Das leere Versprechen von Freiheit in der Zukunft

Freiheit Zukunft

Quelle: Bild von Arek Socha auf Pixabay

Von Torben Halbe, Autor des Buchs „Freiheit ohne freien Willen – Liberalkonservative Denkansätze für das 21. Jahrhundert“ (WOLL-Verlag, Schmallenberg, Dezember 2020)

Sowohl in Sachen Corona als auch in Sachen Klima gibt es viele Befürworter eines zentralistischen, dirigistischen und paternalistischen Vorgehens durch die Bundesregierung. Auffällig sind dabei auch die rhetorischen Gemeinsamkeiten, beispielsweise forderte der SPD-Politiker Karl Lauterbach in der „Welt“ „Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind“[i], und sowohl im Zusammenhang mit Corona[ii] als auch mit Klima[iii] wurde schon von „Notstand“ gesprochen. Bemerkenswert vergleichbar auch das Vorgehen mit festen Zielwerten: Beim Klima gibt es Ziele für die Emissionsreduzierung in verschiedenen Sektoren, gefolgt von Treibhausgasneutralität im Jahr 2045, bei Corona Inzidenzzielwerte, gefolgt von „NoCovid“. Diese Reduzierung der Welt auf unterkomplexe zentralistische Zahlen kritisierte ich bereits in einem anderen Text[iv].

Nun möchte ich mich einer anderen Gemeinsamkeit der Corona- und Klima-Rhetorik widmen: Der Aussage, es wären jetzt besonders harte Freiheitseinschränkungen notwendig, um damit noch härtere oder längere Freiheitseinschränkungen in der Zukunft zu vermeiden, quasi ein Tauschhandel Unfreiheit jetzt gegen Freiheit in der Zukunft, garniert mit einer Art Heldenerzählung: Wir nehmen jetzt Härte auf uns, um eine bessere Zukunft zu erringen, eben wie der Held im Märchen oder in einem Hollywood-Film.

So argumentierte das Bundesverfassungsgericht, das Klimaschutzgesetz sei nicht drastisch genug, Zitat: „Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen. Weil die Weichen für künftige Freiheitsbelastungen bereits durch die aktuelle Regelung zulässiger Emissionsmengen gestellt werden, müssen die Auswirkungen auf künftige Freiheit aber aus heutiger Sicht verhältnismäßig sein”.[v]

Damit wurde eine Verschärfung der Emissionsreduzierungsziele für die aktuelle Generation gefordert, was viele Freiheitsrechte einschränkt, da, in den Worten des Verfassungsgerichts „noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden“ sind (ebd.).

Ähnlich liest sich das NO-COVID-Strategiepapier, das schon im Januar zeitlich unbeschränkte harte Lockdowns bis zum Erreichen einer Inzidenz von 10 forderte und diese äußerst harten und langen Freiheitseinschränkungen unter anderem mit Freiheit in der Zukunft begründete, Zitat: „Legitimiert wird dieser NO-COVID-Ansatz durch eine neues Narrativ: nicht „Gesundheit“ oder Bettenbelegung  stehen im alleinigen Zentrum der Bemühungen, sondern die gesamte Gesellschaft und die  Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheiten“.[vi]

Beiden scheint die Vorstellung zugrunde zu liegen, man könne Freiheit einfach aus- und später wieder einschalten, und sie sei dann genauso wie vorher, fast so, wie beim Umlegen eines Lichtschalters: Das Licht brennt ja auch nicht heller oder dunkler, nur weil es eine Zeitlang aus war.

Falsche Vorstellung von Freiheit

Meiner Ansicht nach gibt es zwei mögliche Erklärungen für eine solche Vorstellung. Die erste ist, dass Menschen eine magische und unerschöpfliche Quelle von Freiheit in sich tragen würden, den freien Willen. Wenn man ihnen die Ausübung ihrer Freiheit temporär verbieten würde, wäre das kein Problem, da dieser freie Wille nur auf das Ende dieser Verbote warten würden, um dann mit freiem Verhalten genauso wie früher fortzufahren, als wäre nichts gewesen. Freies Verhalten in diesem Sinne sei individuell charakteristisches Verhalten in allen Lebensbereichen, wie z. B. dem Beruf, der politischen Teilhabe, dem sozialen Zusammenleben, dem Schaffen oder Konsumieren von Kunst und Kultur sowie dem Reisen und der Freizeitgestaltung.

