Oft ist der Markt- oder Rathausplatz der Startpunkt zur Besichtigung einer Stadt. Wenn also eine Stadtführung Attendorns am Rathausplatz beginnt, trifft man sich meistens vor dem Rathaus an einem mächtigen barocken Portal, das sich kaum in die urbane Szene einordnen lässt.
Das Portal soll an den Standort des ehemaligen Franziskanerklosters in Attendorn erinnern, welches sich an der Stelle befand, wo das heutige Attendorner Rathaus errichtet wurde. Die Klostergründung aus dem Jahre 1633, deren Gebäude erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 entstanden, wurden mit Erlaubnis des Landesherrn, des Kölner Erzbischofs, durch die Thüringische Ordensprovinz errichtet. Neben den Klostergebäuden erbaute man eine Kirche, die unter der Bauleitung des in Westfalen berühmten Baumeisters Ambrosius von Oelde stand. Eine besondere Bedeutung für Attendorn und das südliche Sauerland erlangte die Gründung des Gymnasiums Marianum Seraphicum als wichtiger humanistischer Standort für Schüler aus dem Sauerland und den angrenzenden Grafschaften Berg- Mark, Nassau-Siegen und Wittgenstein. Stufenweise wurde der Lehrbetrieb aufgebaut, stets mit besonderer Unterstützung der Freiherrn von Fürstenberg, die auch ihre Grablege in der Klosterkirche fanden.
Stadtbrände und eine Munitionsexplosion 1945 vernichten die Klostergebäude
Nach der Genehmigung zur Errichtung des Klosters begann 1639 die Lehrtätigkeit der Franziskaner auf Grundlage des Kleinen Katechismus für Kinder. Wohl darauf aufbauend, erweiterte sich das Lehrangebot bis zu einem hausinternen philosophischen Studium. Schon nach wenigen Jahren musste die Klosterkirche 1668 wieder abgerissen werden, Grund dafür war auch damals schon „Pfusch am Bau“. Wieder sprang die Familie von Fürstenberg ein und Johann Adolf von Fürstenberg bezahlte aus eigenen Mitteln den Wiederaufbau, der innerhalb von zwei Jahren realisiert wurde. In den folgenden Jahren erreichte das Ansehen des Klosters seine größte Blüte, mit bis zu 40 Mitgliedern des Konvents und steigenden Schülerzahlen. Das Gymnasium bezog 1680 ein neues Gebäude. Damit wurde das Gymnasium eine hervorragende Bildungsstätte für unseren Raum; ansonsten gab es nur Elementarschulen, die nicht die Grundlagen für ein Universitätsstudium vermitteln konnten.
Mitten in der größten Blütezeit erfolgte mit dem Stadtbrand von 1742 auch der größte Rückschlag: Neben vielen Attendorner Häusern wurden auch Konventsgebäude, Gymnasium und das Kirchendach des Klosters ein Raub der Flammen. Vier Jahre später waren die Klostergebäude neu aufgebaut – über die Geschwindigkeit des Neubaus kann man heute nur staunen –, zwei Jahre später war auch das Gymnasium wieder bezugsfertig. Das Gymnasium öffnete sich weiter der Bevölkerung und neben allgemeinen Theateraufführungen wurde ein öffentliches Philosophiestudium angeboten – bis es 1783 erneut zu einer Brandkatastrophe kam, bei der Kloster, Kirche, Gymnasium und der größte Teil der alten Hansestadt vom Feuer zerstört wurden. Doch nicht nur die Gebäude wurden vernichtet, sondern auch die Bibliothek und ein Teil des Archivs. Der Schulbetrieb wurde bald wieder aufgenommen, allerdings ließen sich die Schülerzahlen, es waren maximal 60 Jungen, nicht mit unseren heutigen Zahlen vergleichen. Damals konnten nur wenige begüterte Familien, oder hochbegabte, von der Kirche geförderte Jungen eine qualifizierte Schulausbildung genießen, denn zum Beispiel in der Landwirtschaft und auch im Handwerk war die Mithilfe der Kinder erforderlich. Schulbesuche fanden meist nur in den Wintermonaten statt.
