musik begleitet werden, wie zum Beispiel Ragtime vom Grammophon. Meine Frau Heike und unsere Freundin Katja unterstützen mich dabei, und natürlich sind wir alle stilecht gekleidet. So fühlt sich das Publikum wie auf einer echten Zeitreise.
WOLL: Können dich auch die Sauerländer erleben?
Peter Riecke: Na klar. Ich bin in Museen, bei Kunstausstellungen, in Wohnzimmern und Kinosälen, auf Privatfeiern, Festivals und Vereinsfesten unterwegs – überall dort, wo mein Programm aus Romantik, Besinnlichkeit, Humor und ernsthaften Geschichten gewünscht ist.
WOLL: Und was passiert mit deiner Sammlung, wenn der letzte Laternist irgendwann das Licht ausknipst?
Peter Riecke: Ich hoffe sehr, dass es nicht so weit kommt! Der historische Wert meiner Sammlung ist einfach zu groß und ich hänge zu sehr daran. Deshalb bin ich schon eine Weile auf der Suche nach einem passenden Museum – am liebsten natürlich hier im Sauerland. Wo sonst?
WOLL: Danke für das Gespräch!
Zeittafel
1420
Erste Abbildung einer Projektionslaterne zur Projektion von Geisterbildern durch Giovanni da Fontana
16. und 17. Jahrhundert
Mehrere Gelehrte beschreiben die Laterna Magica inwissenschaftlichen Abhandlungen.
Mitte 18. Jahrhundert
Wanderschausteller ziehen mit Guckkästen und LaternaMagica-Geräten durch Europa.
Mitte 19. Jahrhundert
Die Laterna Magica wird durch die industrielleMassenfertigung gemeinsam mit der Modell-Dampfmaschineein für nahezu jedermann erschwingliches,klassisches technisches Jungen-Spielzeug
Ende 19. Jahrhunderts
Die aufkommende Kinematografie verdrängt die LaternaMagica langsam.