Der diamantene Holzrücker

Karl Vonnahme: 60 Jahre Waldarbeit

60 Jahre im Beruf – in der gleichen Firma, täglich eine schwere, gefährliche, körperliche Arbeit – nur die wenigsten Berufstätigen bekommen die Gelegenheit, solch ein diamantenes Berufsjubiläum zu feiern. Karl Vonnahme aus Latrop kann es und geht noch immer täglich mit Freude in den Wald – fit, mit wachen Augen und bester Laune. In einer Zeit, in der viele Arbeitnehmer missmutig ihre Work-Live-Balance suchen und schon in der Mitte ihres Lebens die Möglichkeiten einer Frühverrentung ausloten, ist das – vorsichtig ausgedrückt – eher ungewöhnlich.

Schinderei für 20 Mark am Tag

Als Schulkind war sich Karl Vonnahme sicher: Er wollte auf keinen Fall zu Hause bleiben auf dem elterlichen Bauernhof – versteckt in einem abgelegenen Seitental der Lenne. Drei Generationen von Vonnahmes hatten bis dahin auf dem Familienbetrieb Landwirtschaft betrieben und im Auftrag von Waldbesitzern in der Umgebung Holz gerückt. Viele Wälder rund um Latrop sind im öffentlichen Besitz von Stadt und Land. Als Karl Vonnahme Anfang der 60er Jahre über seinen zukünftigen Beruf nachdachte, war Waldarbeit noch ein Knochenjob. Für die Papierindustrie bestimmtes Holz wurde auf einen Meter Länge geschnitten und von Hand verladen. Der Lohn für die Schinderei betrug ca. 20 Mark am Tag. Stammholz für die örtlichen Sägewerke – sieben gab es damals im Latroptal und rund um Fleckenberg – wurde mit Pferden aus dem Wald geholt. Nur eine Aufgabe wurde nicht mit Muskelkraft von Pferd oder Mensch erledigt: Für den Holztransport von Latrop nach Fleckenberg hatte Vater Vonnahme einen Schlepper der Marke Lanz Bulldog angeschafft. Ein vergilbtes Foto zeigt den jungen Karl auf dieser Maschine mit einer Begeisterung auf dem Gesicht, die die Zukunft erahnen lässt. Entgegen seiner Pläne von einem Leben weit weg von Latrop trat Karl Vonnahme nach dem Schulabschluss mit 14 Jahren in den elterlichen Betrieb ein und blieb dort bis heute. Zunächst war er Angestellter seines Vaters, dann übernahm er selbst den kleinen Waldarbeits-Familienbetrieb. Über 45 Jahre lang erledigte er in Schmallenberg und Latrop auch den Winterdienst. Wenn alle anderen noch schliefen, sorgte er schon für freie Straßen. Nebenbei eröffnete er gemeinsam mit seiner Ehefrau eine Pension in Latrop. Inzwischen ist er wieder Angestellter. Die Firma führt sein Sohn Markus heute sehr erfolgreich als deutschlandweit tätiges Holzrücke-Unternehmen mit zehn Forstmaschinen. „Zurzeit sind einige Leute von uns in Thüringen zum Holzrücken“, erzählt Karl Vonnahme. Mit seinem Freund und Geschäftspartner Christian Wülbeck hat Markus Vonnahme vor einigen Jahren die Forsttechnik Sauerland GmbH (FTS) gegründet (siehe WOLL-Magazin Sommer 2022). Sie reparieren und konfigurieren schwerste Waldarbeitsmaschinen für Kunden aus ganz Deutschland.

Quelle: privat

So heiser wie nach dem Schützenfest

Die schweren Maschinen haben die Waldarbeit von Grund auf verändert. Wo früher Pferde angespannt wurden, kommt heute eine Seilwinde mit Funkfernbedienung zum Einsatz. Verladearbeit, für die früher nur Muskelkraft zur Verfügung stand, erledigt heute ein hydraulischer Greifarm am Schlepper. Karl Vonnahme hat diese Veränderungen alle mitgemacht. Etwas Körpereinsatz ist heute aber immer noch gefragt. „Bevor man einen Baum mit der Winde aus dem Bestand ziehen kann, muss man erst einmal mit dem Drahtseil in der Hand zum Baum hinlaufen und ihn anhängen. Das wollen viele junge Leute nicht mehr tun. Die wollen nur auf der Maschine sitzen und auf Knöpfe drücken. Aber Laufen gehört mit zur Arbeit.“

Waldarbeit war früher lebensgefährlich. Auch wenn heute die moderne Technik viele Gefahren abfedert, bleibt immer ein Risiko. Ein unter Spannung stehender Baum kam beim Befestigen des Drahtseils mal ins Rutschen und hat Karl Vonnahme unter sich eingeklemmt. Stunde um Stunde rief er um Hilfe, „bis ich so heiser war wie nach dem Schützenfest“. Seine Beine spürte er inzwischen nicht mehr. Wanderer auf dem Weg von Kühhude nach Jagdhaus fanden ihn schließlich. Den technisch vollkommen unerfahrenen Urlaubsgästen hat der erfahrene Waldarbeiter in aller Ruhe von unter dem Baumstamm aus erklärt, wie sie den Schlepper und die Winde zu bedienen haben, um ihn zu befreien – mit Erfolg. Selbst in die inzwischen vollkommen taub gewordenen Beine kam wieder Leben.

Der läuft uns noch allen davon

Gefragt nach seiner eigenen beruflichen Zukunft, gibt er eine klare Antwort: „In Ruhestand gehen? Kein Gedanke! Soll ich den ganzen Tag in der Pension sitzen, Kaffee trinken und meiner Frau auf die Nerven gehen? Die Waldarbeit ist heute mein Hobby.“ Jahrelang ist er zusammen mit seiner Frau in den Urlaub ins Allgäu gefahren, um dort in den Wäldern zu wandern – zur Verwunderung seiner Nachbarn: „Du arbeitest den ganzen Tag im Wald und dann verbringst Du auch den ganzen Urlaub im Wald?“ Vielleicht ist das gerade das Geheimnis eines so langen, glücklichen Berufslebens: die Begeisterung für die Natur, ein Leben an der frischen Luft und körperliche Fitness. Karl Vonnahme zuckt nur mit den Schultern. „Der läuft uns heute noch allen davon, da kann keiner mithalten“, beteuert Karl Vonnahmes Tochter.

Auf die Frage nach einem Rat für junge Menschen, die über den Beruf des Waldarbeiters nachdenken, gehen seine Gedanken aber in eine andere Richtung: „Schrauben können muss man vor allem. Bei der Arbeit im Wald geht immer mal irgendetwas an der Maschine kaputt. Da muss man sich selbst helfen können.“ Sauerländer sind eben pragmatisch.