Schon als Kind empfand ich den Bastenberg als einen schaurig-geheimnisvollen Ort. Lag es an den dunklen Fichtenwäldern und dem „Eulenturm“, der aus dem dichten Baumbestand aufragt? Oder an all den Geschichten, die sich rund um den alten Rauchabgaskamin rankten? Von Kindern, die in den unterhalb des Kamins gelegenen Stollen gegangen waren und nie wieder auftauchten.
Wir Kinder trotzten unserer Angst, denn hier oben im Wald gab es die allerbesten Blaubeeren. Eine mühevolle Arbeit, die kleinen Beeren zu sammeln. Deshalb mussten wir uns zwischendurch immer wieder mit kleinen Kostproben belohnen. Und so wurde der Topf nur sehr, sehr langsam voll, während zuhause unsere Mutter mit dem Pfannkuchenteig wartete.
Jahrzehnte später besuchte ich wieder diesen Ort – und wieder hüllte mich die Atmosphäre von einst ein. Aber dieses Mal wollte ich wissen, was es mit der Geschichte des 745 Meter hohen Bastenberges auf sich hat.
20 Meter hoch thront der Kamin aus gelbbrauem Schiefermaterial über dem einstigen Bergarbeiterdorf. Als die Ramsbecker Gewerkschaft schon knapp 20 Jahre nach dem Bau ihre Bleihütte erweiterte, wurde diese 1854 mit einem neu errichteten Rauchgaskamin auf dem Bastenberg verbunden. Giftige Abgase aus der Bleihütte fanden durch diesen Kanal ihren Weg in die Atmosphäre. Auf Klimaschutz legt man damals noch keinen Wert, eher auf Recycling, denn im Fuchs* ausgefallenes Bleiweiß wurde später zur Farbenherstellung weiterwendet. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts galt es als das „einzige“ Weiß, bis es von Zinkweiß abgelöst wurde. Der Kamin wurde noch bis zur Einstellung des Hüttenbetriebs im Jahre 1907 genutzt.
Reges Treiben herrscht schon vor mehr als 800 Jahren im Inneren des Berges. Einige Stollen gibt es hier untertage. Der bekannteste ist wohl der Venetianerstollen (154 m lang). Seinen Namen erhielt er, weil hier wohl Mineralien- und Erzsucher am Werk waren, die als Zulieferer für Gold- und Silberschmiede, für Edelsteinschleifer und für die Glasproduktion in Venedig (speziell Murano) überall in den Gebirgen Europas aufgetaucht sein sollen. Bei einer Stollenhöhe von 50 bis 60 Zentimetern eigneten sich naturgemäß kleinere Menschen besser für diese Arbeit. Und die Venetianer waren eher kleinwüchsig. Wie mögen sie den Menschen im Sauerland erschienen sein? Kleiner als die Menschen hier, mit einer besonderen, zipfeligen Kopfbedeckung, mit Schaufel und Spitzhacke, offiziell auf der Suche nach Erz und Mineralien, in Wirklichkeit aber nach Gold und Silber … Die Assoziation mit Zwergen ist nicht weit. So etwas Ähnliches hatte ich doch als Kind schon geahnt. Wie war das doch gleich mit dem kollektiven Gedächtnis?
Nun, weder die Venetianer noch später Andreas Köchlin aus Paris, alias Marquis de Sassenay, fanden Silber oder gar Gold im Bastenberg. Hier gab es lediglich Erze, wenn auch mit einem besonders schönen, silberhaltigen Bleiglanz und Kupfer. Mein Vater brachte schon mal den einen oder anderen Stein von der Arbeit untertage mit nach Hause und nährte dadurch unseren Hunger auf noch mehr Geschichten.
Am Westhang des Bastenberges gab es den Stollen Alexander. 1853 wurden an seinem Mundloch neun Häuser mit 35 Wohnungen gebaut, in denen die Belegschaft der Arbeiter untergebracht wurde, die sogenannte “Kolonie Alexander”. Überwiegend einheimische katholische Zuwanderer aus Velmede, Heringhausen, Remblinghausen, Silbach und Messinghausen ließen sich hier nieder. Keine 100 Jahre später, stellte man aber fest, dass der Erzabbau sich an dieser Stelle nicht lohnte. Die „Kolonie Alexander“ wurde 1937 aufgegeben.
Später war der Alexanderplatz oft das Ziel von Klassenausflügen, mit dem Kartoffelfeuer – unter der Aufsicht der Lehrer – als Höhepunkt. Jeder, der das erlebt hat, weiß, dass kein noch so gutes Rindersteak vom Grill so beständig in den Erinnerungen verankert sein kann.