Die Vorstellung ist in etwa so, als wären die Verbote und Einschränkungen wie ein Riegel, mit dem das Tor eines Forts temporär blockiert wird, und sobald dieser Riegel entfernt wird, stürmt die Kavallerie, die im Fort die ganze Zeit sicher war, mit großem Trara heraus. Das Fort ist dabei der freie Wille als uneinnehmbare, unbeeinflussbare, ewige Festung, die Kavallerie besagtes freies Verhalten.

Die zweite mögliche Erklärung ist, dass freies Verhalten nicht einmal diese geheimnisvolle Festung namens freier Wille braucht, um die Durststrecke der Freiheitsbeschränkungen zu überdauern, sondern einfach aus dem Nichts wieder erscheint, als wäre nichts gewesen, sobald in irgendeinem Gesetz steht, dass die Leute wieder frei wären, z. B. so formuliert, dass sie ihre Freiheitsrechte „zurückbekommen“. Freiheit als etwas Aufoktroyiertes: Wenn und sobald der Staat sagt, dass die Bürger wieder frei sind, sind sie eben wieder frei, und zwar sofort.

Beide Erklärungen sind schlecht, und damit ist auch diese Vorstellung von Freiheit als Umlegen eines Lichtschalters schlecht.

Freiheit wird schnell verlernt

In meinem Buch „Freiheit ohne freien Willen“[vii] zeige ich auf, dass individuell charakteristisches Verhalten in allen Lebensbereichen, und damit freies Verhalten, eine bestimmte Art der Informationsverarbeitung vor Ort ist. Daran beteiligt ist offensichtlich das Gehirn des betrachteten Menschen, das dies aber nicht allein leistet, sondern auf Referenzen zurückgreift, um sich gegen zufällige Abweichungen (Rauschen, akkumulierende Entropie) zu kalibrieren. Solche Referenzen sind das soziale Umfeld des Menschen, aber auch das räumliche Umfeld (wie die gewohnten Räume und die gewohnte Landschaft) und nicht zuletzt auch die DNA als chemische Referenz in jeder Nervenzelle, die verhindert, das biochemisches Chaos ausbricht. All diese Elemente passen sich ständig aneinander an, mit fortschreitender Zeit kann der Mensch durch diese gegenseitige Spezialisierung von ihm auf sein Umfeld und von seinem Umfeld auf ihn größere Fertigkeiten und eine immer individuellere Rolle gewinnen, also immer freier sein. Beispielsweise differenziert sich seine Rolle im Betrieb, der Ortsgemeinschaft und der Familie aus, und ihm wird mehr Verantwortung und eine freiere Hand zugestanden. Auch in politischen Belangen werden seine Äußerungen in denjenigen Dingen, von denen sein Umfeld weiß, dass er sich auskennt, zunehmend respektiert, wodurch er in der Lokalpolitik einer freien Gesellschaft an Macht, also Gestaltungsfreiheit, gewinnt.

Dieses Freiheitsbild ist vergleichbar mit dem von John Stuart Mill in „On Liberty“ (1859), der die menschliche Natur mit einem Baum verglich, der nach allen Seiten wachsen und sich entwickeln muss.

Da Freiheit damit etwas kontinuierlich in Menschen und ihrer Umgebung Wachsendes ist, sollte klar sein, was passiert, wenn man diesem Wachstum durch Freiheitseinschränkungen den Riegel vorschiebt: Die freiheitlichen Interaktionen zwischen den Menschen und ihrer Umgebung werden reduziert, dadurch wird die Anpassung aneinander ausgesetzt, die den einzelnen Bürgern Macht, Verantwortung und Individualität verleiht, kurz: Die Freiheit verkümmert, wie ein Baum, der kein Licht oder Wasser mehr bekommt. Und zwar umso mehr, je stärker diese Einschränkungen sind und je länger sie dauern.

