Das Sauerländer Ehrenwort

Amtsgericht Lennestadt

Quelle: Amtsgericht Lennestadt

In Gesetzbüchern und juristischen Abhandlungen sucht man den Begriff „Sauerländer Ehrenwort“ vergeblich. Doch genau dieser Begriff hat bei den Ureinwohnern dieses Landstrichs nach wie vor einen hohen Stellenwert. In dem Buch „Wahre Fälle eines Sauerländer Amtsrichters“ von Udo Poetsch und Werner Riedel wird ein Fall geschildert, der vor dem Amtsgericht Lennestadt verhandelt wurde, und deutlich wird, was unter einem Sauerländer Ehrenwort zu verstehen ist.

Udo PoetschQuelle: privat
Udo Poetsch (1944 – 2020)

Der Fall

Ein älteres „Frollein“, rhetorisch ebenso wehrhaft wie streitsüchtig, hatte ihren gesamten, nicht unbedeutenden Grundbesitz verloren, unter anderem, weil sie immer alles  besser wusste und absolut beratungsresistent war. Bei Erhalt einer Einladung zum Ball des Roten Kreuzes stellte sie fest, dass sie nicht über standesgemäße Garderobe verfügte. Trotz permanenter Geldknappheit betrat sie ein Bekleidungsgeschäft und erwarb dort auf Rechnung ein Trachtenkostüm Marke „weiblicher Raiffeisensmoking“. Mehrere Wochen wartete das Modehaus auf die Begleichung der Rechnung, auf Mahnungen reagierte die Dame nicht. Logische Folge: Strafanzeige wegen Betruges.

Zur Hauptverhandlung erschien sie im unbezahlten Trachtenkostüm und mit Rechtsanwalt. Mit dem Vorschuss, den dieser eingestrichen hatte, hätte die Angeklagte das Kostüm bezahlen locker können. Die Sachlage war klar, die Beweisaufnahme wurde geschlossen. Der Staatsanwalt wollte gerade plädieren, als sich ein älterer Mann  im Zuschauerraum zu Wort meldete:

„Herr Richter, kann ich dat für se zahlen?“ „Wer sind Sie denn?“, wollte ich wissen. „Ich kümmere mich manchmal um se. Mein Name ist Willi Fieper.“ Ich blickte zum Staatsanwalt. Er lächelte und schien mit dem überraschenden Angebot einverstanden zu sein. Da die Dame nicht vorbestraft war, konnte das Verfahren gegen Wiedergutmachung des angerichteten Schadens eingestellt werden.

Vom „Retter in der Not“ wollte ich wissen: „Haben Sie denn das Geld dabei?“ Der  Senior schüttelte den Kopf: „Nee, aber ’nen Euroscheck.“ „Auch ´ne EC-Karte?“ „Datt is’n Problem. Ich war gestern Abend  in de Kneipe und habe mir gut einen genommen. Aufm Rückweg wollte ich bei der Bank Geld abheben. Aber weil ich wohl ein bisschen zu viel getrunken hatte, hab ich die Geheimnummer verwechselt und der Apparat hat mir die Karte geklaut.“ Der Bus zum Gericht sei sehr früh gefahren. Da habe die Bank noch nicht auf gehabt. „Ist der Scheck auch gedeckt?“, hakte ich nach. „Natürlich!“ „Sauerländer Ehrenwort, dass der Scheck gedeckt ist?“ „Jau!“

„Na dann kommen Sie mal nach vorne und füllen Sie den Scheck aus über den Betrag, den die Firma haben will.“

Willi Fieper kam nach vorne zum Zeugentisch, erhielt vom Protokollführer einen Kugelschreiber und füllte den Scheck aus. Ich diktierte: „Herr Willi Fieper überreichte zur Begleichung der Forderung des Modehauses für die Angeklagte einen Euroscheck über den geforderten Betrag und erklärte durch Handschlag gegenüber dem Vorsitzenden Richter und im Bezug auf sein Sauerländer Ehrenwort, dass der Scheck gedeckt sei.“ Frage an Willi Fieper: „Richtig so?“ „Jau!“

Das Verfahren wurde daraufhin vorläufig eingestellt, unter dem Vorbehalt, dass das Modehaus binnen zwei Tagen bestätigen würde, dass der Scheck eingelöst sei. Anschließend erklärte mir die Angeklagte, dass sie mich zu ihren anstehenden 75. Geburtstag einladen wolle. Dazu kam es leider nicht mehr, weil sie kurz vorher verstarb.

Der Scheck war übrigens gedeckt. Auf das Sauerländer Ehrenwort konnte man solide vertrauen.