Quelle: Foto: Christian Klant
Der Sauerländer Torben Halbe, Autor der Bücher „Freiheit ohne freien Willen – Liberalkonservative Denkansätze für das 21. Jahrhundert“ und „Das wahre Leben der Bäume – Ein Buch gegen eingebildeten Umweltschutz“, beide erschienen im WOLL-Verlag, hat der Redaktion heute einen Beitrag zur aktuellen Corona-Diskussion geschickt. Wir veröffentlichen nachfolgend den Text von Torben Halbe.
Gastbeitrag von Torben Halbe
Stellen Sie sich vor, jemand verspricht Ihnen, einen Berg um 10 km zu versetzen, und Sie glauben das auch noch. Er kommt mit einem Bagger, buddelt etwas rum, gibt es dann auf, entschuldigt sich bei Ihnen und verspricht, es beim nächsten Anlauf besser zu machen. Dieses Mal kommt er mit 100 Leuten mit Schaufeln, buddelt etwas rum, gibt es dann auf, entschuldigt sich bei Ihnen und verspricht, es beim nächsten Anlauf besser zu machen. Sie sind nicht ganz überzeugt, aber dann kommt jemand anders vorbei, sagt, der erste Bergversetzer habe doch keine Ahnung, er könne das gleiche viel besser. Das glauben Sie. Der neue Bergversetzer kommt mit ein paar Stangen Dynamit, kratzt jedoch ebenfalls kaum an der Oberfläche des Bergs. Er entschuldigt sich bei Ihnen und verspricht, es beim nächsten Anlauf besser zu machen.
Würden Sie nicht langsam glauben, dass es einfach unmöglich ist, den Berg zu versetzen? Wahrscheinlich! Warum ist es dann in der Bewertung der Politik oft anders?
Beispiel Frau Merkels Entschuldigung bezüglich ausgewählter Corona-Maßnahmenvorstellungen der Ministerpräsidentenkonferenz. Hierzu scheinen viele Menschen eine von zwei Ansichten zu haben: Entweder, dass Frau Merkels Regierung es in Zukunft besser machen wird (Modell erster Bergversetzer). Oder, dass Frau Merkel den Weg für eine neue Regierung freimachen sollte, die es dann in Zukunft besser machen würde (Modell zweiter Bergversetzer).
So läuft es nicht nur bei der Corona-Bekämpfung, sondern auch bei anderen „großen Themen“ wie den Klimawandel oder „soziale Gerechtigkeit“. Aber auch z. B. bei Bildung oder bei der Regulierung einzelner Branchen wird gern etwas gefordert, das in hohem Detailgrad bundesweit einheitlich ist, ungeachtet lokaler Unterschiede. Andernfalls ist schnell von einem „Flickenteppich“ die Rede.
Die Erkenntnis, dass der Berg einfach nicht versetzbar ist, dass also sämtliche Versuche, Einzelheiten im Alltag von Millionen von Menschen und Betrieben auf Hunderttausenden von Quadratkilometern Fläche zentral zu regeln, ein unmögliches Unterfangen sind, scheint sich leider nicht durchzusetzen.
Anders gesagt: Der Glaube, das politische Berlin könne alles perfekt ordnen, der Staat sei also, um Nietzsches Worte zu nutzen, „der ordnende Finger Gottes“, ja, ein „neuer Götze“, scheint in Deutschland weit verbreitet zu sein.
Dabei ist jedes informationsverarbeitende System vor allem mit sich selbst beschäftigt. Es verarbeitet vor allem die Information, die es bereits enthält, nur verhältnismäßig wenig gelangt hinaus oder hinein, zumal das, was hineingelangt, erstmal verlust- und veränderungsreich in die vorhandenen Strukturen integriert werden muss, um verarbeitet werden zu können.
Das gilt z. B. für Gehirne und Computer, aber auch für Systeme aus Menschen. Das heißt: Auch das politische Berlin, wer immer dort gerade die Macht hat, ordnet vor allem sich selbst!
Und kein Wunder: Nur so kann Information verarbeitet werden! Informationsverarbeitende Systeme benötigen detaillierte Spezialisierung. Jedes Element des Systems, z. B. eine Nervenzelle des Gehirns oder ein Mensch in einem Betrieb, kann sich nur auf bestimmte Informationen spezialisieren. Das System muss so strukturiert sein, dass das Element diese Art der Information dann auch regelmäßig erhält, und dass sich spezialisierte Abnehmer für das Resultat seiner Verarbeitung finden. Effektiv besteht Arbeitsteilung sowohl zwischen ähnlich spezialisierten Elementen (die sich größere Informationsbrocken aufteilen, statt das ein Element überlastet wird) und zwischen verschieden spezialisierten Elementen, z. B. denen, die in einer Informationsverarbeitungskette früher oder später auftauchen. Sind die Elemente des Systems Menschen, hat das viel mit Vertrauen zu tun: Man kennt einander und vertraut darauf, dass der jeweilige andere ausreichend gute Arbeit leisten wird, sein Output also akzeptiert werden sollte.