Damit ist es im jeden Fall Unsinn, zu glauben, Freiheitseinschränkungen seien nur eine temporäre Aussetzung der Freiheit, nach deren Ende man sofort wieder auf dem vorigen Freiheitsniveau wäre. Im Gegenteil: Es ist so, als würde man einem Baum nach einer Durststrecke wieder Licht und Wasser geben. Im besten Fall würde es einige Zeit dauern, bis er sich halbwegs erholt an. Im schlimmsten Fall erholt er sich nie und geht ein.

In dieser Hinsicht kann man die Freiheit nicht nur mit einem Baum, sondern auch mit einer Fabrik vergleichen: Wenn diese für einige Zeit stillgelegt ist, kann man auch nicht alles spontan wieder anschmeißen. Im besten Fall muss man Rost entfernen, Schmieröl erneuern etc., im schlimmsten Fall sind die Maschinen völlig hin. Aber auch im besten Fall wird es dauern, bis die Arbeitsabläufe und Lieferketten wieder so gut funktionieren wie früher.

Salopp könnte man zusammenfassen: Freiheit wird verlernt, wenn man sie aussetzt. Und zwar sehr schnell.

Unterbrochene Auseinandersetzung mit neuen Entwicklungen

Nun könnte trotzdem jemand argumentieren, die „großen Ziele“ Corona-Bekämpfung oder Klimaschutz seien es Wert, diese Verkümmerung in Kauf zu nehmen. So, wie sich die Freiheit der westlichen Welt über Jahrhunderte entwickelt hat, könnte sie doch in Zukunft wieder wachsen, auch wenn sie zwischenzeitlich verkümmert.

Das ist allerdings nicht so. In den Jahrhunderten, wo sich die Freiheit im Westen entwickelt hat, war die westliche Welt zunächst durch die Seeherrschaft im Kolonialzeitalter und dann durch die Industrialisierung dem Rest der Welt wirtschaftlich und militärisch überlegen. Das unterstützte und bezahlte das Großprojekt namens freie Gesellschaft, wofür sich wie gesagt zahlreiche lokale Strukturen mit eigenverantwortlichen, gebildeten Bürgern entwickeln mussten. Auch holprige Passagen, wie die beiden Weltkriege, konnten so kompensiert werden.

Das ist inzwischen anders: Nicht nur gibt es z. B. mit China Konkurrenz durch politisch völlig andere Systeme, sondern es gibt auch große technologische Sprünge, wie die sozialen Medien und künstliche Intelligenz, auf die gerade jetzt Antworten gefunden werden müssen.

Ein nicht unterbrochenes freiheitliches System kann sehr gut mit solchen disruptiven Entwicklungen umgehen, da sich ein offener Markt auf Produkten und Ideen entwickelt, der evolutionär gute Lösungen findet. Auch das ist wieder vergleichbar mit einem je nach Position der Sonne anders wachsenden Baum oder einer gut funktionierenden Fabrik.

Aber wenn man das freiheitliche System gerade jetzt aussetzt, im schlimmsten Fall für Jahrzehnte, begründet mit dem Klimaschutz oder immer neuen Corona-Wellen (denn die Krankheit wird wahrscheinlich endemisch werden, uns also ähnlich wie die Grippe regelmäßig heimsuchen), kann dieser Prozess nicht stattfinden.

Statt dezentraler freiheitlicher Auseinandersetzung mit den aktuellen technologischen, aber auch wirtschaftlichen und geostrategischen Entwicklungen werden dann die staatlichen und medialen Autoritäten inklusiver der übermächtigen NGOs sich mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen.

Diese angeblich nur temporär die Freiheitsrechte überschreibenden Autoritäten würden also Strukturen schaffen, um diesen Entwicklungen zu begegnen, und könnten dann später argumentieren, dass sie diese Strukturen haben, dass die freiheitliche Gesellschaft diese aber nicht hat, da sie zwischenzeitlich nicht existiert hat und entsprechend kein offener Markt für den Umgang damit entwickeln konnte. Somit könnten die Autoritäten dann leider wahrheitsgemäß sagen, dass sie weiter autoritär herrschen müssen, statt der freien Gesellschaft die Zeit zu geben, sich an diese neuen Entwicklungen anzupassen, da andernfalls der Vorsprung anderer Mächte, wie z. B. China, zu groß werden würde.

