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Diese Tage Ende Februar/ Anfang März 2022 werden wir so schnell nicht vergessen. Der Krieg ist wieder in Europa.
Corona, eben noch unser Feind Nummer eins, ist fast völlig aus den Medien verschwunden. Putins Angriff auf die Ukraine steht im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit, aus vollen Rohren feuern die Medien ihre Ukraine-Berichterstattung in die deutschen Wohnzimmer. Auf den Medienseiten werden die öffentlichen Sender und ihre Live-Schaltungen gelobt. In den Feuilletons kommen ukrainische Dichter zu Wort. Tipps für Geldanlagen in Krisenzeiten gibt’s auf den Wirtschaftsseiten. Historiker räsonieren in den Meinungsspalten über imperiale Expansionspolitik, andere klagen über die schlechte Ausstattung der Bundeswehr.
Wie die Wissenschaft reagieren solle, wird gefragt. Und wie bereiten wir uns auf neue Flüchtlingskrise vor? Die Wirtschaftsressorts untersuchen, was der Überfall auf die Ukraine für deutsche Unternehmen mit Standorten im Russland-Geschäft bedeutet. Da gibt es ja auch etliche Unternehmen im Sauerland, für die Russland ein wichtiger Handelspartner ist, hört man aus der Industrie- und Handelskammer in Arnsberg.
Von Ohnmacht ist viel die Rede, vom Angriff auf die Demokratie. Die Bilder von Hunderttausenden, die für den Frieden auf die Straße gehen, stehen uns gut an. Doch was an der Stimmung in Deutschland wirklich etwas ändert, ist der Richtungsschwenk des Bundeskanzlers. Auf erste, hilflose Sätze wie „Putin wird nicht gewinnen“ folgt ernsthafte Entschlossenheit zur Gegenwehr. Massive Aufrüstung der Bundeswehr ist geplant. Und Waffenlieferungen an die Ukraine soll es geben. Richtig, sagen Kritiker, wenn auch etwas spät. Und so haben wir es plötzlich mit einer neuen deutschen Realpolitik zu tun, die sich nicht in Ritualen der Betroffenheit erschöpft.
Auf Facebook schrieb ein Vater eben noch, der Sohn habe gesagt: „Papa, wäre doch besser, wenn es nur ein Land auf der Welt geben würde, dann gäbe es keine Kriege.“ Neben den unzähligen Herzchen und Like-Daumen kommentiert ein User: „Fragt sich nur, welche Sprache wir dann alle sprechen würden. Russisch?“ Verbreitet ist der einfache, aber fromme Wunsch: dass alles so bleiben möge, wie es ist. Gerade auch in der öffentlichen Debatte, bei der das Eingehen auf die deutsche Seele gelegentlich zynisch anmutet. Da wird ein Psychologe gefragt: „Wie viele negative Emotionen kann der Mensch ertragen?“ Gemeint sind damit aber nicht etwa die Ukrainer, sondern die Berliner. Der Psychologe empfiehlt daraufhin, ein Bad zu nehmen oder sich mit Freunden zu treffen: „Damit die positiven Emotionen leicht überwiegen.“ Eine Nachbarin, die in der DDR aufwuchs, wundert sich über unsere westdeutsche Haltung, die vermeintliche Gewissheit, dass nichts unsere Lebensweise wirklich bedrohen könne. Sie hat miterlebt, wie alle Strukturen in ihrem Land, das stabil auf sie wirkte, vor ihren Augen zerbrachen.
Die Ereignisse in der Ukraine, deren Folgen wir noch nicht absehen können, beenden die Ära der falschen Hoffnungen und romantischen Träume. Es ist eine harte, aber einfache Erkenntnis: Die Wahrheit richtet sich nicht danach, ob wir sie vertragen oder nicht. Putin zerstört die Komfortzone, in der wir es uns in einer Zeit, in der die Pandemie abzuflauen scheint, gerne wieder gemütlich gemacht hätten. In einer Welt, in der Mindestlohn, Pendlerpauschale, Rentenbesteuerung die Schlagzeilen bestimmten. Das ist nun vorbei.
WIE WOLLEN WIR LEBEN und was sind wir bereit, dafür zu tun? Das sind die Fragen, denen wir uns jetzt stellen müssen. Nicht nur in der Außen- und Sicherheitspolitik oder bei den Klimazielen, sondern auch bei den anderen Themen, die für unser Zusammenleben wichtig sind. Je rationaler wir dabei sind, desto besser.