Um zu einem solchen System zu gelangen und es an veränderte Bedingungen anzupassen, muss ständig umstrukturiert werden. Das Gehirn ändert dazu z. B. die Stärke von Synapsen, legt neue an oder entfernt alte. Menschen, ob jetzt die in einer Kleinstadt, in einem Unternehmen oder Verein oder eben im politischen Berlin organisieren sich dazu in Teams, Hierarchien, Gremien und überhaupt sozialen Strukturen, in denen Positionen, Beziehungen, Regeln und Tätigkeiten ständig neu ausgefochten werden. Diese internen Prozesse verschlingen zwangsläufig viel Informationsverarbeitungskapazität. Das politische Berlin beinhaltet dabei Politiker aller Parteien, einflussreiche Medienschaffende, hohe Beamte, Lobbyisten (darunter auch solche von NGOs und Gewerkschaften) und Experten. Diese konkurrieren und kooperieren um Posten, Zuständigkeiten, Beziehungen, Budget und Themen, und das ist die interne Informationsverarbeitung.
Das ist nicht unbedingt schlecht, denn es geht wie gesagt gar nicht anders, wenn Information überhaupt verarbeitet werden soll. Wichtig ist aber, mit dem Output dieses Systems angemessen umzugehen. Wie beschrieben kann ein informationsverarbeitendes System im Vergleich zum Volumen seiner internen Informationsverarbeitung zur wenig Output liefern. Daher ist es naiv, als Output detaillierte Regelung für den Alltag von Millionen von Menschen und Betrieben auf Hunderttausenden von Quadratkilometern Fläche zu erwarten. Verlangt man das, erhält man keine funktionierende Regelung, sondern Output, der auf Propaganda und Aktionismus optimiert ist: Die gewünschte „einheitliche Regelung“, die zwangsläufig null räumliche und zeitliche Auflösung hat (vergleichbar mit einem Bildschirm, der nur einen Pixel hat und dessen Farbe auch nur einmal pro Tag ändern kann). Anders gesagt: Diese Regelungen sind viel zu grobe und unflexibel, sie sind kaum umzusetzen, ohne vielerorts lokal große Schäden anzurichten und Kosten anzuhäufen. Beispiele sind die an den bundesweiten Durchschnittsinzidenzwert geknüpften Corona-Maßnahmen, die an die bundesweite Treibhausgasemission geknüpften Klimaschutz-Maßnahmen (z. B. der Kohleausstieg) oder auch der Atomausstieg sowie die plötzliche Flüchtlingsaufnahme 2015. Alles ordnet auf der Fläche kaum etwas, sondern zerstört vor allem etwas und kostet Unmengen an Geld und Arbeit. Aber als Propaganda sind diese Maßnahmen leider erfolgreicher Output gewesen, da Millionen von Menschen geglaubt haben, die Politiker hätten „geliefert“, statt untätig zu sein, und die beliebten „einheitlichen Regelungen“ herbeigeführt.
Damit das nicht mehr funktioniert, muss sich also vor allem das ändern, was die Menschen im Land vom politischen Berlin erwarten. Erwarten sie keine detaillierten Regelungsversuche mehr von dort oder verbitten sie sich solche unberufenen Eingriffe in lokale Belange sogar, kann ein besser funktionierendes System aufgebaut werden.
Denn was das politische Berlin (oder jede vergleichbare zentrale Stelle, z. B. Landeshauptstädte oder Brüssel) stattdessen realistisch liefern kann, sind Informationen, die von lokalen Stellen, also z. B. Kommunen, Unternehmen und Bürgern im Sinne von Autonomie und Eigenverantwortung interpretiert werden sollten, also die nicht im Detail bindend sind, sondern den lokalen Gegebenheiten entsprechend angepasst oder auch völlig ignoriert werden können, wenn sie unpassend sind. Sie würden also von den lokalen Stellen in funktionierenden, kompatiblen Input umgearbeitet werden können, statt dort alles über den Haufen zu werfen. 3
Überhaupt sollten zentrale Stellen nur aktiv werden, wenn lokale Stellen als Output ihrer lokalen Informationsverarbeitung eine Bitte um Unterstützung an die zentrale Stelle auswerfen, anders gesagt: Es sollte Subsidiarität herrschen.
Unter solchen Umständen könnte das politische Berlin nicht nur deutlich verkleinert werden (was viel Steuergeld sparen würde) sondern es würde sich zunehmend darauf optimieren, Input von der Fläche gut anzunehmen und sinnvollen Output statt Aktionismus und Propaganda zu liefern. Denn sobald Aktionismus und Propaganda (z. B. die berühmten „einheitlichen Regelungen“) nicht mehr zum gewünschten Input (nämlich Zuspruch und mehr Steuereinnahmen) führen, werden die Spezialisten dafür kaum mehr an Posten, Zuständigkeiten und Budget kommen. Diese gingen stattdessen an Menschen, die mit der neuen Subsidiarität gut umgehen können. Die interne Informationsverarbeitung des politischen Berlins würde also plötzlich zu einer Stärke.