Fazit: Freiheit darf nicht unterbrochen werden!

Wir schließen daraus, dass wir niemals Freiheit in der Gegenwart für das Versprechen von Freiheit in der Zukunft aufgeben sollen. Freiheit in der Zukunft wird es nur geben, wenn wir jetzt frei bleiben!

Es ist daher absurd, Freiheitseinschränkungen mit Freiheit (der Zukunft) zu begründen. Wer aus irgendeinem Grund für Freiheitseinschränkungen argumentieren möchte, sollte mit diesem unzulässigen Versuch, Freiheit gegen Freiheit auszuspielen, aufhören, und stattdessen andere Gründe, z. B. im Zusammenhang mit Corona den Gesundheitsschutz, anführen.

Damit wäre dann auch klar, dass solche Einschränkungen zeitlich eng begrenzt werden müssen, z. B. nimmt momentan durch die zunehmende Impfquote die gesundheitliche Gefährdung durch Corona stetig ab, was bei einer Abwägung Freiheit gegen Gesundheit klar für enge zeitliche Begrenzung spricht. Mit der semantischen Trickserei, Freiheit fälschlicherweise gegen Freiheit auszuspielen, kann man dagegen unbegrenzte Freiheitseinschränkungen rechtfertigen, da die Regierung jederzeit mit zukünftigen Freiheitsbeschränkungen drohen kann (die sie ja selbst erlassen kann), zu deren „Abwendung“ dann gegenwärtige Freiheitseinschränkungen durchgesetzt werden. Dieser autoritäre Selbstläufermechanismus muss im Keim erstickt werden.

Überhaupt sind Freiheitseinschränkungen vom Ausmaß des Corona-Lockdowns nur für allerhöchstens eine Woche zulässig, wenn der Baum der Freiheit weiterwachsen soll, und zwar unabhängig von der Begründung. Und selbst das sollte mit großer räumlicher Auflösung nicht bundesweit und nicht einmal regional geschehen, sondern lokal, dort, wo akute Gefahr im Verzug ist. Dieser Zeitraum muss für Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft reichen, vor Ort eine Lösung zu finden, um das das akute Risiko so weit wie möglich zu reduzieren, und wenn das nicht möglich ist, muss man eben damit leben.

Denn, vertun wir uns nicht, die Freiheit und der Individualismus sind die höchsten Güter, das größte Vermächtnis der westlichen Welt der vergangenen Jahrhunderte. Wenn wir unsere Freiheit gerade jetzt bewahren, um einen Markt der Produkte und Ideen bereitzustellen, der mit den aktuellen rapiden Veränderungen auf der Welt umgeht, können wir dieses Vermächtnis nicht nur für uns selbst bewahren, sondern auch andere Teile der Welt vor dem um sich greifenden Autoritarismus (z. B. seitens Chinas, aber auch z. B. von westlichen NGOs) beschützen.

Quellen


[i] https://www.welt.de/politik/deutschland/article223275012/Kampf-gegen-Klimawandel-Lauterbach-wegen-Coronazeit-pessimistisch.html

[ii] https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/gesetzgebung-im-gesundheitsnotstand-12433.php

[iii] https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/klimafolgen-anpassung/anpassung-an-den-klimawandel/anpassung-auf-kommunaler-ebene/deutsche-kommunen-rufen-den-klimanotstand-aus

[iv] https://woll-magazin.de/inzidenz-und-co-zahlenwerte-als-symbole-der-symbolpolitik/

[v] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html

[vi] https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2021-01/no-covid-strategie.pdf

[vii] Erschienen im WOLL-Verlag, Schmallenberg, im Dezember 2020, Link: https://www.woll-verlag.de/das-wahre-leben-der-baeume-torben-halbe-2-2/