
Advent feiern, musizieren und Hoffnung schenken
Der Wichernkranz vor der evangelischen Erlöserkirche in Attendorn ist heute ein strahlendes Symbol für Hoffnung und ökumenische Zusammenarbeit. Doch dieses bedeutende Zeichen steht erst seit 2008 vor der Kirche. Für viele Einheimische, mich eingeschlossen, hat er die Adventszeit und das Weihnachtsfest, teilweise seit Kindertagen, begleitet und geprägt.
Doch woher kommt die Idee des Adventskranzes und welche tiefere Bedeutung steckt dahinter? Die Geschichte des Kranzes beginnt mit Johann Hinrich Wichern (1808–1881), einem Theologen, der als „Vater der Diakonie“ gilt. Er gründete das Rauhe Haus in Hamburg, welches ein Rettungshaus für arme Hamburger Kinder war, denen er eine Zukunftsperspektive aufzeigen wollte. Das Thema Bildung spielte für ihn schon immer eine große Rolle, er ermöglichte Ausbildungen und Förderungen, eine christliche Erziehung und setzte sich für die Bekämpfung von Kinderarmut ein. So wollte er den „Straßenkindern“ nahebringen, dass Gott auch für sie da ist, und eine Vertrauensbasis schaffen. Im Jahr 1839 entwickelte er somit den ersten Adventskranz, um den „Straßenkindern“ die Zeit bis Weihnachten zu verkürzen. Der Kranz bestand aus einem Wagenrad, an dem vier große weiße Kerzen für die Adventssonntage und zahlreiche kleine rote Kerzen für die verbleibenden Tage des Advents angebracht waren. Der Kranz sollte in der dunklen Jahreszeit das kommende Licht Jesu Christi symbolisieren – ein immer stärker werdendes Licht der Hoffnung, das zu Weihnachten ganz hell in der Krippe leuchtet. Später, um 1860, ergänzt man den vorweihnachtlichen Brauch, indem der Holzkranz mit Tannengrün geschmückt wird. Ist der Wichernkranz zunächst eine evangelische Tradition, so hängt 1925 in Köln erstmalig auch ein Adventskranz in einer katholischen Kirche.
28 Kerzen
Eine interessante Frage bleibt: Warum hat der Wichernkranz 28 Kerzen, während der bekannte Adventskalender nur 24 Türchen bietet? Das liegt daran, dass sich die Anzahl der Tage, die zwischen dem ersten Advent und dem Heiligen Abend liegen, von Jahr zu Jahr ändern können. Anders als beim Türchenkalender, dessen erstes Türchen immer am 1. Dezember geöffnet wird, beginnt der Wichernkranz je nach Adventsdatum früher.
Diese Geschichte inspirierte den ortsansässigen evangelischen Pastor Andreas Schliebener. Zum 200. Geburtstag von Johann Hinrich Wichern, nahm er sich das Wagenrad Wicherns zum Vorbild und entwarf den Attendorner Wichernkranz von Grund auf selbst. Aus Skizzen, Zeichnungen, PVZ-Rohren und gespendetem Tannengrün entstand ein großes Projekt. So entstand der Adventskranz mit kleinen Kerzen aus PVZ-Rohren und großen Kerzen aus Stahl. Die große Glocke, die auf dem Vorplatz der Kirche steht, bildet dabei einen stabilen Träger. Insgesamt kommt der Wichernkranz somit auf einen Durchmesser von stattlichen vier Metern und benötigt Wagenladungen von Tannengrün.
Ein herausragendes Merkmal des Attendorner Wichernkranzes ist die breite Unterstützung der örtlichen Gemeinschaft. Zahlreiche Firmen und vor allem die katholischen Attendorner Wagenbauer – Jürgen Junge, Ralf Springob und Hubert Bock – haben entscheidend dazu beigetragen, dass das Projekt zu einem ökumenischen Erfolg wurde. Bis heute bilden Sie ein zentrales Fundament für die Fortführung des Projektes.
Symbol der Nächstenliebe
Was damals eine einmalige Aktion gegen Kinderarmut sein sollte, ist nun zu einer Tradition geworden. Seit nun mehr 17 Jahren steht der Wichernkranz vor der Kirche, von der großen Glocke gehalten, und verkörpert die Adventszeit in Attendorn. Jedes Jahr aufs Neue wird der ungeschmückte Kranz vor der Kirche aufgestellt und zusammen von Erwachsenen und Jugendlichen geschmückt. Fängt die Adventszeit an, wird bei den Wichernkranzandachten die Kerze des folgenden Tages eingedreht und während einer kleinen Andacht Lieder gesungen, Geschichten erzählt und humorvollen oder nachdenklichen Beiträgen gelauscht.
Doch der Wichernkranz ist nicht nur ein festlicher Schmuck. Er steht auch für einen wichtigen sozialen Auftrag. Wie bei Johann Hinrich Wichern geht es auch hier um mehr als das Feiern. Der Kranz ist ein Hoffnungsträger und soll auf Kinderarmut aufmerksam machen. Mithilfe von Spenden werden jedes Jahr Gutscheine für Schulmaterialien an Kinder und ihre Eltern verteilt. So wird der Kranz auch in der heutigen Zeit zu einem Symbol der Nächstenliebe.
Der Attendorner Wichernkranz ist der größte Wichernkranz mit 28 Kerzen in ganz NRW und hat auch über die Grenzen hinaus Wellen geschlagen. In Österreich beispielsweise, wurde 2010 in Klagenfurt vor dem Klagenfurter Dom ein Wichernkranz nach Attendorner Vorbild aufgestellt. Die Idee verbreitet sich immer weiter und seit 2013 brennen die Kerzen auf den Wichernkränzen schon in vier Landeshauptstädten Österreichs, in Wien, Linz, Salzburg und in Klagenfurt sowie in Gallneukrichen. Im Gespräch erzählt Pastor Schliebener, dass für die Wagenbauer und ihn, in Verbindung mit dem Attendorner Adventskranz, vor allem eine Reise nach Österreich im Kopf geblieben ist. Sie wurden im Advent 2011 von der Diakonie Kärnten eingeladen und besuchten den dortigen „Schwesternkranz“ vor dem Klagenfurter Dom. Dieser Austausch zeigt, wie aus einer kleinen Idee ein verbindendes Zeichen der Hoffnung werden kann, das Menschen in verschiedenen Ländern erreicht.
Auch in diesem Jahr werden wieder zahlreiche Besucher aus nah und fern den Wichernkranz in Attendorn erleben. Montags, mittwochs und freitags um 18 Uhr, nach dem Abendläuten, finden die Kerzenandachten am Kranz vor der Erlöserkirche statt. Mit Besinnung und Musik, begleitet von verschiedenen Musikern und Rednern, bietet sich hier die Gelegenheit zu Begegnungen und einem Moment der Ruhe im Advent. Alle sind herzlich eingeladen, dabei zu sein und sich von der Magie des Wichernkranzes verzaubern zu lassen.