Das Lieblingsschaf hat keinen Namen

Quelle: Dorothee Wiese

Wilhelm Schulte und sein besonderes Verhältnis zu den Tieren auf „Ricken Hof“ in Lüdingheim

Mehr Sauerland geht nicht: An diesem herrlichen Spätsommertag schmiegen sich in einem idyllischen Bachtal satte Weiden an einen klarblauen Himmel. Am Ende des Tales liegt „Ricken Hof“. Wir sind heute hier, weil uns ein besonderer Mensch „sein“ Revier und dessen reiche Schar an Lebewesen zeigen möchte.

Wilhelm Schulte, mit zwölf Jahren der jüngere Spross in Familie Schulte (Bruder Karl ist 14), ist von der Sorte Mensch, ohne die der Welt etwas fehlen würde. Völlig unvoreingenommen geht er auf uns zu und nimmt uns mit in seine Welt, die von einer üppigen Menagerie aus Kurzzeitgästen bevölkert wird. Papa Norbert setzt auf Kälber- und Lämmermast und unterhält einen Hühnerstall, der den Einzelhandel der Umgebung täglich mit frischen Eiern versorgt. Der gelernte Maurer und heute hauptberufliche Landwirt hatte nach dem Tod seines Vaters im Jahr 2004 ursprünglich nur den Hof auf Vordermann bringen und im Anschluss in seine Tätigkeit als Maurer zurückkehren gewollt. Doch offenbar hatte es gefunkt, und die Entscheidung für den Landwirt als Hauptberuf war gefallen. Norbert baute mit eigener Arbeitskraft das heutige Familiendomizil an sein Elternhaus an, ergänzte nach und nach Stallungen, erweiterte den Fuhrpark und hat nun, knappe 20 Jahre später, das Landwirt-Gen längst auf seine Söhne übertragen. Während Karl eher von der technischen Seite angezogen wird, mit Traktoren und allerlei Gerät, ist Wilhelm der unangefochtene Tierexperte auf Ricken Hof. Zu ihnen hat er einen ganz besonderen Draht. Und das spürt man.

Als wir in einen riesigen Offenstall treten, in dem etwa 100 Lämmer und einige frisch abgestillte Kälber um die Wette blöken und muhen, während eine der 40 Ammenkühe geduldig drei Kälbchen an sich saugen lässt, nähert sich Wilhelm ein offensichtlich schon älteres Schaf. Es ist das Schaf ohne Namen, Wilhelms Lieblingsschaf, das bislang jede Umbesetzung des Bestandes schadlos überstanden hat und laut Wilhelm mittlerweile bereits das 18. Jahr auf Ricken Hof verbringt. Jetzt dreht es sich auf eine ganz besondere Weise und lässt sich von Wilhelm ausführlich streicheln. Dieser spricht ruhige, liebevolle Worte, bevor drei noch zu stillende Lämmer ihn für warme Flaschenmilch anstupsen. Selbstverständlich hat Wilhelm mitgedacht und die Fläschchen parat. Gierig saugen die zarten Geschöpfe die Milch ein, während Wilhelm geduldig auf die richtige Reihenfolge achtet.

Im Anschluss geht es auf die Weide, wo wir ein Foto mit der Gänseschar geplant hatten. Vor November gastieren rund 70 Gänse auf Ricken Hof, die hauptsächlich auf fünf vom Vorjahr behaltene Vögel zurückgehen. Bevor die Menschen, in der Weihnachtszeit nach der dazu gehörigen Gans verlangen, führt sie in Lüdingheim ein freies und unbeschwertes Leben. Die weißen und grauen Tiere recken ihre Hälse, gackern sich etwas zu – und hauen erstmal ab. Wilhelm und WOLL hinterher. Jungbauer, Fotografin und Reporter auf der Jagd nach dem perfekten Bild, das muss ein lustiger Anblick sein! Doch Wilhelm kennt die Laufwege des Federviehs so gut, dass uns schließlich ein mehr als passabler Schuss für die Mühen belohnt.

Quelle: d

Der Hühnerstall ruft, schon wieder Geflügel. „Hallo, Mädels!“ Wilhelm öffnet die Tür, schaut nach dem Rechten, man kennt sich. Fleißige Ladies produzieren Eier aus Freilandhaltung, und Wilhelm schmeißt das Förderband an. Sanft purzeln die Eier in ein Behältnis, während Wilhelm über Größen und Legebedingungen referiert. Bestand und Gesundheit (nicht nur) der Hühner werden regelmäßig sorgfältig überprüft. „Um die Hühner vor Angriffen von Habichten zu schützen, stellen wir einige Ziegen in den Hühnerauslauf. Die verscheuchen die Angreifer“, bemerkt Wilhelm, und es war nicht die einzige Fachinformation, die wir über die Dauer unseres Besuches frei Haus geliefert kriegen.

Nachdem wir die Eiersortiermaschine und den schicken Selbstbedienungs-Hofladen besichtigt haben, gehören die Kaninchen versorgt und muss noch Kraftfutter in die Rinder. Diese wissen längst, wer da mit Schubkarre im Korridor steht und muhen ungeduldig. Wilhelm lässt keine Spezialportion aus; fast scheint er zu spüren, welches Tier welchen Hunger hat.

Der WOLL-Besuch war nicht das erste Mal, dass Vertreter der Medien auf Ricken Hof zu Gast waren. Die Menschen sehnen sich scheinbar nach Geschichten wie dieser, je mehr sie den Bezug zu Natur und Kreatur verlieren. Es ist bedauerlich, dass viele Kinder heutzutage das Fleisch nur aus einer zuckrigen Wurstpelle mit bunten Gesichtern drauf sowie den Fastfood-Ketten kennen und nicht mehr wissen, wie viel Zeit und Mühe es braucht, um ein gutes, ehrliches Produkt zu erzeugen.

Doch Wilhelm und Familie Schulte wissen, wie der Hase läuft. Und das Rind, die Gans, das Lamm und das Huhn gleich mit. Bodenständig, geerdet und mit harter Arbeit spielen sie eine wichtige Rolle bei der Erzeugung wertiger Produkte. Wilhelms Beitrag als hofeigener „Tierpsychologe“, der viele Tiere beim Namen nennt – sein Lieblingsschaf seltsamerweise nicht – ist dabei von unschätzbarem Wert.