Das Kloster wird aufgehoben, der Schulbetrieb geht weiter
Im Gegensatz zu den meisten Klöstern in Westfalen überstand das Franziskanerkloster zusammen mit drei weiteren Klöstern die erste Säkularisierungswelle 1803 durch die neue hessische Landesregierung. Das Gymnasium wurde 1806 geschlossen und wenige Jahre später kam es zur Auflösung dieses für das Sauerland so bedeutenden Klosters. Nach der Schenkung der Klostergebäude an die Stadt Attendorn, verfügt durch den neuen Landesherrn, den Preußischen König, errichtete die Stadt 1825 ein Progymnasium.
Nachdem die Klosterkirche lange leerstand, wurde sie zum Zeughaus für das neu stationierte Landwehrbataillon umgebaut. Einen Teil nutzte man nun als Turnhalle. Wichtig für Stadt und Region war der Ausbau des Progymnasiums zum Vollgymnasium 1874. Benannt wurde die humanistische Bildungseinrichtung 1975 nach dem in Attendorn geborenen Humanisten Johannes Rivius, ein Pädagoge und Theologe aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 1898 kehrten die Franziskaner nach Attendorn zurück und die mittlerweile ungenutzte Klosterkirche wurde an sie übergeben, nicht jedoch die ehemaligen Klostergebäude.
Das Ende der Klosterkirche setzte eine verheerende Munitionsexplosion im Juni 1945, die 35 Menschenleben forderte und das Gotteshaus zerstörte, sodass es 1951/52 abgerissen wurde. Das Ende des Klosterlebens in Attendorn erfolgte im Jahre 1998, als die Ordensprovinz den Standort aufgab. Der allgemeine Mitgliederschwund verschonte auch die Attendorner Franziskaner nicht.
Ein bitterer Nachtrag
Nach der Auflösung des Klosters wurde im 19. Jahrhundert das Inventar meistbietend versteigert. Eine Inventurliste wurde aufgestellt, die neben den religiösen Gegenständen das gesamte übrige Inventar umfasste. Penibel taxierte man Monstranzen, Altäre und Kelche, Gemälde, Handtücher und geistliche Gewänder, die an verschiedenen Pfarreien verkauft wurden.
Das wertvollste Objekt war neben dem Hauptaltar und den Nebenaltären die barocke Orgel, um die ein wahrer Versteigerungswettbewerb entstand. Der erste Bieter, eine Pfarrgemeinde aus Iserlohn, hatte sich wohl übernommen und konnte den geforderten Preis nicht entrichten. In der zweiten Versteigerungsrunde erhielt die Gemeinde aus Ferndorf im Siegerland zwar den Zuschlag, aber nicht die Orgel. Die Regierung in Arnsberg verfügte schließlich, dass die Gemeinde Wissen/Sieg die Orgel erhielt, allerdings zu einem etwas geringeren Preisgebot.
Die Orgel und ein ersteigerter Altar aus dem aufgelösten Kloster Grafschaft, der zum Hauptaltar ausgebaut wurde, konnten dann in die Pfarrkirche nach Wissen umgesetzt werden. Hier baute man die Orgel wieder auf, um sie 1970 mit einer weiteren Orgel aus Wetzlar zu integrieren. Nachdem das historische Musikinstrument mehrfach restauriert und erweitert wurde, kann sie heute dennoch nicht mehr im Gottesdienst eingesetzt werden. Durch eine frevelhafte Brandstiftung, die auch den Hochaltar zerstörte, wurde dieses barocke Kleinod im Februar 2023 im Inneren total zerstört. Durch die heiße Luft ist die Orgel praktisch innen geplatzt und gerissen, sodass das gesamte Innenleben restauriert werden muss, obwohl das Instrument optisch kaum beschädigt erscheint. Ein wohl von Depressionen geplagter Täter hat in einer dunklen Februarnacht hoch alkoholisiert ausgerechnet in der katholischen Pfarrkirche ein Feuer gelegt, das mit der Orgel auch den Hochaltar vernichtete. Ein Gesamtschaden von zwei bis drei Millionen Euro. Einige andere Relikte haben sich dennoch erhalten wie ein Bild des Hl. Franziskus und mehrere Kelche in verschiedenen Sauerländer Pfarrkirchen. Das Rivius-Gymnasium existiert weiterhin in der von den Franziskanern begründeten humanistischen Schultradition, mittlerweile mit über 500 Schülern.