Der Herr der Röhren

Ein Vormittag im Internationalen Radiomuseum in Bad Laasphe

Klein und unscheinbar nimmt das kleine Radio in der ausladenden Vitrine eigentlich nicht viel Platz ein; fast droht es, von der Umgebung wesentlich größerer, schwererer Geräte zerdrückt zu werden. Hans Necker, Leiter des Internationalen Radiomuseums in Bad Laasphe, nimmt es behutsam vom Regal, blickt es fast zärtlich an und schwärmt: „Ein Superzwerg der Marke Tefi aus dem Jahre 1950, wunderschönes Gerät, etwas zerschossen, aber zum Glück konnte ich vergangene Woche ein besser erhaltenes Exemplar mit Lederköfferchen erwerben.“ Der 77-jährige gelernte Buchhalter stellt das Exponat zurück hinter Glas, stupst es noch ein wenig zurecht und setzt seine Führung fort.

Wir sind zu Gast im Internationalen Radiomuseum, das seit 1990 unter der Leitung von Hans Necker Besucherinnen und Besucher mit der bewegten Geschichte und der einzigartigen Technik des Mediums Radio vertraut macht. Durch Bilder kann die umfangreiche Sammlung, die sich über zwei Etagen und die dazwischenliegenden Treppenhäuser erstreckt nur unzureichend wiedergegeben werden. Ein riesiges Gebäude, vermutlich eine ehemalige Schule, ist bis zum Dachboden mit Radiogeräten aus allen Epochen und Ländern gefüllt. Die Schausammlung, welche 1100 Exemplare umfasst, ist dabei bloß die Spitze des Eisberges.

„Das ist alles mein Eigentum. Gut 4500 Geräte.“

Wem das denn alles gehöre, möchte ich wissen, und der elegante, verschmitzte Herr Necker erwidert lapidar: „Das ist alles mein Eigentum.“ Als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, über Jahrzehnte hinweg Radio um Radio zu erwerben, um ihnen Unterschlupf, Publikum und Anerkennung zu schenken. „Es begann, als ich sechs Jahre alt war. Ich konnte schlecht sehen, meine Eltern hörten tagein, tagaus Radio; es wurde für mich zum Tor zur Welt. Mit zwölf fing ich an, die ersten Geräte selbst zu reparieren und brachte mir, während ich Schlager der 50er hörte, das Handwerk überwiegend in Eigenregie bei.“

Wir streifen weiter durch die Gänge. Schlager der Fünfziger laufen hier auch heute. Unterm Dach betreibt Necker seinen eigenen Mittelwellensender. Obwohl oben ein USB-Stick am Sender angeschlossen ist, tickt der Junggebliebene eigentlich durch und durch analog. Ein Computer steht zwar im Büro, und in der Sammlung bringt auch ein Bildschirm den jungen Leuten die Kulturgeschichte des Radios in Dauerschleife näher („Die wollen ja immer irgendwas haben, was sich bewegt … “), aber als es um das Gegenlesen dieses Artikels geht, bittet er um ein Fax. Es gab eine Zeit, da gaben Moderatoren sich am einen Ende der Welle Mühe, kuratierten sorgsam Sendungen und erstellten Hitliste um Hitliste, während die Menschen am anderen Ende der Welle sich regelrecht mit ihrem Gerät verabredeten.

Wie zum Beweis stehen wir unversehens in einem Wohnzimmer der 50er Jahre. Ein kombiniertes Gerät aus Echtholz ist die Zierde des nierenbetischten Raumes. Fernsehröhre, Plattenspieler und Radio stecken in einem kleinwagengroßen Möbel. Immer wieder bleibt Herr Necker vor einem Gerät stehen, erläutert den historischen Hintergrund eines Stücks. Skizziert die Rolle in der Weltgeschichte, dreht auch mal ein Gerät so laut, dass man einen ganzen Saal damit beschallen könnte und lächelt dann versonnen. Seit 1990 macht er das so. „Damals“, beginnt der gebürtige Düsseldorfer eine Zeitreise, „als es in diesem Ort noch Kurgäste gab, die etwas sehen und erleben wollten, standen die Gäste nach ihrem Kneippgang und einer Morgenwanderung teils schon um sechs Uhr draußen auf der Matte.“ Als er vor 33 Jahren aus Langenfeld ins Wittgensteiner Land wechselte, habe sich das sehr gut angefühlt: Ein Kurort, eine Attraktion, neugierige Menschen.

Mittlerweile wirkt Necker teilweise verzagt. „Nach Corona müssen wir uns eine neue Gruppe Radiobegeisterter junger Menschen erst wieder heranzüchten“, schaut er in die Zukunft, während wir über eine Stiege unters Dach klettern. „Radiobörsen waren damals gang und gäbe, wir haben selbst zahlreiche davon ausgerichtet. Man konnte fachsimpeln, die Objekte anfassen, sie begreifen. So wie dieses hier, das älteste Stück der Sammlung, von 1918. Zwei Jahre später, im Dezember 1920, wurde die erste Radiosendung ausgestrahlt, und drei Jahre später gab es schließlich den ersten öffentlichen Rundfunk.“

Unterm Dach angekommen, begreifen wir das Ausmaß der Leidenschaft des Sammlers erst richtig. Hier schlafen auf sicherlich einem Kilometer Regal nochmal gut 2000 Geräte. Insgesamt seien es an die 4500 Stück. Auch einen Guinness-Weltrekord hat das Museum mal gehalten oder hält ihn immer noch. Eine Urkunde aus 2004 am Eingang der internationalen Abteilung bezeugt dem Besucher die weltweit größte Sammlung an Röhrenradios.

Melancholie und Zuversicht

Es wird für ein Radiomuseum wie dieses sicher schwierig in einer Welt, die sich weiter digitalisiert und zusehends ins Virtuelle abdriftet. Ein alter Schaltplan zieht heute sicher keinen Jugendlichen mehr hinterm Smartphone hervor, Empfangsgeräte sind Wegwerfprodukte geworden, und das Radio ist, sieht man mal vom Deutschlandfunk ab, zum Konsumartikel verkommen. Und so wohnt der Idee, ein Radiomuseum zu führen, mittlerweile eine gewisse Melancholie inne.

Dabei will es Hans Necker nicht belassen. Er blickt lieber in die Zukunft: „Der nächste Höhepunkt ist die Radio- und Schallplattenbörse am 2. April 2023.“ Dann wird es im Haus wieder von echten Menschen wimmeln, und Fachsimpeleien an jeder Ecke lassen dann endlich wieder Sammler- und Bastlerherzen höherschlagen.

Das kleine Auto, das mich zurück ins Sauerland fahren wird, kann noch Mittelwelle empfangen. Wir schalten Herr Neckers Haussender ein. Noch etwa fünf Kilometer begleiten uns die alten Schlager mit einer Mischung aus Wehmut und einem kleinen Spritzer Zuversicht.

Wer sich selbst ein Bild machen möchte, findet weitere Informationen unter www.internationales-radiomuseum.de

Internationales Radiomuseum Hans Necker, Bahnhofstrasse 33, 57334 Bad Laasphe, Telefon: 02752 9798