Oberveischede geht voran
Die Digitalisierung ist zwar schon lange auf dem Land angekommen, die Dorf-App Crossiety gibt es aber erst in wenigen Orten in ganz Deutschland. Im Sauerland ist Oberveischede sogar der absolute Vorreiter und wagte im April dieses Jahres den Schritt in die digitale Vernetzung der Dorfbewohner.
Eine Handvoll Interessierte haben sich zu einem Arbeitskreis zusammengeschlossen, um die Dorf-App im Ort zu etablieren. Der AK OV-digital hat sich zum Ziel gesetzt, das aktive Miteinander im Ort zu fördern, das gemeinschaftliche Engagement zu stärken und das gesamte Potenzial im Dorf besser zu nutzen.
Die Finanzierung wurde von der Dorfgemeinschaft Oberveischede e. V. übernommen, die auch Vertragspartner des schweizerischen Unternehmens ist. Für die Nutzer ist die App also kostenfrei. Sie kann sowohl auf dem Smartphone, Tablet oder PC installiert werden und verbindet als soziales und lokales Netzwerk Interessengruppen, Vereine, Organisationen sowie Unternehmen des Ortes miteinander.
Viele Dorfbewohner nutzen seit Jahren soziale Netzwerke und Messenger als Kommunikationsmedien: Während die Älteren sich bei Facebook und über WhatsApp austauschen, tummeln sich die Jüngeren bei Instagram, Twitter und Co.
Warum also eine weitere App?
Crossiety verbindet verschiedene Funktionen anderer Netzwerke, Plattformen und Messenger miteinander, der Datenschutz hat Priorität und es gibt lediglich Beiträge aus dem direkten, also lokalen Umfeld. Mit Hilfe der Plattform können Nutzer sich sowohl in privaten Chats austauschen als auch über allgemeine Geschehnisse, Termine und Veranstaltungen im Dorf informieren, Dinge verkaufen oder suchen und vor allem schnelle und unkomplizierte Hilfe anbieten und bekommen. Die App vereint also unterschiedliche Funktionen: Zum einen den CrossChat (ähnlich WhatsApp), Verkaufsplattformen (wie ebay) und Webseiten der einzelnen Vereine und des Ortes.
Trotzdem soll die Dorf-App keine Konkurrenz zu den bestehenden sozialen Netzwerken oder der Webseite von Oberveischede sein, sondern diese effektiv ergänzen. Gerade für ältere Nutzer ist das Angebot sicherlich eine gute Alternative zu diversen anderen Apps, da Crossiety übersichtlich und leicht verständlich ist und zahlreiche Funktionen vereint.
Anfängliche Zweifel wurden schnell ausgeräumt
Abgesehen vom finanziellen Risiko, war die Überlegung, Crossiety als Dorf-App zu etablieren, bei einigen Mitgliedern des Arbeitskreises mit etlichen Fragen und Zweifeln verbunden: Was, wenn sich nicht genügend Interessierte finden, die die App installieren und nutzen wollen? Was, wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht noch eine weitere App zum digitalen Austausch nutzen möchte? Was, wenn die App für jüngere Bewohner nicht attraktiv genug ist und für ältere zu kompliziert?
Wenige Tage nach dem Start am 1. April 2021, der durch zwei große Banner im Ort, Flyer und Presseartikel angekündigt worden war, konnten jegliche Zweifel ausgeräumt werden. In einer rasanten Geschwindigkeit hatten sich zahlreiche Bewohner von Oberveischede und den umliegenden Ortschaften Neuenwald, Tecklinghausen, Schmellenberg, Apollmicke und Fahlenscheid bei Crossiety angemeldet. Der Start war geglückt. Das Resümee nach hundert Tagen war dann auch durchweg positiv: Rund ein Drittel der Dorfbewohner nutzt die neue Kommunikationsplattform. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die App erst ab 16 Jahren zugelassen ist: Die Jüngeren sind also noch gar nicht dabei.
Da die Nutzer sich mit Klarnamen anmelden müssen, besteht keine große Gefahr, dass die Plattform für Hassbotschaften missbraucht wird, und seitens des Arbeitskreises ist zudem klar geregelt, dass sie nicht zu Werbezwecken oder für politische Ambitionen benutzt werden darf. Mittels eines Radius, den jeder Nutzer selbst festlegen kann, ist auch gesichert, dass nur lokale Beiträge zu sehen sind. Es geht also darum, Informationen von Dorfbewohnern oder Vereinen an andere Dorfbewohner weiterzugeben.
Besserer Austausch und gegenseitige Hilfe
Auf dem digitalen Dorfplatz können Neuigkeiten und Veranstaltungshinweise veröffentlicht werden, die für alle angemeldeten Dorfbewohner sichtbar sind. In den Interessengruppen tauschen sich hingegen nur die Nutzer aus, die der jeweiligen Gruppe beitreten. Diese reichen vom Kegelclub und die freiwillige Feuerwehr über die Kirchengemeinde bis hin zur Ideenschmiede und OV denkt nachhaltig. Mittlerweile wurden über 30 verschiedene Gruppen gegründet, die intern kommunizieren und sich über Termine, Ideen oder Fragen austauschen können. Hier können Posts erstellt und kommentiert werden, die nur von den jeweiligen Gruppenmitgliedern gelesen werden können. Der gravierende Unterschied zu einem Messenger besteht darin, dass die Telefonnummer oder weitere Daten der Nutzer nicht weitergegeben werden. Jeder Nutzer kann so alle anderen im Einzelchat anschreiben (unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit), ohne dass die Handynummer weitergegeben wird.
Potentiale besser nutzen, Zusammenhalt und Nachhaltigkeit fördern
Eine weitere Funktion ist der Marktplatz. Hier können gut erhaltene Dinge angeboten oder danach gesucht werden. Unkompliziert, schnell und vor allem nachhaltig wechseln so Gegenstände für wenig Geld oder sogar kostenlos ihren Besitzer. So kommen auch Menschen miteinander ins Gespräch, die sich vorher vielleicht noch nie getroffen haben, obwohl sie im gleichen Ort wohnen.
Die Funktion Helfen funktioniert ähnlich und zeigt, dass Nachbarschaftshilfe auch im digitalen Zeitalter noch funktioniert, ja sogar durch eine App wie Crossiety gestärkt werden kann.
Der Erfolg des neuen Mediums hängt entscheidend vom Engagement der Dorfbewohner ab, und eine entscheidende Rolle kommt auch Vereinen und Organisationen des Dorfes zu. Obwohl in der Corona-Zeit nur wenige Veranstaltungen stattgefunden haben, herrscht auf dem digitalen Dorfplatz reger Betrieb, was zeigt, dass die App schon sehr gut genutzt und sich sicher in den nächsten Jahren noch weiter als Kommunikationsmedium etablieren wird. Digitale Kommunikation ersetzt bestimmt nicht das Gespräch über den Gartenzaun – das soll sie aber auch nicht. Vielleicht trägt sie aber dazu bei, dass die Menschen im Ort sich wieder näher kommen und ein größerer Zusammenhalt entsteht. Die ersten Monate dieses Projektes in Oberveischede haben eindrücklich gezeigt, dass das möglich ist. Mutig den ersten Schritt zu wagen, hat sich gelohnt! Vielleicht gehen ja andere Orte im Sauerland einen ähnlichen Weg …